Die neue 3sat-Serie "In Treatment - Der Therapeut"
Interview mit BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter
Heute beginnt um 21:00 Uhr die neue 3sat-Serie "In Treatment - Der Therapeut". Jede der 43 Folgen der US-amerikanischen Serie entspricht einer psychotherapeutischen Sitzung. Der irische Schauspieler Gabriel Byrne verkörpert den Psychotherapeuten so überzeugend, dass er 2009 den Golden Globe als bester Darsteller erhielt.
Herr Prof. Dr. Richter: Wie realistisch ist die neue Serie? Kann man sich eine Psychotherapie so vorstellen?
Ja, die Serie ist sogar ziemlich authentisch. Sie zeigt anschaulich, was sich in einer Psychotherapie, die sich ja für gewöhnlich hinter geschlossenen Türen abspielt, ereignet. Der Zuschauer erhält einen intensiven Eindruck von der persönlichen, vertrauensvollen Atmosphäre und der besonderen Art des therapeutischen Gesprächs. Der Zuschauer soll sich ganz offensichtlich wie ein Patient fühlen, der einmal pro Woche zu seinem Psychotherapeuten geht. So geht es auch dem Zuschauer: Montags sieht er die Patientin Laura, dienstags den Luftwaffenpiloten Alex, mittwochs Sophie usw. Die hohe Authentizität wird dadurch weiter gesteigert, dass nur das Gespräch in der Praxis des Psychotherapeuten gezeigt wird. Es gibt keine weiteren Personen, fast keine Handlungen, weder filmische Schnitte in die Welt außerhalb der Therapie noch in die Zeit davor, kaum musikalische Untermalungen. Obwohl Erinnerungen an vergangene Lebensereignisse Thema sind und wir an die Orte des Geschehens geführt werden, spielt die Serie im Hier und Jetzt der Beziehung zwischen Patient und Therapeut, wie wir das in der Fachsprache nennen. Die beiden reden über Dinge im Dort und Damals des Patienten und sind doch zugleich in höchstem Maße emotional aufeinander bezogen, zuweilen konflikthaft verstrickt. Wie in einer Psychotherapie lernt der Zuschauer die Personen, über die der Patient berichtet, nur durch dessen Augen kennen. Alles, was der Zuschauer über das Geschehen außerhalb des Psychotherapieraums weiß, ist durch seine eigenen Phantasien und Vorstellungen geprägt.
Diese realistische und authentische Darstellung einer Psychotherapie ist sicherlich der Grund dafür, dass die Serie zuerst in Israel und dann in den USA so bekannt wurde. Entweder man wird von den Gesprächen in den Bann gezogen oder man ist völlig gelangweilt. Das wiederum gilt für die gesellschaftliche Akzeptanz der Psychotherapie gleichermaßen: Es gibt starke Befürworter in den Medien, wie zuletzt z. B. Carla Bruni, ebenso wie vehemente Gegner, wie jüngst Werner Herzog.
Die Patienten offenbaren ihre Ängste und Geheimnisse. Was ist das besondere des psychotherapeutischen Gesprächs und der therapeutischen Beziehung? Wie voyeuristisch ist der Blick in die psychotherapeutische Praxis?
Es ist kein voyeuristischer Blick, sondern ein Blick in eine ansonsten verborgene Welt, deren Geschichten berühren und deren Gespräche sehr offen und ernsthaft sind. Auch gute Kinofilme zeigen dem Zuschauer, wie trügerisch der erste Eindruck ist und dass manchmal hinter der Alltagsoberfläche noch eine ganz andere Welt existiert. Der Zuschauer lernt in dieser Fernsehserie die Welt der unbewussten Konflikte und der Emotionen genauer kennen, die keinem von uns unmittelbar zugänglich sind. Er bekommt vor Augen geführt, wie heftig seelisches Leid die Menschen beeinträchtigt, wie schwierig es ist, sich selbst zu verstehen, und wie sich schwere Konflikte zu psychischen Symptomen auswachsen können.
