Jeder dritte Deutsche leidet jährlich an einer psychischen Erkrankung
Ergebnisse des BARMER-GEK Report 2010
Fast jeder dritte Deutsche litt 2008 an einer psychischen Erkrankung. Das stellt der BARMER-GEK Report 2010 fest. Bei 29,2 Prozent der GEK-Versicherten wurde 2008 eine seelische Störung diagnostiziert. Hochgerechnet auf die Bevölkerung sind dies rund 24 Millionen Menschen, davon 9,5 Millionen Männer und 14,5 Millionen Frauen.
Die häufigste Diagnose lautete Depression, wegen der fast jeder 12. Deutsche (8,6 Prozent) behandelt wurde. Fünf Prozent der depressiven Patienten waren Männer, 12 Prozent Frauen. "Psychische Krankheiten sind weit häufiger als der Öffentlichkeit bewusst", stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. "In Deutschland fehlen rund 3,5 Millionen Behandlungsplätze für psychisch kranke Menschen. Aufgrund dieser massiven Unterversorgung ist dringend eine Reform der Bedarfsplanung in der gesetzlichen Krankenversicherung notwendig."
Psychische Krankheiten jahrzehntelang unterschätzt
Die Zahlen des BARMER-GEK Report 2010 stimmen mit den Schätzungen aus wissenschaftlichen Untersuchungen überein und unterstreichen die enorme Bedeutung psychischer Erkrankungen im Gesundheitswesen. Deshalb ist der wachsende Anteil von Arbeitnehmern, die aufgrund einer seelischen Störung arbeitsunfähig sind, nicht überraschend. Der geringere Anteil in früheren Jahren ist auch darauf zurückzuführen, dass Symptome für psychische Krankheiten jahrzehntelang übersehen oder nicht richtig diagnostiziert wurden. Ob insgesamt heute mehr Menschen als früher psychisch erkranken, ist wissenschaftlich für Deutschland noch nicht zu beurteilen, weil entsprechende Studien fehlen. Studien in angelsächsischen Ländern lassen allerdings vermuten, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen konstant ist oder nur geringfügig steigt.
Arbeitsunfähigkeit
Im Jahr 2008 waren Versicherte laut BARMER-GEK Report durchschnittlich 14,2 Tage krankgeschrieben. Der Anteil psychischer Erkrankungen stieg weiter. 11,9 Prozent der Fehlzeiten waren durch psychische Störungen bedingt (2007: 11,2 Prozent). Diese Zunahme geht mit einem Trend einher, der sich seit den 1990er Jahren fortsetzt und sich auch in den Gesundheitsreports der anderen Krankenkassen wiederfindet. Psychische Krankheiten führen vor allem zu besonders langen Arbeitsausfällen. Ein BARMER-Versicherter, der aufgrund einer psychischen Störung krankgeschrieben wurde, fehlte durchschnittlich rund 40 Tage an seinem Arbeitsplatz. Bei Versicherten, die an einer schweren Depression erkrankten, waren dies sogar 13 Wochen.
Arztbesuche
Der BARMER-GEK Report berichtet darüber hinaus über einen weiteren Anstieg der Arztkontakte. Neun von zehn Versicherten konsultierten 2008 mindestens einmal einen Arzt. Die Anzahl der Behandlungsfälle ("Krankenscheine") stieg von 7,08 auf 7,45 pro Versichertem. Durchschnittlich nahm damit jeder Versicherte 18mal einen Arzt in Anspruch, schätzt die Krankenkasse. Im internationalen Vergleich fällt die Zahl der Arztbesuche ausgesprochen hoch aus. Dafür dauert ein Gespräch mit einem deutschen Arzt durchschnittlich nur acht Minuten. In anderen Ländern nehmen sich Ärzte doppelt so lange Zeit für ihre Patienten.
BARMER-GEK fordert aufgrund der häufigen Arztkontakte in Deutschland eine stärker hausarztzentrierte Versorgung. Allerdings könnte ein Hausarzt, der als Pförtner ("Gatekeeper") fungiert, bei Patienten mit einer psychischen Erkrankung eine abschreckende Wirkung haben. "Der direkte Zugang zum Psychotherapeuten hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich Patienten bei seelischen Erkrankungen ohne Angst vor Stigmatisierung professioneller Unterstützung versichern", erklärt BPtK-Präsident Richter. "Bei einem Psychotherapeuten hat jeder Patient ausreichend Zeit, seinen Behandler persönlich kennenzulernen. Erst dadurch sind ein offenes Gespräch über seelische Notlagen und eine erfolgreiche Behandlung möglich."
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Veröffentlicht am 12. Februar 2010