GKV-Versorgungsgesetz verschärft Unterversorgung psychisch Kranker
Praxissitze nach Bedarf und Morbidität festlegen
Das geplante GKV-Versorgungsgesetz verschärft die Unterversorgung psychisch kranker Menschen. Psychisch Kranke warten bereits jetzt monatelang auf eine psychotherapeutische Behandlung. Im Entwurf fehlen innovative Elemente, die es ermöglichen, die medizinische Versorgung an den steigenden Anteil psychischer Erkrankungen anzupassen“, kritisiert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), den Arbeitsentwurf des Bundesgesundheitsministeriums. „Psychisch Kranke brauchen dringend eine schnellere Versorgung mit psychotherapeutischen Behandlungsplätzen in ihrer Nähe.“
In Deutschland erkranken jährlich mindestens fünf Millionen Menschen an einer schweren psychischen Krankheit und sind dringend behandlungsbedürftig. Diesem Bedarf stehen bundesweit jedoch höchstens 1,5 Millionen psychotherapeutische Behandlungsplätze im ambulanten und stationären Bereich gegenüber. Der Gesetzgeber unterschätzte den tatsächlichen ambulanten psychotherapeutischen Behandlungsbedarf erheblich, als er die Niederlassungsmöglichkeiten im Jahr 1999 auf der Basis der damals bestehenden Praxen festlegte. Seither stieg die Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen ständig. Jahr für Jahr nimmt die Zahl der Tage zu, an denen Arbeitnehmer aufgrund psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig sind. Psychische Erkrankungen sind die Hauptursache für Frühverrentungen in Deutschland und belasten schon jetzt Wirtschaft und Sozialversicherung mit Milliardenkosten, die niedriger sein könnten, wenn Patienten rechtzeitig behandelt werden könnten. Dabei ist Psychotherapie bei den meisten psychischen Krankheiten nach evidenzbasierten Leitlinien und Patientenpräferenzen das Mittel der Wahl und muss den Patienten zur Verfügung stehen.
Die psychotherapeutischen Behandlungskapazitäten liegen schon jetzt fast überall in Deutschland deutlich unter dem Bedarf. In der Stadt wie auf dem Land ist nicht mehr gesichert, dass Patienten in zumutbarer Zeit und Entfernung eine psychotherapeutische Behandlung finden, wie es das geplante GKV-Versorgungsgesetz als Ziel einer qualitativ hochwertigen Versorgung anstrebt. Patienten telefonieren stattdessen wochenlang psychotherapeutische Praxen ab und erhalten doch nicht mehr als einen Platz auf der Warteliste. „Die Planungsvorgaben für die Niederlassung von Psychotherapeuten sind überholt und reichen nicht aus, psychisch kranke Menschen in einer Frist, die medizinisch zu verantworten ist, zu behandeln“, kritisiert BPtK-Präsident Richter. „Um wenigstens die gegenwärtigen Behandlungskapazitäten zu sichern, ist eine Neuberechnung der Verhältniszahlen notwendig, die festlegen, wie viele Psychotherapeuten je Einwohner notwendig sind.“ Langfristig bedürfe es aber einer grundlegenden Neuausrichtung der Versorgungsplanung, die prospektiv und morbiditätsorientiert sein müsse. „Stattdessen schreibt der Gesetzentwurf den Status quo der Unterversorgung fest und verlängert damit die Wartezeiten für die Patienten.“
Veröffentlicht am 31. Mai 2011