OVG Nordrhein-Westfalen
Urteil gegen Gesprächspsychotherapie aufgehoben
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen in Münster hat am 15. Januar 2008 ein Urteil des Verwaltungsgerichts in Köln vom 10. November 2004 zur Gesprächspsychotherapie aufgehoben. In diesem Rechtsstreit war dem Ausbildungsinstitut für Gesprächspsychotherapie GmbH Essen die staatliche Anerkennung verwehrt worden.
Das Essener Institut hatte beim Landesprüfungsamt für Medizin, Psychotherapie und Pharmazie in Düsseldorf beantragt, als Ausbildungsstätte für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit vertiefter Ausbildung in Gesprächspsychotherapie zugelassen zu werden. Die Landesbehörde hatte dies abgelehnt mit der Begründung, der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie (WBP) habe im September 2005 die Gesprächspsychotherapie als wissenschaftliches Verfahren zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen nicht anerkannt. Das OVG Nordrhein-Westfalen verpflichtete das Landesprüfungsamt, neu zu bescheiden. Die Behörde ist an die Rechtsauffassung des Gerichts 2008 gebunden.
Das OVG Nordrhein-Westfalen bemängelte, dass sich das Düsseldorfer Landesprüfungsamt in seinen Bescheiden 2002 und 2003 ausschließlich auf die Bewertung und Einschätzung des WBP zur Gesprächspsychotherapie bezogen hat - "ohne eine eigenständige Entscheidung zu treffen". Der WBP hätte jedoch mit der Aufgabe, wissenschaftliche Gutachten für die Landesbehörden zu erstellen, keine Entscheidungs-, sondern eine Beratungsfunktion. Für die Entscheidung, ob ein psychotherapeutisches Verfahren wissenschaftlich anzuerkennen sei, sei allein die Landesbehörde zuständig.
Das Gericht diskutierte ausführlich den Begriff der wissenschaftlichen Anerkennung. Dieser Begriff sei im Psychotherapeutengesetz nicht definiert und bedürfe der Auslegung. Ein "Dilemma" bestehe deshalb, weil "der Konsens unter den Psychotherapeuten über die Wertung und Anerkennung psychotherapeutischer Methoden nur sehr gering ist". Für den hier anstehenden Problemkreis werde dies beispielsweise besonders deutlich durch den Umstand, dass einerseits der WBP die Gesprächspsychotherapie bisher als psychotherapeutisches Verfahren für den Erwachsenenbereich, hingegen nicht für den Kinder- und Jugendlichenbereich anerkannt hat, während andererseits der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) als Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern im Beschluss vom 21. November 2006 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass "die Wirksamkeit und der Nutzen der Gesprächspsychotherapie für die Behandlung der wichtigsten psychischen Erkrankungen - mit Ausnahme der Depression - nicht wissenschaftlich belegt ist".
Das Gericht hielt es nicht für geboten, die Anerkennung eines psychotherapeutischen Verfahrens durch den Wissenschaftlichen Beirat von einem durch Studien belegten und nachgewiesenen Wirksamkeitsnachweis abhängig zu machen. Mit der Beschränkung auf "wissenschaftlich anerkannte psychotherapeutische Verfahren" solle nach Absicht des Gesetzgebers nur verhindert werden, dass die Befugnis zur Ausübung von Psychotherapie zu Scharlatanerie missbraucht werden könne. Ein entsprechender Wirksamkeitsnachweis sei allerdings ein nicht unerhebliches Indiz für die Anerkennung und Anerkanntheit eines Verfahrens.
Das Gericht interpretiert die Wissenschaftsklausel für psychotherapeutische Verfahren "überwiegend im Sinne einer einfachen Anerkennung der Verfahren in der Wissenschaft". Ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren kann nach Auffassung des Gerichts dann angenommen werden, "wenn es wissenschaftlich begründete Argumente in der Profession der Psychotherapeuten für sich findet, wobei dies auch eine Mindermeinung zulässt, oder wenn das psychotherapeutische Verfahren in der Fachdiskussion eine breite Resonanz gefunden hat und in der beruflichen Praxis von einer erheblichen Zahl von Therapeuten angewandt wird".
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Revision beim Bundesverwaltungsgericht kann binnen eines Monats eingelegt werden.
Veröffentlicht am 06. Februar 2008