Bundesratinitiative gefährdet bisherige Erfolge
Eltern in Deutschland nutzen die freiwilligen kinderärztlichen Früherkennungsuntersuchungen (U1 bis U9) ausgesprochen gut – das macht ein europäischer Vergleich von Gesundheitschecks für Eltern und Kinder deutlich.
“Deutsche Eltern nutzen die U1- bis U9-Untersuchungen in sehr hohem Maße. Mehr ist kaum möglich. Deutschland erzielt auch im europäischen Vergleich Höchstwerte”, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, anlässlich der Sitzung des Bundesrates am Freitag, den 24.11.2006 fest.
Strengere Kontrollen der Eltern, wie in einer Bundesratsinitiative gefordert, werden die Beteiligung der Eltern kaum erhöhen, könnten aber bisherige Erfolge gefährden und das Vertrauen der Eltern verspielen. “Kinderärzte werden dadurch zu einer Erziehungspolizei, der viele Eltern mit Misstrauen und Abwehr begegnen werden”, warnte der BPtK-Präsident. Dagegen blieben für die Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, selbst bei verpflichtenden Untersuchungen zeitliche Spielräume, ihre Kinder gesund zu präsentieren.
Österreich macht beispielsweise die Höhe seines “Kinderbetreuungsgeldes” von dem Nachweis abhängig, dass ärztliche Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen werden. Trotzdem liegen die Teilnahmeraten in Österreich unter den deutschen Werten: In Österreich beteiligen sich im ersten und zweiten Lebensjahr 85 Prozent, im dritten Lebensjahr rund 80, im vierten Lebensjahr etwa 65 Prozent und im fünften Lebensjahr nur noch 35 Prozent. (Deutschland: siehe Tabelle).
In den Niederlanden sind “Beratungsbüros” in den Gemeinden damit beauftragt, Eltern in den ersten vier Jahren regelmäßig zu Gesundheitschecks einzuladen. Rund 96 Prozent der Eltern beteiligen sich dort im ersten Jahr an den Untersuchungen, bei den nachfolgenden sind es noch etwa 85 Prozent.
Dänemark hat ein freiwilliges Programm, das dem deutschen System ähnelt: Die Raten liegen im ersten Lebensjahr des Kindes bei 93 bis 95 Prozent und sinken dann bis auf 65 Prozent. In Finnland nehmen freiwillig zwischen 96 und 97 Prozent teil. In Belgien übernimmt teilweise der schulärztliche Dienst verpflichtende Untersuchungen ab dem Alter von 2,5 Jahren und erreicht damit bis zum Alter von 18 Jahren Quoten von 95 Prozent.
“Statt mehr Druck auf die Eltern auszuüben, sollte der Gesetzgeber die Qualität der Früherkennungsuntersuchungen verbessern”, stellte BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter fest. Die kinderärztlichen U1- bis U9-Untersuchungen erfassen bisher nicht den psychosozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklungsstand eines Kindes, obwohl zuverlässige und praktikable Screening-Instrumente für hyperkinetische Störungen, Störungen des Sozialverhaltens und Entwicklungsstörungen verfügbar sind. Außerdem müssten Checklisten zur Diagnose von Misshandlung und Vernachlässigung Eingang in die Früherkennungsuntersuchungen finden.