Patientenrechte in der psychotherapeutischen Behandlung
BPtK-Veranstaltung "Patientenrechtegesetz: Auswirkungen auf die Praxis"
Die Rechte von Patienten sind für juristische Laien kaum zu überblicken. Patientenrechte sind in unterschiedlichen Gesetzen verankert und insbesondere durch Gerichtsurteile konkretisiert. Deshalb soll am 1. Januar 2013 ein Patientenrechtegesetz in Kraft treten, das die verstreuten rechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Sozialgesetzbuches V bündelt und die Stellung des Patienten im Gesundheitssystem stärkt. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) lud am 27. September 2012 in Berlin zu der Veranstaltung „Patientenrechtegesetz: Auswirkungen auf die Praxis“ ein, um die Auswirkungen des Gesetzentwurfs, der am 28. September 2012 von der Bundesregierung in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde, auf die psychotherapeutische Behandlung zu diskutieren.
Am Vormittag befasste sich das Plenum mit der Perspektive des Bundesministeriums der Justiz (BMJ), der Patienten und der speziellen rechtlichen Problematik von Einsichtnahme und Dokumentation. Am Nachmittag wurden drei parallele Workshops durchgeführt, die sich vertieft mit einzelnen Aspekten des Patientenrechtegesetzes beschäftigten. Die abschließende Plenumsdiskussion bot Gelegenheit, die verschiedenen Arbeitsergebnisse auszutauschen und gemeinsame Perspektiven zu diskutieren.
BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter erinnerte an den steinigen und langwierigen Weg, der zu dem jetzigen Gesetzesentwurf geführt habe und der nun der Schlusspunkt einer seit mehr als zwei Jahrzehnten geführten Diskussion sein solle. Er betonte, dass sich die BPtK in der jetzt „heißen parlamentarischen Phase“ weiter für Verbesserungen des Entwurfs einsetzen werde. Viele der Anregungen der BPtK seien bereits vom BMJ aufgegriffen worden. Er wolle zwei Punkte hervorheben, die noch verbesserungsbedürftig seien: Es fehle eine Regelung zur Einwilligungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen sowie eine Verpflichtung zum Abschluss von Behandlungsvereinbarungen. Die Frage der Behandlungsvereinbarung habe durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Zwangsbehandlung erheblich an Bedeutung gewonnen. In einer solchen Vereinbarung könne vertraglich festgelegt werden, wie die Behandlung im Falle der Einwilligungsunfähigkeit auszusehen habe. Im Gegensatz zur Patientenverfügung, in der lediglich einseitig festgelegt werden könne, was nicht geschehen dürfe, könne mit der Behandlungsvereinbarung ein konkreter Behandlungsanspruch sichergestellt werden.
Der Behandlungsvertrag
Andrea Mrazek, Vorstandsmitglied der BPtK, führte als Moderatorin durch den Vormittag. Zunächst stellte Ministerialdirigent Karl-Heinz Oehler vom BMJ den Behandlungsvertrag vor. Schwerpunkt des Gesetzentwurfs seien die Kodifizierungen des Behandlungsvertrages und des Haftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, die Förderung einer Fehlervermeidungskultur, die Stärkung von Verfahrensrechten bei Behandlungsfehlern, die Stärkung der Patientenrechte, der Patientenbeteiligung und schließlich der Patienteninformation. Dabei handele es sich um einen gemeinsamen Entwurf des BMJ und Bundesministerium für Gesundheit.
Einen Schwerpunkt des Vortrags bildeten die Informations- und Aufklärungspflichten in den Regelungen zum Behandlungsvertrag (§§ 630c, 630d). Er ging auch auf die Regelung ein, dass der Behandelnde darauf hinweisen muss, wenn die Behandlungskosten nicht durch Dritte übernommen werden und der Behandelnde dies weiß oder Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind (§ 630c Absatz 3).
