Symposium: Psychotherapie im Alter
In einer alternden Gesellschaft steigt auch der Anteil psychisch kranker älterer Menschen an. Depressive Störungen gehören neben demenziellen Erkrankungen zu den häufigsten psychischen Störungen im Alter. Fast jeder zehnte Erwachsene über 60 Jahren leidet unter einer Depression.
Der Anteil älterer Menschen, die psychotherapeutisch behandelt werden, ist jedoch noch verschwindend gering. Von 100 älteren Menschen, die an einer Depression leiden, erhält nicht einmal ein Patient eine Psychotherapie. Hingegen nimmt jeder vierte Erwachsene über 70 Jahren ein Psychopharmakon, insbesondere Beruhigungsmittel, teils mit gravierenden Nebenwirkungen. Benzodiazepine erhöhen das Sturzrisiko um 55 bis 87 Prozent. Dabei sollten Psychopharmaka gerade bei älteren Menschen, die bereits aufgrund mehrfacher körperlicher Leiden häufig fünf oder mehr Medikamente nehmen, nur nach sorgfältiger Prüfung verordnet werden.
Das Symposium "Psychotherapie im Alter" der BPtK, das am 8. Mai 2009 in Berlin stattfand, beschäftigte sich deshalb mit der Frage, wie eine bedarfsgerechte Versorgung psychisch kranker älterer Menschen in Zukunft ausgestaltet werden sollte.
Versorgungsbedarf steigt
Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey von der Charité in Berlin gab in ihrem Vortrag einen Überblick zum Versorgungsbedarf älterer Menschen. Mit der steigenden Lebenserwartung nähmen die beschwerdefreien Jahre im Alter zu, für die noch neue Lebenskonzepte entwickelt werden müssten. Insgesamt steige aber auch die psychiatrische Gesamtmorbidität. Neben Depressionen hätten demenzielle Erkrankungen hieran den größten Anteil. Da 60 Prozent der Demenzkranken in Privathaushalten lebten, sei auch ein nicht unerheblicher Anteil der Angehörigen psychisch stark belastet.
Verlässliche Daten zur psychotherapeutischen Versorgung älterer Menschen existierten derzeit nicht. In der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung liege der Anteil von Patienten über 60 Jahren vermutlich zwischen 0,2 und 0,9 Prozent. Man müsse jedoch vorsichtig sein, allein hieraus auf eine psychotherapeutische Unterversorgung psychisch kranker alter Menschen zu schließen. In dieser Generation sei ein biologisches Krankheitskonzept noch weit verbreitet, weshalb ältere Menschen aktuell kaum Psychotherapie in Anspruch nähmen. Die derzeitige Dominanz biologischer Krankheitskonzepte werde aber vermutlich von ganzheitlicheren Krankheitskonzepten abgelöst, wenn die noch jüngeren Generationen alt würden.
Die größten Versorgungslücken bestehen, so Kuhlmey, im psychiatrisch-geriatrischen Bereich. Es mangele an einer Umsetzung guter therapeutischer Konzepte in den Pflegeheimen, wie z. B. Validierungsansätzen, aber auch an der Implementierung therapeutischer Ansätze im ambulanten Bereich, die die Heimunterbringung von Demenzkranken hinauszögern könnten. Psychotherapeuten sollten ihr Leistungsspektrum erweitern und beispielsweise Angehörige Demenzkranker bei der Bewältigung psychischer Belastungen unterstützen. Sie könnten Schulungen und Supervision für in Heimen arbeitende Pflegekräfte anbieten. Die Versorgung psychisch kranker älterer Menschen müsse grundsätzlich interdisziplinär ausgerichtet sein, Psychotherapeuten sollten daher enger mit Hausärzten und Pflegekräften zusammenarbeiten.
Psychotherapeutische Praxis
Prof. Dr. Andreas Maercker vom Psychologischen Institut der Universität Zürich stellte zunächst die Theorien zur Lebensspanne dar, die das Alter unter einer Gewinn-Verlust-Perspektive betrachten. Zu den alterstypischen Verlusten gehörten kognitive Funktionseinbußen, Alterserkrankungen, Pensionierung und der Tod nahestehender Personen. Ihnen ständen insbesondere reifere Bewältigungs- und Lebenserfahrungen gegenüber. Diese im Alter typischen Bewältigungsstile könnten in der Psychotherapie mit Älteren durchaus genutzt werden.
