Keine indikationsbezogene Zulassung
Der G-BA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess erläuterte die gesetzlichen Grundlagen, wie neue psychotherapeutische Verfahren zuzulassen sind. Die Bewertung einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Behandlung nach § 135 Abs. 1 SGB V sei eine Voraussetzung für deren Anerkennung als GKV-Leistung. Dies gelte laut Verfahrensordnung ausdrücklich auch für Psychotherapieverfahren.
Die Verfahrensordnung müsse nach § 91 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 eine einheitliche Definition der methodischen Anforderungen leisten. Die Gesprächspsychotherapie sei der erste Anwendungsfall, der die erforderliche Anpassung der Psychotherapie-Richtlinien nun forciert habe. Rainer Hess wies weiter darauf hin, dass der G-BA keine indikationsbezogene Zulassung der Psychotherapieverfahren beabsichtige. Im Interesse der Patienten sei es vielmehr erforderlich, dass zugelassene Psychotherapeuten auch weiterhin umfassend psychotherapeutisch tätig werden können. Gerade deshalb müsse ein Psychotherapeut in der Lage sein, in den versorgungsrelevanten Anwendungsbereichen einen Patienten zu behandeln.
Die bisherige Anforderung, dass ein neues Verfahren im Vergleich mit einem zugelassenen Verfahren einen zusätzlichen Nutzen zu belegen habe, könne aus Gründen der Gleichbehandlung der Verfahren nicht aufrechterhalten werden. Ebenso falle der bisher verlangte Nachweis weg, dass ein neues Verfahren, über zehn Jahre in der ambulanten Versorgung wissenschaftlich nachgewiesen, erfolgreich angewendet worden ist. Die neuen Regelungen ermöglichten es zudem, dass psychotherapeutische Methoden unabhängig von Verfahren zugelassen werden können, wenn ein indikationsbezogener Nutzennachweis möglich sei.
Drei Studien pro Anwendungsbereich
Prof. Dr. Sven Olaf Hoffmann (Universität Mainz) referierte, dass nach Ansicht der Expertenkommission pro Anwendungsbereich mindestens drei methodisch adäquate Studien (mit Kontrollgruppenbedingung) erforderlich sein sollten, um die Wirksamkeit eines Verfahrens ausreichend zu belegen. Mindestens eine Studie sollte eine Katamnese einschließen, die den längerfristigen Behandlungserfolg nachweist. Bei den allgemeinen Anwendungsbereichen sollten sich die Studien wegen der Breite der Anwendungsbereiche auf mindestens zwei qualitativ verschiedene Subkategorien des Anwendungsbereichs beziehen. Auch bei fehlendem Nachweis in einzelnen Anwendungsbereichen soll es allerdings aufgrund des Wirksamkeitsnachweises in mehreren Hauptanwendungsbereichen möglich sein, insgesamt die generelle Wirksamkeit eines psychotherapeutischen Verfahrens zu bestätigen.
Erforschung der realen Praxis
Prof. Dr. Horst Kächele (Universitätsklinikum Ulm) kritisierte die Dominanz der randomisierten Studien bei der Bewertung von Psychotherapieverfahren. In der internationalen Psychotherapieforschung werde zunehmend eine Ergänzung um die Effectiveness-Forschung gefordert. Horst Kächele schlug daher ein Stufenmodell – ähnlich der Pharmaforschung – vor, bei der auf einer frühen Stufe kontrollierte klinische Studien unter Idealbedingungen durchgeführt werden. Im weiteren Verlauf der Entwicklung und Erforschung einer Psychotherapiemethode sollten diese Studien um so genannte effectiveness-Studien unter realen Praxisbedingungen ergänzt werden.
Multimorbidität
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Universität Osnabrück) kritisierte dagegen, dass sich die gegenwärtige Forschung zu sehr an den Methoden der Pharmaforschung orientiere. Andere methodologische Ansätze, u. a. der qualitativen Forschung und der Effektiveness-Forschung würden bei der Prüfung, ob ein psychotherapeutisches Verfahren wirksam sein, nicht ausreichend berücksichtigt. Es mangele an Forschung, die sich an ätiologischen Kategorien, z. B. an Konfliktkonstellationen, orientiere. Ferner werde die Multimorbidität der meisten psychisch erkrankten Patienten in randomisierten Studien nicht abgebildet. In Diskussionsbeiträgen wurde darauf hingewiesen, dass mittlerweile über 50 Prozent der randomisierten Studien zur generalisierten Angststörung auch Patienten mit verschiedenen komorbiden Störungen berücksichtigten.