Die Serie zeigt auch: Die Behandlung von seelischen Störungen benötigt vor allem Zeit und ist viel aufwändiger als das Ausstellen eines Rezepts. Die erste Patientin ist bereits seit einem Jahr in Behandlung und erst zu diesem Zeitpunkt kommt es zu einem dramatischen Höhepunkt, den der Film komprimiert in 30 Minuten entwickelt. Für Psychotherapeuten ist die Beziehungsdynamik der Sitzungen sehr vertraut, sie ist sehr menschlich. Für den Zuschauer, der jedoch nicht weiß, wie eine psychotherapeutische Sitzung abläuft, zeigt die Fernsehserie auch: Dort passiert nichts Unheimliches, eher eine Menge Überraschendes. Es geht nicht nur um tiefen Schmerz, Verzweifelung, Hass, Verletzungen, sondern auch um die ganz normalen Dramen des Lebens, die hier in einem konzentrierten Dialog zweier Menschen, die sich auf einander einlassen, vorgeführt werden. Manchmal ist es ja auch nur ein minutenlanger Monolog des Patienten. Das Besondere: Der Patient darf über alles reden, aber es wird nicht gehandelt. Dabei wird in der Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient deutlich, wie stark die seelischen Erschütterungen sein können. Der Psychotherapeut ist kein emotional Unbeteiligter, sondern zugleich verstrickt und Distanz wahrend. Der Zuschauer kann dies gut nachvollziehen. Jeder kann sich vorstellen, dass es ihm ähnlich ergehen könnte. Und in diesem Moment liegt die große Chance der Psychotherapie: die Einsicht, dass man Hilfe benötigt, und die Entscheidung, sich seinem seelischen Leiden zu stellen. Das kann der Anfang einer Psychotherapie und der seelischen Genesung sein. Bei körperlichen Erkrankungen ist der Gang zum Arzt eine Selbstverständlichkeit. Viele Menschen scheuen sich aber noch, zum Psychotherapeuten zu gehen. Die Serie zeigt, was in einer psychotherapeutischen Praxis passiert. Es ist etwas, das Patient und Psychotherapeut manchmal sehr herausfordert, aber es ist nichts, vor dem man grundsätzlich Angst haben müsste.
Die Serie führt damit auch einen Grundtypus des modernen Gesprächs vor: das Gespräch über Gefühle und seelische Konflikte. Braucht denn jeder, der sich von seinem Partner trennt, eine Psychotherapie?
Trennungen, Verlusterlebnisse gehören wie andere Belastungen zu den erwartbaren Lebensereignissen, die die meisten Menschen bewältigen, ohne zu erkranken. Wenn Sie niedergeschlagen sind, weil Sie sich von ihrem Lebenspartner getrennt haben, dann sind Sie nicht krank. Sich aus einer wichtigen Beziehung zu lösen, kann durchaus Wochen und manchmal sogar Monate dauern, deshalb müssen Sie aber nicht behandelt werden. Grundsätzlich sind Menschen psychisch stabil genug, um phasenweise triste und trübselige Gefühle auszuhalten. Dabei sind Gespräche mit nahen und vertrauten Personen hilfreich. Eine Behandlung brauchen Sie erst, wenn Sie einfach nicht mehr weiterwissen, wenn Sie fast täglich niedergeschlagen sind, wenn Sie aus dem seelischen Tief nicht mehr herauskommen, wenn Ihre Gefühle Sie so lahmlegen, dass Sie in Ihrem Alltag erheblich beeinträchtigt sind. Die Übergänge zwischen psychischer Krise und Krankheit sind mitunter fließend, aber ein Gespräch mit einem Psychotherapeuten kann helfen, das zu klären, oder den notwendigen Anstoß liefern, sich selbst wieder aufzurappeln. Eine psychotherapeutische Behandlung kann auch kurz sein.
Gleich in der ersten Folge gesteht eine Patientin dem Therapeuten ihre Liebe? Passiert dies oft?
