Neues "BPtK-Spezial"
Morbi-RSA und psychisch kranke Menschen
Das neue "BPtK-Spezial" beschreibt die Auswirkungen, die der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) auf die Versorgung psychisch kranker Menschen haben kann. Ab 2009 ist neben dem Gesundheitsfonds auch ein Morbi-RSA geplant, mit dem die unterschiedlichen Krankheitsrisiken der Versicherten zwischen den gesetzlichen Krankenkassen ausgeglichen werden sollen.
Das Bundesversicherungsamt (BVA) legt bis zum 1. Juli 2008 fest, welche Krankheiten im Morbi-RSA ausgleichsfähig sind. Das BVA lässt sich dabei vom "Wissenschaftlichen Beirat zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs" beraten. Dieser legte im Januar 2008 ein Gutachten vor, in dem er 80 Krankheiten empfahl, die im Morbi-RSA berücksichtigt werden sollen.
Drei Aspekte sind für die Versorgung psychisch kranker Menschen entscheidend:
ADS nicht berücksichtigt
Für Krankheiten, die nicht im Morbi-RSA berücksichtigt werden, erhalten die Krankenkassen künftig nur eine Grundpauschale und Zuschläge in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht. Die Durchschnittsausgaben für kranke Menschen dürften im Regelfall darüber liegen. Das bedeutet, diese Patienten sind schlechte Risiken. Deshalb ist zu befürchten, dass Krankenkassen bei diesen Erkrankungen spezielle Versorgungsprogramme vermeiden bzw. auf rigides Kostenmanagement setzen. Besonders problematisch ist daher, dass ausgerechnet die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (AD(H)S) - eine der häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen - nicht zu den Krankheiten des Morbi-RSA gehört. Grund für den Ausschluss ist, dass AD(H)S vor allem bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert wird. Berücksichtigungsfähig sind aber nur Krankheiten, bei denen die Durchschnittsausgaben pro Versicherten insgesamt über einem gesetzlich definierten Schwellenwert liegen. Dieses Kriterium erfüllen in erster Linie Krankheiten, die in späteren Lebensphasen, kombiniert mit weiteren Erkrankungen, auftreten. Eine Altersadjustierung des Schwellenwertes könnte den systematischen Ausschluss von Kinderkrankheiten verhindern.
Unter- und Fehlversorgung bei Depression
Für Krankheiten, die im Morbi-RSA berücksichtigt werden, erhalten die Krankenkassen risikoadjustierte Zuschläge, die in etwa das durchschnittliche Ausgabenrisiko abbilden werden - gemessen am Status quo der Versorgung. Das aber bedeutet: Die Höhe der Zuschläge spiegelt die bestehende Unter- und Fehlversorgung wider. Das BPtK-Spezial zeigt anhand von Versorgungsdaten, wie häufig Patienten mit Depressionen nicht leitliniengerecht behandelt werden. Weder bei leichten bis mittelschweren Depressionen, bei denen eine Wahlmöglichkeit zwischen Psychotherapie und Pharmakotherapie bestehen sollte, noch bei schweren Depressionen, bei denen eine Kombinationsbehandlung das Mittel der Wahl wäre. Menschen mit Depressionen werden ausgesprochen häufig überhaupt nicht behandelt oder sie erhalten ausschließlich Pharmakotherapie. Psychotherapie kommt jedenfalls viel zu kurz. Bei Depressionen - das belegen die Daten im BPtK-Spezial - besteht eine massive Unter- und Fehlversorgung. Die risikoadjustierten Zuschläge werden daher voraussichtlich zu niedrig ausfallen. Krankenkassen fehlt damit jeder Anreiz, in eine bessere Depressionsbehandlung zu investieren.
Psychotherapie und Arzneimittelverordnungen als Aufgreifkriterien nutzen
Für die Berechnung der risikoadjustierten Zuschläge werden so genannte Morbiditätsgruppen gebildet. Hierbei sollen die verordneten Arzneimittelwirkstoffe als Aufgreifkriterium eine zentrale Rolle spielen. Dies könnte im Ergebnis dazu führen, dass Zuschläge im Morbi-RSA bei psychischen Krankheiten nur gezahlt werden, wenn dem Patienten ein Arzneimittelwirkstoff verordnet wurde. Für Krankenkassen wäre es dann wirtschaftlich rational, ihr Engagement für eine bessere Versorgung auf eine Förderung der Compliance in der Pharmakotherapie zu beschränken. Wenn Psychotherapie als Aufgreifkriterium herangezogen wird, lassen sich solch problematischen Fehlanreize vermeiden. Die Einführung des Morbi-RSA gilt als wesentliche Voraussetzung eines funktionsfähigen Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung. Den gewünschten Wettbewerb um mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Versorgung psychisch kranker Menschen wird es jedoch nur geben, wenn der Morbi-RSA psychische Krankheiten im Morbiditätsfilter berücksichtigt und bei der Berechnung der Zuweisungen für Unter und Fehlversorgung eine angemessene Lösung gefunden wird
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Veröffentlicht am 12. März 2008