Weiterbildungsgebiete für eine gute Versorgung im Transitionsalter
Fachgespräch der BPtK zur Reform der Musterweiterbildungsordnung
Nach der Ausbildungsreform erhalten Psychotherapeut*innen die Approbation künftig bereits nach einer staatlichen Prüfung im Anschluss an ein Universitätsstudium. Daran schließt sich eine Weiterbildung an, die für die eigenverantwortliche Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung qualifiziert. Mit Abschluss der Weiterbildung darf die Berufsbezeichnung „Fachpsychotherapeut*in“ geführt werden.
Die Psychotherapeutenschaft hatte sich schon vor der Reform für die zwei Fachgebiete „Psychotherapie für Kinder und Jugendliche“ und „Psychotherapie für Erwachsene“ ausgesprochen. Diese Alters-Gebiete legt nun auch das Gesetz als Voraussetzungen für den „Arztregister“-Eintrag fest. Weitere Gebiete können geschaffen werden, wenn die Psychotherapeutenkammern diese in ihren Weiterbildungsordnungen regeln.
Die Unterscheidung zwischen den Alters-Gebieten „Kinder und Jugendliche“ und „Erwachsene“ ist nicht trennscharf. Abhängig vom individuellen Entwicklungsstand können bei Jugendlichen bereits psychotherapeutische Methoden für Erwachsene indiziert sein, während bei jungen Erwachsenen noch Methoden für Kinder und Jugendliche angezeigt sein können. Wie sollten vor diesem Hintergrund die Grenzen der beiden Alters-Gebiete definiert werden? Das war ein Schwerpunkthema der ersten Beratungsrunde des Projekts „Reform der Musterweiterbildungsordnung“ der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). Mit dem Projekt soll bis 2021 eine neue Musterweiterbildungsordnung entwickelt werden (weitere Informationen zum Stand des Projektes gibt es hier). Nach den bisherigen Beratungen sollte zur Versorgung im Transitionsalter zwischen 16 und 24 Jahren ein flexibler Einsatz psychotherapeutischer Methoden aus beiden Alters-Gebieten möglich sein. In den Gremien gibt es jedoch noch keinen Konsens, wie breit sich beide Gebiete überlappen sollten. Zur Klärung dieser Frage lud die BPtK am 24. Juni 2020 zu einer Videokonferenz ein.
BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz wies darauf hin, dass die beiden Alters-Gebiete nicht im luftleeren Raum entstanden sind. Bereits heute gebe es mit den „Psychologischen Psychotherapeut*innen“ und „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen“ zwei Berufe für unterschiedliche Altersgruppen. Und schon heute gebe es eine Überschneidung beider Berufe bei Patient*innen im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. Bei der künftigen Gestaltung der Gebiete habe die Psychotherapeutenschaft allerdings jetzt die Möglichkeit, die Altersgrenzen neu zu justieren, wenn es für die Versorgung erforderlich sei. Berufsständische Fragen sollten im Hintergrund stehen, auch wenn sie die Debatte immer mitprägen. Munz hob hervor, dass es in der laufenden Diskussion um die Qualifizierung einer neuen Psychotherapeutengeneration gehe. Diese neuen Gebietsweiterbildungen seien keine Qualifizierungsoption für Psychologische Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen.
Emerging Adulthood: Herausforderungen aus entwicklungspsychologischer Sicht
Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke, Entwicklungspsychologin an der Universität Mainz und Psychotherapeutin, stellte entwicklungspsychologische Befunde zum Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter vor. Der Abschluss von Ausbildung oder Studium, der Auszug bei den Eltern oder die Gründung einer eigenen Familie würden heute im Durchschnitt mehrere Jahre später erfolgen als vor 50 Jahren. Auch sei eine verlängerte und qualitativ veränderte Identitätsentwicklung nachweisbar. Identitätskrisen und ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen zeigten sich inzwischen eher im jungen Erwachsenenalter als in der Adoleszenz. Damit sei eine neue Phase zwischen Adoleszenz und Erwachsenenalter entstanden, die als „Emerging Adulthood“ (18 bis 30 Jahre) bezeichnet werde. Dies hätte auch zur Folge, dass sich viele Eltern länger um ihren Nachwuchs kümmern. Dabei gebe es problematische Erziehungsstile mit zu viel Unterstützung, Separationsangst und starker und psychologischer Kontrolle.