Es passiert nicht oft, aber es kann natürlich passieren. Aber wie der Psychotherapeut in der Fernsehserie darf auch ein realer Psychotherapeut auf diese Wünsche des Patienten nicht eingehen, er wird keine private Beziehung zum Patienten entwickeln, sondern wahrt seine professionelle Haltung. Da sind die fachlichen Anforderungen eindeutig und die berufsrechtlichen Regeln sehr streng. In einer Psychotherapie muss sich der Patient ohne Angst über alles unterhalten können, er muss dem Psychotherapeut vorbehaltlos vertrauen können. Deswegen ist die Schweigepflicht im Bereich der Psychotherapie von besonderer Bedeutung. Es darf deshalb aber auch keinen privaten Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patient geben. Der Patient soll dem Psychotherapeuten als professionellen Fachmann vertrauen können. Das ist übrigens etwas, womit sich viele Menschen erst einmal schwer tun: Zu Beginn der zweiten Folge der Serie ist der Patient misstrauisch und fragt sich und den Therapeuten: Warum soll ich überhaupt mit einem Fremden über meine privatesten Gedanken reden, über die ich nicht einmal mit meinem Partner oder meinen besten Freunden rede, oder gar über Gedanken, die ich mir selbst nicht eingestehe?
Belastende Gefühle sind häufig unbewusst, wirken untergründig. Auch hier ist die filmische Darstellung einer Psychotherapie sehr realistisch. Der Zuschauer hört Dinge, die der Patient nicht sagt, manche Sätze haben Bedeutungen, die vom Patienten bewusst nicht beabsichtigt waren, welche dem Therapeuten, dem Zuschauer aber ein tieferes Verständnis des Patienten ermöglichen. So geht es dem Therapeuten, etwa wenn der Kampfflieger Alex nicht darüber hinwegkommt, dass er im Einsatz 16 Kinder getötet hat, Schuldgefühle aber verneint. Oder wenn Alex den bitteren Kaffee, den der Therapeut ihm reichte, ausspuckt, gerade so, als wenn er das, was der Therapeut ihm gesagt hat, ausspucken wollte. Bei Posttraumatischen Belastungsstörungen spürt der Soldat mitunter wochen- und monatelang nichts von seinen seelischen Verletzungen. Das erschütternde Erlebnis holt ihn oft erst viel später wieder ein. Und dann braucht er unbedingt fachmännische Hilfe, sonst gerät sein ganzes Leben aus den Fugen.
Das psychotherapeutische Gespräch ist zum Prototyp des modernen Gesprächs über Gefühle geworden. Dürfen wir überhaupt noch über Gefühle reden, ohne dass es sich gleich wie ein psychotherapeutisches Gespräch anhört? Kann man aus der Serie auch etwas für Gespräche mit Freunden lernen?
Die eigentliche Botschaft der Fernsehserie ist: Das, was das Leben ausmacht, ist eng verbunden mit unseren Gefühlen, mit unseren Vorstellungen und Phantasien, mit unseren Konflikten und zwar besonders denjenigen, die uns verborgen, nicht bewusst sind und doch gleichwohl unser Erleben und unser Handeln lenken. Im Austausch mit anderen, uns nahestehenden Menschen können uns diese bewusster werden und uns so helfen, ein tieferes Selbstverständnis zu erlangen. Solche Gespräche sind wechselseitig, d. h. beide helfen einander, sich selber besser zu verstehen.
In der Serie ist der Psychotherapeut sehr zurückhaltend, was das Sprechen über sich selber, seine eigenen Konflikte, seine Bewertungen angeht. Diese Haltung kann durchaus dann vorteilhaft sein, wenn Sie einem Freund, Angehörigen oder Arbeitskollegen bei dessen Problemen helfen wollen. Das Gespräch ist dann in der Regel kein wechselseitiges mehr, sondern der eine versucht, dem anderen zu helfen. Allerdings sollten Sie nicht versuchen, einer Ihnen nahestehenden Person "psychotherapeutisch" helfen zu wollen. Das geht in der Regel schief. Wir gehen ja auch nicht zu einem guten Freund und lassen uns von ihm den Blinddarm operieren. Es hat seinen Grund, dass Psychotherapeuten nie einen ihnen vertrauten oder gut bekannten Menschen in Behandlung nehmen.
Veröffentlicht am 15. Februar 2010