Einen ersten Beitrag zur Verbesserung der Versorgung leiste die Honorarreform 2009. Richter erklärte, die Honorarreform 2009 bringe nicht nur eine bundesweit einheitliche, feste Vergütung pro Zeiteinheit, sondern schaffe auch Voraussetzungen für eine stärkere Versorgungsorientierung, da innerhalb der Kapazitätsgrenzen genehmigungspflichtige und nicht-genehmigungspflichtige Leistungen konvertierbar sind. Innerhalb der Kapazitätsgrenzen können Psychotherapeuten nun allein unter Versorgungsgesichtspunkten entscheiden, welche Leistungen sie erbringen wollen. Sie müssen nicht mehr befürchten, dass – wie in der Vergangenheit – die Honorierung der nicht-genehmigungspflichtigen Leistungen gegen Null tendiert. Psychotherapeuten können sich jetzt z. B. kurzfristig ein Bild vom akuten Versorgungsbedarf der Patienten auf ihrer Warteliste machen. Dies führe, so Richter, wie von einigen Kassenärztlichen Vereinigungen befürchtet, nicht zu einer ungesteuerten Mengenentwicklung, da die Behandlungszeit von Psychotherapeuten auf maximal 38 Stunden für Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung je Woche begrenzt sei.
Der 14. DPT appellierte an die gemeinsame Selbstverwaltung von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen, die unter Versorgungsgesichtspunkten notwendigen und sachdienlichen Entscheidungen zur Honorarreform 2009 nicht wieder zurückzunehmen (vgl. Resolution “Psychotherapeutische Versorgung sicherstellen”).
Morbiditätsorientierte Vergütung
Richter erinnerte daran, dass sich die Gesundheitspolitik beim GKV-WSG darin einig gewesen sei, dass die Gesamtvergütung – also das für die ambulante vertragsärztliche Versorgung zur Verfügung stehende Geld – die Morbiditätsentwicklung der Versicherten widerspiegeln solle. Dies könne für den somatischen Bereich gelingen. Für die Versorgung psychisch kranker Menschen sehe er jedoch große Probleme. Die Entwicklung der Morbidität werde für den vertragsärztlichen Bereich ab 2010 anhand ambulanter Diagnosen und des Behandlungsbedarfs geschätzt. Das dafür infrage kommende Klassifikationssystem könne jedoch den Versorgungsbedarf psychisch kranker Menschen nicht adäquat abbilden. Hauptursache sei, dass nur der Behandlungsbedarf der Patienten erfasst werden könne, die Zugang zum Versorgungssystem gefunden hätten. Nicht diagnostizierte, aber vor allem nicht behandelte Krankheiten – also alle Patienten auf Wartelisten – werden bei der Schätzung der Morbiditätsentwicklung unzureichend berücksichtigt. Der Behandlungsbedarf psychisch kranker Menschen werde deshalb strukturell unterschätzt – die Unterversorgung damit zementiert.
Die Klassifikationssysteme bauten zudem auf der de facto stattfindenden Versorgung auf. Sie seien blind u. a. für veränderte Behandlungskonzepte, wie sie z. B. in evidenzbasierten Leitlinien empfohlen werden. Richter regte eine Debatte um die Korrektur des § 87a Abs. 3 SGB V in der nächsten Gesundheitsreform an. Psychotherapeutische Leistungen müssten außerhalb der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung honoriert werden. Dies sei möglich, da die antrags- und genehmigungspflichtigen Leistungen durch Gutachter geprüft würden und auf gesicherten Indikationen und Genehmigungen der Krankenkassen beruhten. Weitere psychotherapeutische Leistungen würden durch die Kontingente bzw. Kapazitätsgrenzen höchst effektiv in der Menge begrenzt. Eine zusätzliche Mengensteuerung sei damit absolut verzichtbar.