Weitere Themen waren Aufklärung und Einwilligung (§ 630d) sowie die Dokumentation und Einsichtnahme in die Patientenakte (§§ 630g, 630h). Auch auf die Regelungen zur Beweislastumkehr und Vermutungen bei der Haftung (§ 630h) ging Oehler ein. Abschließend trug er Einwände gegen den Entwurf vor und setzte sich mit einzelnen Forderungen des Bundesrats kurz auseinander. Sein Fazit lautete: „Durch das neue Gesetz werden Patienten nicht gesünder, aber hoffentlich zufriedener. Und wer zufrieden ist, wird wahrscheinlich auch leichter wieder gesund.“
BPtK-Vorstand Peter Lehndorfer richtete in der anschließenden kurzen Diskussion an ihn die Frage, warum keine Regelung zur Behandlung von Kinder und Jugendlicher vorgesehen und die Frage der Einwilligungsfähigkeit nicht geregelt sei. Oehler räumte ein, dass sich in der Tat zur Einwilligungs- und Einsichtsfähigkeit von Kinder und Jugendlichen nur ein Verweis in der Gesetzesbegründung finden würde. Er denke jedoch, dass dies ein Thema sei, das flexibel gehandhabt werden müsse und bei dem eine zwingende gesetzliche Regelung nicht unbedingt hilfreich sei.
Die Sicht der Patientenvertretung
Beate Lisofsky stellte eingangs ihres Referates den Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e. V. vor. Er sei bereits 1985 gegründet worden und eine Selbsthilfeorganisation und Solidargemeinschaft. Es gebe über 500 regionale Gruppen. In der Gründungsphase seien „Angehörige“ im Wesentlichen Eltern psychotisch erkrankter Kinder gewesen. Dies habe sich im Laufe der Zeit gewandelt. Nunmehr lege man folgende Definition zugrunde: „Familie ist da, wo Menschen für einander einstehen“. Insgesamt erwarte der Verband eine Gleichstellung psychisch Kranker mit somatisch Kranken unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse, Wohnort und lebensfeldnahe vernetzte Hilfsangebote sowie eine Versorgungsverpflichtung für alle psychisch Kranken – auch für „schwierige Patienten“. Zentral sei dabei die Unterstützung „aus einer Hand“.
Die Patientenvertreter hätten große Erwartungen an ein Patientenrechtegesetz gehabt. Aus ihrer Sicht sollte es Ziel eines Patientenrechtegesetzes sein, die „sprechende Medizin“ zu fördern. Außerdem müssten personenbezogene und indikationsbezogene Hilfen für alle psychisch kranken Menschen gewährleistet sein. Vergleiche man diese Erwartungen mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, so könne man erkennen, dass es keine oder kaum Schnittmengen zwischen Vorstellungen und Forderungen der Selbsthilfe und dem Patientenrechtegesetz gebe. Es bestehe daher erheblicher Nachbesserungsbedarf bei der Grundausrichtung des Gesetzes: Der Individualanspruch auf eine umfassende und gegebenenfalls koordinierte Behandlung sei nicht explizit verankert. Es fehle auch an einer ausdrücklichen Pflicht zur integrierten Behandlungsplanung. Auch sei eine Behandlungsvereinbarung etwas anderes als der Behandlungsvertrag und eine Regelung der Behandlungsvereinbarung wäre wünschenswert gewesen. Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention fehle es an einer Regelung zur „Barrierefreiheit“ von Praxen. Zwei weitere entscheidende Punkte seien aus ihrer Sicht der Ausbau der kollektiven Patientenrechte sowie die bessere Unterstützung von Patientinnen und Patienten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte. Die Ausnahmen zum Einsichtnahmerecht aus „erheblichen therapeutischen Gründen“ seien zu weit gefasst.
Einsichtnahme und Dokumentation im Patientenrechtegesetz
Dr. Martin Stellpflug, Justiziar der BPtK erläuterte, wie im geplanten Patientenrechtegesetz die Dokumentation der Behandlung durch den Arzt oder Psychotherapeuten und deren Einsichtnahme durch den Patienten geregelt sind. Dafür stellte er eingangs die Regelungen im Patientenrechtegesetz und in der Musterberufsordnung der BPtK gegenüber.