Diese Ergebnisse der entwicklungspsychologischen Forschung gehörten sowohl in das künftige Studium als auch in die Weiterbildung von Psychotherapeut*innen, um Krankheitswertigkeit einschätzen zu können. Die Frage „Was ist noch normal?“ müsse nicht nur für die jungen Erwachsenen beantwortet werden, sondern auch für das Elternverhalten. Auch bei Patient*innen im jungen Erwachsenenalter könne es indiziert sein, die Eltern in die Behandlung einzubeziehen.
Psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung im Transitionsalter
Wie sollten diese Veränderungen im Transitionsalter in die Qualifikation künftiger Psychotherapeut*innen einfließen? Darum ging es im zweiten Teil des BPtK-Fachgesprächs.
Berufs- und sozialrechtlicher Rahmen
Prof. Dr. Martin H. Stellpflug, Justiziar der BPtK stellte klar, dass der Gesetzgeber die bisherige Differenzierung in die beiden Berufe Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in (KJP) und Psychologische Psychotherapeut*in (PP) mit der Ausbildungsreform nicht fortgeschrieben habe. Künftig gebe es eine einheitliche Ausbildung der „Psychotherapeut*innen“ mit Weiterbildung zu Fachpsychotherapeut*innen für Kinder und Jugendliche und Fachpsychotherapeut*innen für Erwachsene. Die Beschränkung der Approbation der KJP auf Patient*innen bis zum Ende des 21. Lebensjahrs gebe es künftig nicht mehr.
Für die Definition der Alters-Gebiete könnten verschiedene rechtliche Normen herangezogen werden, zum Beispiel der Eintritt der „Volljährigkeit“ mit dem vollendeten 18. Lebensjahr im Bürgerlichen Gesetzbuch, das Alter des „Heranwachsenden“ von 18 bis 21 Jahren im Jugendgerichtsgesetz oder die Bezeichnung „junger Volljähriger“ für das Alter von 18 bis 21 Jahren im Kinder- und Jugendhilfegesetz.
Auch das Berufsrecht der Länder, das die Weiterbildung regelt, definiere keine Altersgrenzen. Die ärztliche Weiterbildung definiere die Gebietsgrenzen der Fachärzt*innen für „Kinder- und Jugendmedizin“ oder „Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie“ ebenfalls nicht über konkrete Altersangaben, sondern als Altersbereich, zu dem auch „Heranwachsende“ gehören, ohne dass dieser näher spezifiziert werde. Ärzt*innen hätten dadurch einen Beurteilungsspielraum, welche Patient*innen dem Gebiet zuzurechnen seien, an den auch Gerichte gebunden seien. Unabhängig davon könnte in Ausnahmen auch außerhalb des Gebietes behandelt werden.
Ergebnisse aus der Versorgungsforschung
Dr. Gundula Ernst, Diplom-Psychologin, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Transitionsmedizin und Mitarbeiterin an der Medizinischen Hochschule Hannover, beschrieb die Herausforderungen der Versorgung von Menschen im Transitionsalter. Jugendliche wollten frei sein von ihrer Krankheit, den damit verbundenen Einschränkungen und allem, was sie daran erinnert. Gleichzeitig fänden Eltern bei der Begleitung des Übergangs vom Versorgungsystem für Kinder und Jugendliche in die Erwachsenenversorgung nicht immer die richtige Balance zwischen Kontrolle und Loslassen. Auch von Seiten der Pädiater*innen gebe es eine Furcht vor schlechterer Versorgung. Häufig würde deshalb das ungewohnte Behandlungsklima in der Erwachsenenversorgung abgelehnt.