Differenzierung der psychotherapeutischen Versorgung
Die Profession werde – so Richter – verstärkt auf die massive Unterversorgung psychisch kranker Menschen hinweisen und eine Ausweitung der Behandlungskapazitäten einfordern. Nach seiner Einschätzung sei die Gesundheitspolitik aber nur bereit, mehr Geld für eine Ausweitung der Behandlungsressourcen zu geben, wenn es gelänge, die heutigen Behandlungskapazitäten effizient einzusetzen. Dieser Debatte müsse sich die Profession stellen. Es werde darum gehen, zentrale Fragen zu klären, z. B.: Wer erhält Psychotherapie? Wie kann sichergestellt werden, dass psychisch kranke Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Schicht Zugang zu Psychotherapie finden und welchen Beitrag könnte dazu die hausärztliche Versorgung leisten? Wie lasse sich der Direktzugang zur Psychotherapie weiter sichern? Von mindestens ebenso großer Relevanz sei die Frage, ob die knappe Behandlungsressource Psychotherapie ausreichend bedarfsorientiert eingesetzt werde. Müssten angesichts des Mangels nicht andere Behandlungssettings, also z. B. mehr Gruppen- statt Einzeltherapie, gefördert werden? Brauche man nicht eine flexiblere Handhabung des psychotherapeutischen Behandlungsangebots mit Blick auf Länge und Frequenz? Wie könnten Kriterien aussehen, um zu entscheiden, welche Patienten mit Angeboten zum Selbstmanagement und zur Selbsthilfe zurecht kommen, welchen mit einer qualitätsgesicherten psychosomatischen Grundversorgung geholfen wäre, wann es einer Einzel- oder einer Gruppentherapie im ambulanten Setting bedürfe und wann Patienten eine sektorenübergreifende Versorgung durch multiprofessionelle Teams bräuchten? Wie könne durch die Zusammenarbeit verschiedener Professionen eine qualitätsgesicherte und effiziente Versorgung organisiert werden, in die sich jede Profession mit ihren Kompetenzen einbringt?
Richter erinnerte daran, dass multiprofessionelle Kooperation funktioniere, wenn sie leitlinienbasiert konzipiert sei. Das geeignete Kooperationsmodell sei Teamarbeit mit definierten Kompetenzen und auf Augenhöhe. Hierarchische Strukturen, die leider immer noch von einzelnen Gesundheitsberufen gefordert bzw. verteidigt werden, seien der Sache nicht dienlich. Bessere Bedingungen für multiprofessionelle Kooperation sei eine weitere zentrale Forderung für die 17. Legislaturperiode. Es gehe darum, gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen die fachlichen Grundlagen zu schaffen und die notwendigen politischen Weichenstellungen möglichst präzise zu formulieren.
Vor diesem Hintergrund stellte BPtK-Präsident Richter die folgenden Forderungen für die nächste Legislaturperiode zur Diskussion:
- Das Kompetenzprofil der Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten erlaube ein breiteres Tätigkeitsspektrum als derzeit, z. B. im Krankenhausbereich, realisiert. Psychotherapeuten seien bestens qualifiziert, um z. B. Leitungsfunktionen in psychiatrischen Institutsambulanzen, Tageskliniken und psychotherapeutisch ausgerichteten Stationen bzw. Behandlungsteams zu übernehmen.
- In einem Medizinischen Versorgungszentrum, in dem Angehörige unterschiedlicher Gesundheitsberufe, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, tätig sind, sollte neben einer kooperativen Leitung auch die Leitung durch einen Psychologischen Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten möglich sein (§ 95 Abs. 1 Satz 4 SGB V).
- In Vertragsarzt- bzw. Vertragspsychotherapeutenpraxen sollten Psychotherapeuten genauso wie Ärzte Arbeitgeber für die anderen an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Berufsgruppen sein können (§ 95 Abs. 9 SGB V).
- Notwendig sei auch eine Relativierung des ärztlichen Verordnungs- und Überweisungsvorbehalts (§ 73 SGB V). Die Verordnung von Heilmitteln, wie z. B. Logopädie und Ergotherapie, die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit sowie die Überweisung in ein Krankenhaus gehörten zum Kompetenzprofil der Psychotherapeuten. Zu prüfen sei auch, ob über entsprechende freiwillige, zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen Psychotherapeuten die Kompetenz zur Verordnung von Arzneimitteln erhalten sollten.
- Psychotherapeuten sollten sich genauso wie Vertragsärzte um eine präventiv ausgerichtete Gesundheitsversorgung bemühen können. Dazu bedürfe es einer Klarstellung, z. B. im Psychotherapeutengesetz und im § 73 SGB V.