Die Dokumentationspflicht im Patientenrechtegesetz sei vergleichsweise umfassender. Nach der bisherigen Rechtsprechung bestimme der Zweck der Dokumentationspflicht deren Umfang. Demnach gebe es drei Zwecke: Die Therapiesicherung (Information für den weiterbehandelnden Therapeuten), die Rechenschaftslegung (Überprüfung der Behandlung durch den Patienten) und die Beweissicherung (wobei dies umstritten sei). Der Gesetzentwurf regele nunmehr ein „unverzügliches“ Einsichtnahmerecht in die Patientenakte, soweit dem nicht erhebliche therapeutische oder sonstige erhebliche Gründe entgegenstünden. Die Musterberufsordnung hingegen nehme die Einsichtnahme in die persönlichen Aufzeichnungen des Therapeuten über seine emotionale Erlebnisweise des therapeutischen Geschehens (subjektive Daten) grundsätzlich vom Einsichtnahmerecht aus.
In einer Entscheidung hätte das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass sich das Einsichtnahmerecht im Maßregelvollzug auch auf die sogenannten subjektiven Aufzeichnungen erstrecke. Deshalb stelle sich die Frage, ob die Regelung der Musterberufsordnung mit dieser Rechtsprechung im Einklang stehe. Allerdings hätten die Instanzgerichte in Auseinandersetzung mit dem Maßregelvollzugsurteil des Bundesverfassungsgerichts weiterhin die Schwärzung oder Überdeckung sogenannter subjektiver Aufzeichnungen für rechtmäßig erachtet, sodass die Musterberufsordnung insoweit mit der Rechtsprechung übereinstimme.
Dr. Bruno Waldvogel, Psychologischer Psychotherapeut aus München, fragte, wie Stempel („Nicht für Patienten“) von Kliniken auf Entlassungsberichten zu bewerten seien. Stellpflug betonte, dass seiner Auffassung nach solchen Stempeln nicht die Bedeutung zukomme, die ihnen teilweise gegeben werde. Es handle sich hier lediglich um eine Einschätzung der Klinik (soweit man überhaupt davon ausgehen könne, dass eine individuelle Prüfung erfolgt sei). Über das Einsichtnahmerecht müsste derjenige entscheiden, der die Patientenakte führe, also der niedergelassene Psychotherapeut. Dieser müsse beurteilen, ob der Inhalt des Entlassungsberichts eine Einschränkung in das Einsichtnahmerecht erforderlich mache. Auf Nachfrage erklärte Stellpflug, dass in der Praxis kaum von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werde, das Einsichtnahmerecht partiell einzuschränken. Nach der Rechtsprechung könne auch die gemeinsame Einsichtnahme in die Dokumentation als milderes Mittel vor der gänzlichen Verweigerung in Betracht kommen. Da dies in der Praxis sehr aufwendig sei, würden Therapeuten häufig doch auf eine Einschränkung verzichten und die Dokumentation dem Patienten in Gänze zur Verfügung stellen.
Workshop I: Dokumentation und Einsichtnahme
Monika Konitzer, Vizepräsidentin der BPtK, moderierte den Workshop I: Dokumentation und Einsichtnahme. Sie schlug vor, sich damit auseinanderzusetzen, wie mit vertretbarem Aufwand die Regelungen zum Patientenrechtegesetz sinnvoll umgesetzt werden könnten.
Stephan Stanko, Psychologischer Psychotherapeut aus Frankfurt am Main, gab dazu ein Impulsreferat aus Sicht der psychodynamischen Psychotherapie. Nach dem Gesetz sei der Regelfall ein unverzügliches und uneingeschränktes Einsichtnahmerecht. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung würden die Persönlichkeitsrechte der Behandler zugunsten der Patientenrechte aufgegeben. Die Neuregelung schaffe Spannungen oder sogar Konflikte zwischen der Gesetzesforderung und der berufsethischen Orientierung und setze auch neue Parameter für das Arbeiten in psychoanalytisch begründeten Verfahren. Stanko problematisierte, dass der Gesetzesentwurf dem Gedanken eines Dienstleistungsverhältnisses folge, ohne die Spezifika der Psychotherapie und des Therapeut-Patient-Verhältnisses angemessen zu berücksichtigen.
Er warf die Frage auf, wie sich ein uneingeschränktes Einsichtnahmerecht störend oder sogar schädigend auf Patienten, Behandler, Behandlungsprozesse und die Behandlungsbeziehung auswirken könne.