Für einen guten Übergang gebe es auch strukturelle Barrieren. Dazu gehörten fehlende Standards über den adäquaten Zeitpunkt und Ablauf des Wechsels, Schwierigkeiten, Behandler*innen zu finden, oder eine fehlende oder unangemessene Vergütung von Leistungen, die für den Wechsel zwischen den Behandler*innen notwendig sei. Das könne zu Unterversorgung während der Transition führen. Darauf habe der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bereits 2009 hingewiesen. Die Versorgung im Transitionsalter müsse deshalb strukturiert und geplant werden, sodass junge Patient*innen die Angebote der Erwachsenenversorgung wahrnehmen.
PD Dr. Ulrike Schulze, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Chefärztin am Zentrum für Psychiatrie Calw, stellte das internationale Forschungsprojekt Milestone an der Uniklinik Ulm zur Transition in der Psychiatrie vor. Patient*innen berichteten von einer Verschlechterung der Versorgung beim Übergang von der Kinder- und Jugend- in die Erwachsenenpsychiatrie. Sie würden nicht in die Entscheidungen einbezogen und es bleibe ein Gefühl des Gehetztseins. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie sei oft „nicht in der Lage“, mit einer fachfremden Profession zu kommunizieren. Beim Wechsel zwischen den verschiedenen Psychiatrien beständen lange Wartezeiten, es fehle an Unterstützung beim Übergang. In Großbritannien und Irland gebe es deshalb bereits Fortbildungsangebote zur Transition in der Psychiatrie.
Schulze empfahl die Entwicklung einer Leitlinie für den Übergang in der Psychiatrie, die Anerkennung von Interdisziplinarität mit der rechtzeitigen Überprüfung des Transitionsbedarfs, das Annehmen von Transition als „persönliche Herausforderung“ für die Therapeut*innen, die Unterstützung sozialer Kompetenzen und Selbstwertstärkung bei den Patient*innen, die Ressourcenförderung und Unterstützung einer altersangemessenen Autonomieentwicklung. Besonders wichtig sei, Patient*innen in Entscheidungsprozesse einzubinden und sie zu ermuntern, das eigene Tempo wichtig zu nehmen. In Deutschland hätten die beiden psychiatrischen Fachgesellschaften DGKJP und DGPPN 2016 ein gemeinsames Arbeitspapier herausgegeben, in dem sie fordern, die Versorgung im Transitionsalter stärker in der Weiterbildung ihrer Gebiete zu verankern.
Erfahrungen in der ambulanten Versorgung
Sabine Maur, Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, schilderte ihre Erfahrungen aus einer psychotherapeutischen Praxis für Kinder und Jugendliche in Mainz. Bei ADHS gebe es zur Transition dieser chronischen Erkrankung eine Empfehlung in der S3-Leitlinie. Danach solle ADHS in dieser Altersphase erneut untersucht werden, um einen gleitenden Übergang zu ermöglichen und die Weiterbehandelnden ausführlich zu informieren. Auch sollte während der Transition eine Absprache der vor- und weiterbehandelnden Ärzt*innen ermöglicht und die Patient*innen umfassend über die Versorgung im Erwachsenenbereich informiert werden.
Die Problematiken der Patient*innen änderten sich von der Kindheit zum jungen Erwachsenenalter, wenn zum Beispiel aus Hyperaktivität innere Unruhe werde, aus Aufmerksamkeitsproblemen Desorganisiertheit werde oder das Risiko für Süchte und Delinquenz steige. Das junge Erwachsenenalter werde zu einer besonders vulnerablen Zeit, wenn Strukturen durch Schule und Jugendhilfe wegfielen, Tagesstruktur und Sozialkontakte fehlten und Konflikte mit Eltern sich häuften. Darauf müsse eine Transitionspsychotherapie eingehen, indem sie die Teilnahme an Psychotherapie und die Einhaltung der Pharmakotherapie unterstütze, Bezugspersonen im Spannungsfeld von Unterstützung und Autonomie angemessen einbinde und frühzeitig und aktiv den Wechsel zu einer Erwachsenenpsychotherapeut*in unterstütze. Dafür bräuchten Psychotherapeut*innen für Kinder und Jugendliche keine Befugnis, um ihre erwachsenen Patient*innen möglichst lange selbst zu behandeln. Notwendig sei vielmehr eine Vergütung des erhöhten Koordinationsaufwandes und Abrechnungsmöglichkeiten gemeinsamer Termine zum Beispiel von Vor- und Nachbehandler*innen.