Die häufigsten Störungsbilder, von denen man im Zusammenhang mit älteren Menschen spreche, seien demenzielle und depressive Erkrankungen. Auf der Basis eigener Erhebungen könne er ergänzend zeigen, dass ein nicht unerheblicher Teil älterer Menschen, insbesondere aus der Kriegsgeneration, an posttraumatischen Belastungsstörungen leide. Zudem würde der Anteil somatoformer Störungen auch aufgrund der häufigen komorbiden körperlichen Leiden im Alter unterschätzt.
Ältere Patienten seien nicht, wie häufig angenommen, allgemein "schwierigere" Patienten. Nach seinen Untersuchungen seien sie zu Beginn einer Psychotherapie oft sogar weniger psychisch belastet als jüngere Patienten und in der Regel im Therapieprozess lösungsfokussierter, was häufig schon nach fünf bis sieben Sitzungen deutliche Verbesserungen ermögliche. Maercker forderte, die bestehenden therapeutischen Techniken dem Alter entsprechend zu modifizieren und sich zudem das notwendige Wissen über die häufigsten körperlichen Erkrankungen anzueignen. Im Übrigen sei Psychotherapie mit alten Menschen auch die Chance, für sich selbst und das eigene Altern etwas zu lernen.
Diskussion
In der anschließenden Podiumsdiskussion forderte BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter eine größere Bereitschaft insbesondere jüngerer Psychotherapeuten, mit älteren Menschen zu arbeiten. Dies sei sehr lohnend, ergänzte Dr. Johannes Kipp, Klinikdirektor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Kassel. Dafür seien spezifische Fortbildungen und die Verankerung von Alterspsychotherapie in der Ausbildung wichtige erste Schritte.
Die Krankenkassen stellten durchaus eine Nachfrage älterer Patienten nach Psychotherapie fest, berichtete Johannes Klüsener von der Techniker Krankenkasse. Der spezielle Versorgungsbedarf von älteren Patienten mit psychischen Störungen könnte jedoch von den Kassen nur erkannt und in spezifische Versorgungsangebote umgesetzt werden, wenn die entsprechenden Diagnosen auch dokumentiert würden. Selektivverträge seien eine Möglichkeit, die Versorgung psychisch kranker älterer Menschen gezielt zu verbessern. Hausärzte sollten hierbei vor allem eine Lotsenfunktion im Sinne von Informationsvermittlung und Anbahnung einer Psychotherapie übernehmen. Das Erstzugangsrecht zum Psychotherapeuten müsse aber erhalten bleiben, da viele Patienten sich auch davor scheuten, ihrem Hausarzt von ihren psychischen Beschwerden zu berichten.
In der Debatte wurde auch angemerkt, dass Selektivverträge allein wahrscheinlich nicht ausreichen, die Versorgung psychisch kranker älterer Menschen zu verbessern. Ein Wettbewerb um die bessere Versorgung dieser Patientengruppe finde voraussichtlich nicht statt. Im Kollektivvertragssystem müssten deshalb Anreize geschaffen werden, sich verstärkt um diese Patientengruppe zu kümmern. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns hätte mit einem speziellen Vertrag, durch den psychotherapeutische Leistungen für ältere Menschen besser vergütet werden, gute Erfahrungen gemacht.
Rund 800.000 Pflegekräfte seien eine wichtige Berufsgruppe, um die Lücke zwischen Bedarf und Bedarfserkennung zu schließen, hielt Prof. Dr. Stefan Görres vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen zum Abschluss der Podiumsdiskussion fest. Psychotherapeuten sollten sich bei der Versorgung psychisch kranker älterer Menschen verstärkt als Supervisoren begreifen, die enger mit den anderen Berufsgruppen zusammenarbeiten und entsprechende Versorgungskonzepte erarbeiten, in denen Pflegekräfte auch als Co-Therapeuten und Multiplikatoren eingesetzt werden könnten.
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Veröffentlicht am 20. Mai 2009