Ein uneingeschränktes Einsichtnahmerecht, unabhängig von einem Verdacht auf einen Behandlungsfehler, fördere keine Fehlervermeidungskultur, sondern führe eher zu zensierenden Überlegungen, erodiere das Vertrauensverhältnis und schaffe eine problematische Pseudotransparenz.
Dr. Wolfgang Groeger, Psychologischer Psychotherapeut aus Bochum, stellte in seinem Impulsreferat die Sicht der Verhaltenstherapie dar. Er leitete aus den gesetzlichen Vorgaben konkrete Mindestanforderungen an die Dokumentation ab. Insgesamt habe aus seiner Sicht die Verhaltenstherapie weniger Probleme mit einem umfassenden Einsichtnahmerecht. In erster Linie komme es darauf an, die Anforderungen nun im Sinne der Patienten umzusetzen. Es sei entscheidend, auf die Vollständigkeit der Patientenakten zu achten. Es sollte daher vom Anmeldebogen über den Protokollbogen bis hin zu Antragsbewilligungs- und Abrechnungsunterlagen eine feste Struktur mit festen Inhalten zugrunde gelegt werden. Wichtig sei dabei zu beachten, dass das Einsichtnahmerecht des Patienten im Regelfall auch die Aufzeichnung persönlicher Eindrücke des Behandlers umfasse.
Fallkonzeptualisierung, Zielbestimmung und Therapieplanung seien auch dann unverzichtbar, wenn eine Befreiung von der Begründungspflicht wie für die Kurzzeittherapieanträge bestünde. Im Falle einer elektronischen Patientenakte müsse gewährleistet sein, dass jede Änderung erfasst werde. Eine Möglichkeit, damit umzugehen, sei es, Protokollbögen zu verwenden. Bei Überschreiten der Mindestanforderungen solle immer das Einsichtnahmerecht des Patienten mitbedacht werden. Groeger stellte dann konkrete Protokollbögen vor, die aus seiner Sicht sinnvoller Weise verwendet werden könnten und auch häufig – insbesondere im Bereich der Ausbildung – bereits heute eingesetzt würden.
Hermann Schürmann aus der Kommission der BPtK „Zukunft der Krankenhausversorgung“ stellte die Besonderheiten in der stationären Versorgung vor. Bereits früher habe in seiner Klinik gegolten: „Der Entlassungsbrief muss für den Patienten lesbar sein und darf ihm nicht schaden.“ Diese relativ offenen Vorgaben hätten sich im Laufe der Zeit wesentlich präzisiert. So gebe es jetzt eine Verfahrensanweisung „Dokumentation“, die der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung, dem Nachweis der erbrachten Leistung und dem Nachweis der Behandlungsindikation diene. Grundsätzlich gelte, was nicht dokumentiert sei, sei nicht gemacht worden. Jeder dokumentiere für sich, und die Nebenzielgruppe seien der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK), Gerichte und auch – vor allem im Fall des Suizids – die Polizei. Die Einführung von Krankenhausinformationssystemen habe für die Dokumentation Vorteile. Nunmehr würden sich alle Befunde an einem Ort befinden. Jeder an der Behandlung Beteiligte könne die Dokumentation einsehen und diese könne wiederum im Zusammenhang gesehen werden. Die Dokumentation diene damit vor allem der Kommunikation. Abschließend wies Schürmann darauf hin, dass der Fall der Einsichtnahme in die gesamten Akten gar nicht so häufig vorkomme. So hätten in seiner Klinik etwa 20 Prozent der Patienten den Entlassungsbericht angefordert. In 20 Jahren hätten zwei von insgesamt 16.000 Patienten Akteneinsicht gefordert, aber keiner habe sie dann wahrgenommen.