Erfahrungen in der Jugendhilfe
Einen weiteren Versorgungsbereich, den Psychotherapeut*innen mit der reformierten Aus- und Weiterbildung stärker in den Blick nehmen wollen, ist die Jugendhilfe. Jörg Hermann, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter der Erziehungsberatungsstelle des Landkreises Wolfenbüttel, vermittelte Erfahrungen mit dem Transitionsalter in der Jugendhilfe. Ein Überblick zu den Leistungen für junge Erwachsene zeige, dass Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche auch für junge Menschen gewährt werden können, die noch keine 27 Jahre alt sind. Diese Altersgruppe mache in der Hilfestatistik aber nur einen äußert geringen Anteil aus. Der 14. Kinder- und Jugendbericht habe das „sozialrechtliche Bermudadreieck bei den 20- bis 25-Jährigen“ kritisiert. Ein Verschiebebahnhof der Zuständigkeiten zwischen den Sozialgesetzbüchern führe eher zu Hilfevermeidung statt Hilfegewährung.
Erhebungen in der Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Landkreises Wolfenbüttel zeigten, dass in dieser Altersgruppe die meisten Hilfesuchenden auch unter psychischen Problemen litten. Versorgungsprobleme in dieser Altersgruppe gründeten dabei jedoch nicht vorrangig auf den Befugnisbeschränkungen von KJP. Anders als in der Krankenbehandlung kenne die Jugendhilfe keine altersspezifischen Befugnisse. In der Erziehungsberatung sollten vielmehr Fachkräfte verschiedener Fachrichtungen zusammenwirken, die mit unterschiedlichen methodischen Ansätzen vertraut sind. In der Jugendhilfe gebe es aber nicht genügend KJP oder PP, die nicht nur über sehr gute klinische Qualifikationen verfügten, sondern auch familiäres Eingebundensein, lebensweltliche Gesichtspunkte oder weitere Hilfen in den Blick nehmen und einbinden könnten.
Erfahrungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Stefan Heintz, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in der Soteria des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim, schilderte seine Erfahrungen zur stationären Versorgung in der Transitionsphase. Das Altersspektrum auf der Adoleszentenstation gehe von 16 bis 24 Jahre. In Ausnahmefällen würden auch ältere Patient*innen behandelt. Der älteste Patient war bislang 27 Jahre alt. Der Behandlungsansatz der Station bestehe in einer gemeinsamen, möglichst reizreduzierten Alltagsgestaltung in einem WG-ähnlichen und überschaubaren sozialen Umfeld. Dazu gehöre eine individuelle Begleitung durch die psychotische Krise sowie ein reflektierter und behutsamer Einsatz von antipsychotischer Medikation. Auf der Station würde die Behandlung des gesamten Altersspektrums durch KJP erfolgen, auch die ambulante Weiterbehandlung von erwachsenen Patient*innen.
Zur Versorgung gehöre auch die Angehörigenarbeit, es sei denn, diese werde von den erwachsenen Patient*innen abgelehnt. Die Inhalte dieser Sitzungen würden mit den Patient*innen vorbesprochen und die Termine fänden in ihrem Beisein statt, wenn nicht anders gewünscht. Diese Adoleszentenstation weise große Schnittmengen mit Jugendlichenstationen auf. Therapieinhalte seien auch hier Verantwortungsübernahme, Entwicklung beruflicher Ziele, Mobbing, Probleme in der Partnerschaft, mangelnde Beziehungen zu Gleichaltrigen, übermäßiger Medienkonsum und schulisches Scheitern.
Die künftigen Fachgebietsgrenzen in der MWBO
Im dritten Teil des Fachgesprächs stand die Frage im Mittelpunkt, wie die zukünftigen Fachgebiete „Psychotherapie für Kinder und Jugendliche“ und „Psychotherapie für Erwachsene“ zugeschnitten sein sollten, um zu einer besseren Versorgung von Menschen im Transitionsalter beizutragen.
