Im Alter einseitig medikamentös behandelt
BPtK zum Weltgesundheitstag „Altern und Gesundheit“ am 7. April 2012
Ältere Menschen werden bei psychischen Erkrankungen einseitig medikamentös behandelt. Depressive Erkrankungen gehören neben demenziellen Erkrankungen zu den häufigsten psychischen Störungen im Alter. Fast jeder zehnte Erwachsene über 60 Jahre leidet unter einer Depression. Allerdings ist der Anteil älterer Menschen, die psychotherapeutisch behandelt werden, verschwindend gering. Nicht einmal ein Prozent der älteren Menschen, die an einer Depression leiden, erhält eine Psychotherapie. Dagegen erhält jeder vierte Erwachsene über 70 Jahre ein Psychopharmakon. „Psychisch kranke Menschen erhalten im Alter oft eine einseitige, häufig risikoreiche und nicht leitliniengerechte Behandlung“, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), fest. „Die internationale Forschung belegt dagegen eindrücklich, dass psychische Erkrankungen auch im Alter erfolgreich therapiert werden können und multidisziplinäre Ansätze hierbei am wirksamsten sind.“
Wegen ihres hohen Abhängigkeitspotenzials sind insbesondere die hohen Verordnungsraten mit Benzodiazepinen (Beruhigungsmittel) sehr problematisch. Benzodiazepine erhöhen das Sturzrisiko um 50 bis 90 Prozent. Insgesamt steigt der Gebrauch von Psychopharmaka mit dem Alter an, ohne dass ein Anstieg der psychischen Erkrankungen mit dem Alter feststellbar ist. So erhalten zwölf Prozent der 65- bis 70-jährigen Frauen bereits Antidepressiva, bei den über 80-jährigen Frauen hat sogar fast jede Fünfte eine entsprechende Verordnung. Diese zunehmende Medikalisierung psychischer Erkrankungen im Alter ist besonders kritisch, weil ältere Menschen meist an mehreren Krankheiten leiden und deshalb häufig bereits fünf oder mehr Medikamente einnehmen. Das Risiko von unerwünschten Wechselwirkungen zwischen den Arzneimitteln wird durch zusätzlich verordnete Psychopharmaka noch gesteigert.
„Evidenzbasierte nicht-medikamentöse Behandlungsverfahren sollten daher bei älteren, multimorbiden Patienten umso häufiger zum Einsatz kommen“, fordert BPtK-Präsident Richter. Insbesondere in Alten- und Pflegeheimen fehlen ausreichende psychotherapeutische Angebote. In Pflegeheimen haben bis zu 80 Prozent der Bewohner eine psychische Störung. Aber auch im ambulanten Bereich mangelt es an Versorgungsangeboten, die u. a. den Erhalt der Selbstständigkeit unterstützen und die Lebensqualität verbessern.
Veröffentlicht am 07. April 2012