In der anschließenden Diskussion wies BPtK-Vizepräsident Dr. Dietrich Munz darauf hin, dass die Einsichtnahme vor allem bei „entgleisten“ Behandlungen gefordert werde. Hier sei zu bedenken, dass eine ausführliche Dokumentation gerade auch dem eigenen Schutz diene. Konitzer wies darauf hin, dass es nicht sehr viele Wünsche auf Einsichtnahme gebe. Stanko gab zu bedenken, dass es nicht um die Einzelfälle gehe, sondern, dass hier eine neue Struktur etabliert werde, die sich nachteilig auf die Behandlung auswirke. Dr. Heike Winter, Vizepräsidentin der hessischen Psychotherapeutenkammer, betonte, es sei problematisch, dass das Gesetz Einfluss auf den therapeutischen Prozess nehmen könne. Vor allem aber bewirke das Gesetz, dass sich der Therapeut selbst anders verhalten müsse. Dr. Nikolaus Melcop, Präsident der Psychotherapeutenkammer Bayern, wies darauf hin, dass im Falle eines krisenhaften Verlaufs einer Behandlung eine besonders intensive Dokumentation hilfreich sein könne – bis hin zur wörtlichen Rede. Gerade damit könne dann deren Verlauf von einem Gutachter genau nachvollzogen werden, vor allem wenn Haftungsansprüche geltend gemacht würden. Im Regelfall sollte sich die Aufzeichnung jedoch auf das Wesentliche der Behandlung beschränken.
Bernhard Morsch, Präsident der Psychotherapeutenkammer des Saarlandes, stellte die Frage, wie es denn mit persönlichen Aufzeichnungen als Gedächtnisstütze sei und ob diese getrennt von der eigentlichen Patientenakte aufbewahrt werden könnten. Dies sei keine verfahrensspezifische Problematik, sondern eine allgemeine Frage, die einer Antwort der Profession bedürfe. Dr. Stellpflug wies darauf hin, dass alles, was unmittelbar mit der Behandlung zusammen hänge, auch in die Patientenakte Eingang finden müsse. Denkbar wäre allenfalls, dass losgelöst von der konkreten Behandlung, ein Therapeut eine „Kladde“ mit dem Titel „Mein Leben als Therapeut“ führe. Aus seiner Sicht gehörten aber z. B. Aufzeichnungen über Supervisionen in die Patientenakte. Er stellte die Frage, warum ausgerechnet eine solche Aufzeichnung unterlassen werden solle, wo der Therapeut gerade mit der Inanspruchnahme von Supervision zeige, wie sorgsam er die Behandlung durchgeführt habe.
Workshop II: „Anträge und Befundberichte“
Den zweiten Workshop zu Anträgen und Befundberichten moderierte BPtK-Präsident Rainer Richter. Prof. Dr. Stefan Klingberg schilderte in seinem Impulsreferat seine Erfahrungen mit Berichten an den MDK. Thema der Berichte über stationäre Behandlungen sei in der Regel deren Verlängerung. Das Patientenrechtegesetz bringe für seine Klinik keine gravierenden Änderungen, weil sie bereits jetzt den Patienten die Einsichtnahme in solche Berichte ermögliche. Das habe Konsequenzen für die Abfassung der Berichte. Es erfordere eine für den Patienten selbstwertschonende Umschreibung der psychopathologischen Begriffe. Der MDK erwarte aber für die Begutachtung der Anträge eindeutige Diagnosen und keinesfalls selbstwertschonende Umschreibungen. Daraus ergebe sich ein derzeit schwer zu lösender Interessenkonflikt.
Generell befinde man sich in einem Spannungsfeld. Einerseits sei die Information und Einsichtnahme in den Bericht ein Beitrag dazu, dass Patienten Selbstverantwortung übernehmen. Andererseits könnten solche Berichte auch mit Kränkungen verbunden sein und könnten zu einer Ablehnung der Behandlung führen. Insgesamt müsse man festhalten, dass jeder Patient, egal ob psychisch oder somatisch krank, in bestimmten Phasen einer Erkrankung kein kritischer Verbraucher, sondern ein vertrauender Patient sei. Man könne sich, wenn man den Patienten als kritischen Verbraucher sehe, natürlich auch die Frage stellen, ob der Patient nicht mit in den Kommunikationsweg zwischen Krankenhaus und MDK einzubeziehen sei. Schließlich gehe es um die stationäre Versorgung der Patienten und es sei daher zu überlegen, ob die Patienten den Verlängerungsantrag nicht von sich aus an den MDK weiterleiten sollten. Allerdings müsse man dann davon ausgehen, dass 20 bis 30 Prozent der Patienten diesen Antrag nicht abliefern würden.