Sabine Maur erinnerte daran, dass künftig bereits im Studium Kenntnisse zu allen Altersbereichen verpflichtend seien. In der Weiterbildung müssten dann alle Psychotherapeut*innen so qualifiziert werden, dass sie unabhängig von ihrem Alters-Gebiet auch auf Transitionsstationen arbeiten könnten. In der Befugnis von KJP, Patient*innen bis 21 Jahre behandeln zu dürfen, sah sie eine gute Regelung in Deutschland, die zu deutlich weniger Behandlungsabbrüchen führe als im angloamerikanischen Raum.
Jörg Hermann problematisierte, dass im Bereich der Jugendhilfe die Herausforderung darin bestehe, überhaupt weitergebildete Psychotherapeut*innen beschäftigen zu können. Notwendig aus Jugendhilfesicht wäre die „eierlegende Wollmilchsau“ oder mehrere Psychotherapeut*innen mit unterschiedlichen Kompetenzen im multidisziplinären Team, damit Schwangere, Säuglinge in den Frühen Hilfen, Kinder aller Altersgruppen, Jugendliche, junge Erwachsene und psychisch erkrankte Eltern versorgt werden könnten. Dem nähere man sich durch ein leichtes Öffnen von Altersgrenzen nicht. Für Inhalt und Umfang der Weiterbildung sei es deshalb wichtig, dass für beide Alters-Gebiete die Möglichkeit der institutionellen Weiterbildung in der Jugendhilfe vorgesehen ist.
Dr. Schulze erläuterte, dass sie von den jungen Patient*innen gelernt habe, wie unterschiedlich die Herangehensweisen in beiden Gebieten der Psychiatrie bisher seien. Das müsse aufgezeigt werden. Daneben sei wichtig, über die Weiterbildung Interdisziplinarität zu fördern. Was den Transitionsprozess selbst angehe, müssten die Behandelnden die Kompetenz und die Versorgungssysteme die Flexibilität haben, dass die Patient*innen das Tempo des Übergangs selbst bestimmen und in die Entscheidungen der Behandelnden einbezogen werden können.
Stefan Heintz schilderte, dass er sich als KJP auf einer Adoleszentenstation bei der Arbeit mit Patient*innen von 16 bis 24 Jahren und auch darüber hinaus mit seinen Kompetenzen sehr wohl fühle. Die Arbeit erfordere aber zusätzliche Kompetenzen für KJP in den Bereichen Krankheitschronifizierung und Abbau kognitiver Leistungsfähigkeit. Spezifisch sei darüber hinaus ein durch das Altersspektrum bedingter vermehrter Aufwand an komplexer Schnittstellenarbeit mit anderen Systemen, für den spezifische Kompetenzen zu erwerben seien.
Dr. Ernst zeigte Verständnis für die Notwendigkeit der Definition von Standards bei den Alters-Gebieten. Dennoch sollte bei der Festlegung von Zuständigkeiten ausreichend Flexibilität bleiben, um die jeweiligen regionalen Versorgungsangebote und die individuelle Situation der jungen Patient*innen berücksichtigen zu können. So müsse etwa sichergestellt werden, dass Versorger*innen beider Alters-Gebiete verfügbar seien.
Ariadne Sartorius befürwortete als Sprecherin des KJP-Ausschusses der BPtK die Erweiterung der Gebietsgrenzen über das 21. Lebensjahr hinaus, um dem Transitionsaspekt Rechnung zu tragen. Derzeit werde von einer Mehrheit der Ausschussmitglieder ein Altersspektrum von 18 bis 27 Jahren präferiert. Eine Erweiterung des Altersbereichs über das 21. Lebensjahr hinaus sei aus entwicklungspsychologischer Sicht erforderlich, um Patient*innen auch bei „verzögertem Erwachsenwerden“ angemessen zu versorgen. Aus der Versorgungssicht müsse es ferner möglich sein, auch bei jungen Erwachsenen im Transitionsalter Bezugspersonen einbeziehen zu können, wie dies Teil der KJP-Behandlung ist. Auch könnten so die über eine KJP-Praxis kennengelernten Netzwerke weiter genutzt werden.
