GKV-Spitzenverband ignoriert Unterversorgung psychisch kranker Menschen
Mehr psychotherapeutische Praxen notwendig
Der GKV-Spitzenverband betreibt Pressepolitik nach buddhistischen Regeln: „Nichts (Schlechtes) sehen, nichts (Schlechtes) hören, nichts (Schlechtes) sagen.“ Danach steht Gesundheit bei den gesetzlichen Krankenkassen an erster Stelle. „Ganz normal“, vermeldet stolz ihr Spitzenverband.
Tatsächlich ist nichts normal in der psychotherapeutischen Versorgung: Ein psychisch kranker Mensch wartet weit länger auf eine Behandlung als jeder körperlich kranke. Wer kurzfristig einen Psychotherapeuten sucht, findet keinen. Viele Patienten sind mit der aufwändigen und langwierigen Suche nach einem Therapieplatz überfordert und geben auf. Wer gar nicht mehr weiter weiß, muss sich an psychiatrische oder psychosomatische Krankenhäuser wenden. „Wenn der GKV-Spitzenverband behauptet, in der psychotherapeutischen Versorgung sei alles normal, muss er Augen und Ohren fest verschließen vor den Sorgen und Nöten der Versicherten“, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Die Diskussionen um das GKV-Versorgungsstrukturgesetz haben doch eins sehr deutlich gezeigt: Psychisch kranke Menschen warten unzumutbar lange auf einen Behandlungsplatz.“
Nach einer BPtK-Umfrage warten Patienten in Deutschland durchschnittlich 12,5 Wochen auf ein erstes Gespräch bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten (in Städten durchschnittlich 9,3 Wochen, in ländlichen Regionen 15,3 Wochen). Insbesondere auf dem Land besteht eine dramatische Unterversorgung mit bis zu neunmal weniger Psychotherapeuten pro 100.000 Einwohner als in den Großstädten. In Deutschland erkranken jährlich mindestens fünf Millionen Menschen an einer schweren psychischen Erkrankung und sind dringend behandlungsbedürftig. Diesem Behandlungsbedarf stehen lediglich 1,5 Millionen psychotherapeutische Behandlungsplätze im ambulanten und stationären Bereich gegenüber. Die Zahl der psychisch kranken Arbeitnehmer steigt Jahr für Jahr. Die Krankenkassen geben jährlich bereits mehr Geld für Krankengeld aufgrund psychischer Erkrankungen (2 Milliarden Euro) aus als für deren Behandlung (1,35 Milliarden Euro). Die Kosten für Psycholeptika und Psychoanaleptika beliefen sich im Jahr 2009 auf knapp 2,5 Milliarden Euro. Psychische Erkrankungen sind seit vielen Jahren der Hauptgrund für Frührenten. „Ein angemessenes Versorgungsangebot für psychisch kranke Menschen wäre für die gesetzlichen Krankenkassen deutlich günstiger, als Patienten monatelang warten zu lassen“, erklärt BPtK-Präsident Richter.
Veröffentlicht am 29. November 2011