Generell sehe er ein Problem in der Kommunikation mit den Krankenkassen, egal ob gesetzliche oder private Krankenversicherung. Er kenne Anrufe von Sachbearbeitern der Krankenkassen, die fragen: „Inwieweit können wir Ihnen helfen, die Verweildauer Ihrer Patienten zu kürzen?“. Dabei könne es durchaus der Fall sein, dass die Klinik eine Entlassung zunächst einmal gar nicht in Erwägung ziehen wolle. Darüber hinaus stelle sich immer die Frage, inwieweit Sachbearbeiter von Krankenkassen Zugriff auf eigentlich schützenswerte Patientendaten erhalten. Ein besonderes Problem habe er bei der privaten Krankenversicherung. Dort sei gar nicht feststellbar, wer Einblick in die Behandlungsunterlagen habe und wie der Datenschutz gehandhabt werde.
Dieter Best, Psychologischer Psychotherapeut aus Ludwigshafen, schilderte als Gutachter für den verhaltenstherapeutischen Bereich seinen Umgang mit Berichten. Er empfehle als Gutachter grundsätzlich den Psychotherapeuten, den Patienten die Berichte vor Versand zur Einsicht freizugeben. Daher sei für ihn die Regelung im Patientenrechtegesetz nichts Neues. Als Psychotherapeut erarbeite er die Berichte mit seinen Patienten gemeinsam. Der Patient beantworte einen Fragenkatalog zunächst allein, dann spreche man das gemeinsam durch und auf dieser Basis entwerfe er den Bericht an den Gutachter. Ergebnis sei aus seiner Sicht ein von Therapeut und Patient gemeinsam getragenes Störungsverständnis, gemeinsame Therapieziele und ein gemeinsamer Behandlungsplan. Natürlich resultiere daraus eine selbstwertschonende, geglättete Darstellung im Bericht. Dies würde er immer akzeptieren, da bei der Frage, ob die korrekte Bezeichnung oder die psychotherapeutische Beziehung wichtiger sei, für ihn immer die Beziehung entscheidend sei. Damit der Gutachter wisse, in welchem Kontext der Bericht geschrieben wurde, empfehle er zu vermerken: „Habe ich mit dem Patienten abgesprochen“.
Bezüglich der Antragstellung bei den Krankenkassen sehe er beim Gutachterverfahren in der gesetzlichen Krankenversicherung den Datenschutz gewährleistet. Dies sei jedoch mit dem Blick auf die private Krankenversicherung keinesfalls so, da völlig unklar sei, wer gegebenenfalls Einblick in die Daten erhalte. Gleiches gelte für die gesetzliche Unfallversicherung, die zudem ein besonders enges Berichtswesen habe.
Anne Springer, Psychologische Psychotherapeutin aus Berlin, schilderte den Umgang mit Gutachten aus der Sicht der psychodynamischen Verfahren. Sie unterschied zwischen den gesetzlich geregelten Vertragsbeziehungen von Patient und Psychotherapeut und dem Arbeitsbündnis, das Patient und Psychotherapeut miteinander eingehen. Beim Arbeitsbündnis treffe ein Psychotherapeut Arbeitshypothesen, die immer Momentaufnahmen seien und im Verlauf des Behandlungsprozesses verifiziert oder falsifiziert werden. Auch sei es im Behandlungsprozess notwendig, sich mit Übertragungen und Gegenübertragungen zu beschäftigen und dies auch zu dokumentieren. Beides seien für einen Gutachter wichtige Informationen, die deshalb offen und ehrlich zu schildern seien. Dies sei keine Privatsache des Behandelnden, sondern integraler Bestandteil des Behandlungsprozesses und insoweit auch zu dokumentieren. Wenn nun Patienten in unterschiedlichen Phasen ihrer Behandlung Einblick in den Bericht an den Gutachter forderten, dann könne dies durchaus Schaden für den Patienten mit sich bringen und gegebenenfalls auch für den Psychotherapeuten. Es gehe ihr in erster Linie darum, darauf hinzuweisen, dass dies für den Patienten eine problematische Situation sein könne. Auch weil man grundsätzlich nicht negieren dürfe, dass Patienten in Not sich in einer Abhängigkeitssituation befinden und keine klassischen Kunden seien. Sie betrachte das Patientenrechtegesetz als janusköpfig. Auf der einen Seite verfolge es den positiven Wunsch, die Patienten zu stärken, auf der anderen Seite sei es getragen von einem Misstrauen gegenüber den Behandelnden.