Langzeitbehandlungen, in denen der Therapieprozess im Jugendalter begonnen wurde, hätten nur dann einen nachhaltigen Erfolg, wenn die Patient*in bis ins junge Erwachsenenalter bei der gleichen Behandler*in blieben. Bereits behandelte Jugendliche suchten bei erneut auftretenden Problemen häufig den Kontakt zur damaligen vertrauten Behandler*in. Häufig scheuten Jugendliche und junge Erwachsene auch den Weg zur Erwachsenenpsychotherapeut*in. Fachpsychotherapeut*innen benötigten dafür umfangreiche allgemeine und lebensweltbezogene Kenntnisse über Jugendhilfeangebote und andere Hilfeeinrichtungen. Eine Behandlung Jugendlicher ab 16 Jahren von Fachpsychotherapeut*innen für das Gebiet Erwachsene werde dagegen eher kritisch gesehen, da dies umfassende Kenntnisse sowie Erfahrungen in diesem Bereich voraussetzen würde, die in der Ausbildung zum PP bislang nicht vermittelt wurden.
Ullrich Böttinger sprach sich für den BPtK-Ausschuss „Psychotherapie in Institutionen“ dafür aus, das Transitionsalter zum Inhalt beider Alters-Gebiete der Weiterbildung zu machen, damit systembedingte Brüche zugunsten verbesserter Versorgung weitestmöglich ausgeräumt werden könnten. Dabei sei eine möglichst gute Abstimmung wie zum Beispiel mit der Jugendhilfe anzustreben. Das Transitionsalter umfasse einen breiteren Bereich als den bisherigen Überlappungsbereich von 18 bis 21 Jahren. Gleichzeitig müsse eine zu lange „Infantilisierung“ von Erwachsenen vermieden werden. Sonderregelungen für bestimmte Personengruppen wie zum Beispiel Menschen mit einer geistigen Behinderung werden fachlich, menschlich und politisch für nicht akzeptabel gehalten. Kriterium könne nur die individuelle Entwicklung und die Eignung der verfügbaren Methoden im Einzelfall sein.
In allen Weiterbildungsstationen sollten deshalb auch Fälle aus dem Transitionsalter gesehen werden. In der stationären und der weiteren institutionellen Weiterbildung (Jugendhilfe, Sozialpsychiatrie, Behindertenhilfe, Sucht) würden sich gute Möglichkeiten ergeben, die erforderlichen Vernetzungen und die notwendigen Kooperationen auch systemübergreifend kennenzulernen. Weil familiäre Bezüge in dieser Altersgruppe oftmals unterschätzt würden, sollten systemische Ansätze für diesen Altersbereich besonders stark in die Weiterbildung eingebracht werden. Auf eine genaue Definition der Grenzen der Alters-Gebiete habe sich der PTI-Ausschuss noch nicht verständigen können.
Konzept für die Versorgung im Transitionsalter
In der Diskussion wurde kritisiert, dass mit der Definition von Altersgrenzen das Pferd von hinten aufgezäumt werde. Zunächst werde ein gemeinsames Konzeptpapier zur Versorgung im Transitionsalter gebraucht. Wer in der Versorgung tätig werden dürfe, müsse es auch können. Die notwendigen Kompetenzen müsse die Weiterbildung auch in der Berufspraxis vermitteln. Wenn die Altersüberlappung sehr groß sei, käme man am Ende eventuell doch zu einem einzigen Fachgebiet mit einer möglicherweise deutlich längeren Weiterbildung und weiteren Weiterbildungsstationen. Diese Vorstellung löste Widerspruch bei denen aus, die die Kernaufgaben nicht im Transitionsalter sehen, sondern in den spezifischen Kompetenzen für den Kinder- und Jugendbereich einerseits und den Erwachsenenbereich andererseits.
