Migration macht psychisch krank
BPtK-Symposium im Rahmen der Woche der Seelischen Gesundheit 2010
Die Auswanderung in ein anderes Land macht häufig psychisch krank. Verlegt ein Mensch oder eine Familie den Wohnort dauerhaft in eine fremde Kultur, ist dies mit erheblichen psychischen Belastungen verbunden. Migranten erkranken in Deutschland deshalb z. B. um fast 60 Prozent häufiger an Depression als Einheimische. Bei ihnen finden sich außerdem doppelt so viele somatoforme Erkrankungen, d. h. körperliche Beschwerden, für die sich keine organischen Befunde feststellen lassen.
"Die psychotherapeutische Versorgung für Migranten ist mangelhaft", kritisiert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), anlässlich der bundesweiten Woche der Seelischen Gesundheit vom 4. bis 10. Oktober 2010. In Deutschland leben knapp sieben Millionen Menschen mit einem ausländischen Pass. Über 15 Millionen Menschen haben mindestens ein Elternteil, das nach Deutschland eingewandert ist. "Das deutsche Gesundheitssystem vernachlässigt diese große Bevölkerungsgruppe. Es fehlt an spezifischen Informationen für Migranten, an interkultureller Kompetenz und auch an Psychotherapie in der Muttersprache. Die erfolgreiche Behandlung einer psychischen Krankheit hängt entscheidend davon ab, dass der Patient sich mit seinem Psychotherapeuten verständigen kann."
Eine psychische Erkrankung erschwert die gesellschaftliche Integration oder macht sie sogar unmöglich. Bisher gehen Migranten jedoch erheblich seltener zum Psychotherapeuten als Einheimische. Eine Studie der Universität Hamburg ergab, dass dort Migranten zwar 25 Prozent der Bevölkerung, aber nur 14 Prozent der Patienten in der ambulanten Psychotherapie ausmachen. Damit psychische Erkrankungen von Migranten zukünftig besser behandelt werden, schlägt die BPtK insbesondere vor:
Psychotherapie in Muttersprache
Migranten, die nicht ausreichend deutsch sprechen, sollte eine muttersprachliche Psychotherapie ermöglicht werden. In Ballungsräumen mit hohem Migrantenanteil sollte die Bedarfsplanung solche Angebote gezielt berücksichtigen. Ein lokaler Sonderbedarf besteht aus Sicht der BPtK dann, wenn in einem Stadtbezirk mehr als zehn Prozent der Bevölkerung einer bestimmten Migrantengruppe angehören. In Berlin ergäbe sich dadurch z. B. ein Sonderbedarf von sieben Psychotherapeuten, die in türkischer Sprache behandeln.
Einsatz von Dolmetschern
Für Migranten mit seltenen Sprachen sollte ein Anspruch auf einen qualifizierten neutralen Dolmetscher bestehen. Angehörige mit Deutschkenntnissen sind für die Psychotherapie dagegen keine Lösung, da die Patienten gegenüber den Angehörigen oft nicht offen über ihre Probleme reden können.
Krankenhäuser zur Information verpflichten
Auch in psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäusern sollten Psychotherapeuten mit interkulturellen und fremdsprachlichen Kompetenzen verfügbar sein. Patienten sollten sich darüber informieren können. Die Krankenhäuser sollten deshalb verpflichtet werden, in ihren Qualitätsberichten über ihre Angebote für lokal häufige Migrantengruppen zu berichten.
Krankenbehandlung von Flüchtlingen mangelhaft
Eine besonders krasse Unterversorgung besteht bei der psychotherapeutischen Behandlung von Flüchtlingen. Kriegsflüchtlinge und Folteropfer haben bisher nur eingeschränkte Ansprüche auf die Behandlung ihrer oft schweren Traumata. Die BPtK fordert dringend, Asylbewerbern den gleichen Anspruch auf Krankenbehandlung zu gewähren wie den Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Für die psychosozialen Zentren zur Behandlung von Flüchtlingen und Folteropfern ergeben sich aktuell finanzielle Engpässe, weil EU-Fördergelder auslaufen. Die staatliche Förderung dieser Zentren sollte dringend ausgebaut und verstetigt werden.
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Veröffentlicht am 06. Oktober 2010