Depressionen: Fachlich empfohlene Behandlung die Ausnahme
Ergebnisse des „Faktenchecks Depression“ der Bertelsmann Stiftung
Nur etwa zwölf Prozent der Patienten, die an einer schweren Depression erkrankt sind, erhalten die fachlich empfohlene Kombinationsbehandlung aus Psychotherapie und Medikamenten. Weitere 14 Prozent erhalten eine stationäre Behandlung, bei der in der Regel sowohl psychotherapeutisch als auch pharmakologisch behandelt werden dürfte. Immerhin 18 Prozent der Patienten mit einer schweren Depression erhalten jedoch weder eine Psychotherapie noch eine Pharmakotherapie. Etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen erhalten nur eine der empfohlenen Behandlungsformen. Das sind die Ergebnisse des „Faktenchecks Depression“ der Bertelsmann Stiftung. Nach Empfehlungen der „Nationalen VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression“ sollen schwer depressiv kranke Menschen mit einer Kombination aus Psychotherapie und einem Antidepressivum behandelt werden.
„Es wird zu wenig getan, um eine leitliniengerechte Versorgung von psychisch kranken Menschen in der Praxis zu ermöglichen“, kritisiert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). „Ein Grund dafür, dass schwer depressive Menschen viel zu häufig rein medikamentös behandelt werden, ist jedoch, dass es viel zu wenige psychotherapeutische Behandlungsplätze gibt. In Deutschland müssen psychisch Kranke durchschnittlich mehr als drei Monaten auf einen ersten Termin bei einem Psychotherapeuten warten.“
Die Bertelsmann-Studie belegt erhebliche regionale Unterschiede in der Behandlung schwer depressiv kranker Menschen. In einigen Kreisen werden nur knapp zehn Prozent der Patienten richtig versorgt, in anderen sind es knapp 40 Prozent. Insbesondere in ländlichen Regionen und in den neuen Bundesländern werden diese Patienten seltener leitliniengerecht behandelt. Aber selbst in Kreisen, in denen deutlich mehr Psychotherapeuten und Psychiater zur Verfügung stehen, erhalten weniger als die Hälfte der Patienten die fachlich empfohlene Behandlung.
Ferner zeigt die Bertelsmann-Studie, dass Patienten mit zunehmendem Alter immer häufiger einseitig mit Medikamenten oder gar nicht behandelt werden. Über 60-jährige Patienten mit schweren Depressionen werden nur noch in rund zehn Prozent der Fälle fachlich richtig therapiert. Im Vergleich dazu erhält etwa ein Drittel der 18- bis 50-Jährigen eine leitlinienorientierte Behandlung. Auch leichte Depressionen werden im Alter zunehmend mit Antidepressiva behandelt. Diese Entwicklung ist bei Frauen im höheren Alter noch stärker ausgeprägt als bei Männern. Zugleich erhalten ältere Patienten immer seltener eine Psychotherapie, obwohl die Wirksamkeit der Psychotherapie auch bei älteren Menschen gut belegt ist und obwohl wegen der pharmakologischen Behandlung körperlicher Erkrankungen im Alter bei der Gabe von Antidepressiva besondere Vorsicht geboten ist.
Depressive Störungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen und gehen mit erheblichen Beeinträchtigungen einher. Nach den aktuellen Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) des Robert Koch-Instituts leiden im Verlauf eines Jahres circa acht Prozent der erwachsenen Bevölkerung an einer Depression. Jeder fünfte Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens mindestens einmal an einer Depression. Depressionen sind inzwischen eine der häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit und Minderung der Erwerbsfähigkeit. Insbesondere bei schweren Depressionen besteht darüber hinaus ein erhebliches Suizidrisiko.
Die komplette Studie und weitere Hintergrundinformationen können unter faktencheck-gesundheit.de abgerufen werden.
Veröffentlicht am 21. März 2014