Beide Alters-Gebiete für das Transitionsalter qualifizieren
Erörtert wurde auch, ob tatsächlich alle Fachpsychotherapeut*innen die Fachkompetenz zur Behandlung der gesamten Altersspanne des Transitionsalters brauchen. Die Herausforderung sei doch vielmehr, entwicklungspsychopathologische Kompetenzen zu vermitteln, um den Versorgungsbedarf ermitteln und einen guten Übergang gestalten zu können. Wichtig sei, dass dabei das Alters-Gebiet Kinder und Jugendliche erhalten bleibe, weil für die unteren Altersgruppen spezifische Kompetenzen erworben werden müssten. Gleichzeitig würden Ausnahmetatbestände gebraucht, um im Einzelfall passgenaue Lösungen zu finden.
Definition der Gebietsgrenzen über Altersangaben
In der Diskussion wurde die Frage vertieft, ob für die Definition der Alters-Gebiete überhaupt bestimmte Lebensjahre als Grenzen erforderlich seien. Die Fachgebietsdefinition der Ärzt*innen verzichte doch auch auf solche Festlegungen. Die Definition der Gebietsgrenze falle in die Kompetenz der Kammern. Die Psychotherapeutenkammern könnten deshalb ebenfalls auf Altersangaben verzichten. Dennoch müsste es Hinweise geben, denn das rechtliche System habe an anderen Stellen Altersfestlegungen. Die Kammern müssten also erklären können, an welche Altersgruppen etwa bei „Heranwachsenden“ gedacht werde, sonst legten andere die Grenzen zum Beispiel im Sozialrecht fest.
Darüber hinaus bliebe aber auch bei der Definition von Altersgrenzen in den Weiterbildungsordnungen offen, inwieweit diese von anderen übernommen würden. So bezweifelte Prof. Stellpflug, dass eine hohe Altersgrenze für das Gebiet Kinder und Jugendliche ins SGB V übernommen werde. Die SGB V-Gremien hätten dazu vermutlich andere Vorstellungen als die Psychotherapeut*innen. Anderes könne bei Ausnahmetatbeständen gelten, die nach dem Urteil des Bundessozialgerichts durchaus gerechtfertigt sein können. In diesem Zusammenhang wurde auch klargestellt, dass sich die künftigen Gebietsgrenzen nur auf Fachpsychotherapeut*innen beziehen und nicht auf KJP und PP. Die Psychotherapeutenschaft habe dazu zwar schon früh Übergangsvorschriften gefordert, sich im Gesetzgebungsverfahren aber nicht durchgesetzt.
Gebiete und Bereiche
Gefragt wurde auch, ob die Qualifizierung für die unterschiedlichen Altersgruppen nicht auch über eine Bereichsweiterbildung möglich sei. Bei einer Bereichsweiterbildung wäre der Aufwand für beide Altersspezialisierungen deutlich geringer als in der Gebietsweiterbildung. Hier wurde daran erinnert, dass die Alters-Gebietsgrenzen gesetzlich bereits als Voraussetzungen für den Arztregistereintrag geregelt seien. Gleichzeitig würde die Spezialisierung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder Erwachsenen damit quasi zu einem Zusatztitel wie die spezielle Psychotherapie bei Diabetes oder Schmerz auf Basis eines Fachgebietes, das die Fachpsychotherapeutenkompetenz zur Behandlung aller Altersgruppen umfassen müsse.
BPtK-Präsident Munz hielt am Ende der Veranstaltung fest, dass das Transitionsalter eine große Bedeutung für die psychotherapeutische Versorgung habe und sowohl von den heutigen KJP als auch von den PP viele Erfahrungen für Verbesserungen eingebracht würden. Es sei deutlich geworden, dass unabhängig von den noch zu bestimmenden Gebietsgrenzen die unterschiedlichen Kompetenzen aus beiden Alters-Gebieten gebraucht würden. Für die weiteren Beratungen und anstehenden Entscheidungen habe das Fachgespräch wichtige Impulse gegeben.
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Veröffentlicht am 13. August 2020