In der anschließenden Diskussion wurde herausgearbeitet, dass die Verfahren sehr unterschiedlich mit der Anforderung von mehr Transparenz und unverzüglicher Einsichtnahme umgehen. Während Verhaltenstherapeuten dies bereits jetzt in ihre Behandlung einbeziehen, stellten sich für die psychoanalytischen Verfahren neue Herausforderungen, insbesondere durch die laufende Einsichtsmöglichkeit in die Akten. Es entstehe eine neue Dynamik in der Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient. Psychotherapeuten müssten sich künftig überlegen, wie sie den Patienten einbeziehen und wie sie damit umgehen, dass die Regelung des Patientenrechtegesetzes den Behandlungsprozess künftig mit prägen werden. Die Teilnehmer gingen gemeinsam davon aus, dass es notwendig sei, im Dialog miteinander zu bleiben, sich zu überlegen, wie die Berufsordnung entsprechend weiterzuentwickeln sei und wie sichergestellt werden könne, dass die für jede Psychotherapie notwendige Beziehung zwischen Psychotherapeut und Patient durch diese neue Herausforderung keinen Schaden nehme.
Workshop III: Rechte von Kindern und Jugendlichen als Patienten
Inge Berns, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin aus Hannover, berichtete in ihrem Impulsvortrag zur Einwilligungsfähigkeit von zwei Erstkontakten mit Kindern. Sie veranschaulichte daran exemplarisch die Bewertung der Einwilligungsfähigkeit von Kindern durch eine psychodynamisch arbeitende Psychotherapeutin. In beiden Fällen hätten die Kinder der Behandlung zwar nicht explizit zugestimmt bzw. diese in der verbalen Äußerung sogar abgelehnt. Implizit hätte sich aus dem Verhalten der Kinder jedoch eine Annahme des Behandlungsangebotes ableiten lassen. Kinder seien schon sehr viel früher einwilligungsfähig als geschäftsfähig. Je nach geistig-intellektuellem Entwicklungsstand äußere sich die Einwilligung jedoch auf unterschiedliche Weise. Dabei stelle die Tatsache, dass die Kinder in der Regel nicht initial den Therapeuten aufsuchten, besonders hohe Anforderungen an die Einwilligung. Voraussetzung für eine qualifizierte Bewertung der Einwilligungsfähigkeit sei eine dem Entwicklungsstand entsprechende Aufklärung der Kinder. Dies gelte für die Feststellung der Therapiebedürftigkeit, die Diagnostik und die Aufklärung über die Therapie.
Simone Skibba, Familienrichterin am Amtsgericht Winsen (Luhe), stellte der Arbeitsgruppe ihre Überlegungen und Erfahrungen in Bezug auf die Einsichtnahme in die Behandlungsdokumentation bei Konflikten und Sorgerechtsstreitigkeiten vor. Bei rechtlichen Problemen im Alltag müssten danach insbesondere drei Fallkonstellationen unterschieden werden, in denen Gerichte angerufen würden. In der ersten Fallkonstellation gehe es um Streitigkeiten zwischen Eltern und Kindern über die Einwilligung in eine Behandlung. Bei nicht einwilligungsfähigen Minderjährigen gelte hier uneingeschränkt das Elternrecht, wenn das Kindeswohl dadurch nicht gefährdet werde. Auch bei minderjährigen einwilligungsfähigen Jugendlichen bestehe immer ein Informationsrecht der Eltern, allerdings sollte der Minderjährige um Zustimmung gebeten werden. Im Konfliktfall (Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Kindes und dem Elternrecht) könnten Eltern eine Behandlung weder erzwingen noch verbieten. Bei Kindeswohlgefährdung könnten Maßnahmen auch gegen den Willen der Eltern vom Familiengericht angeordnet werden. In der zweiten Fallkonstellation, dem Streit unter den Eltern über eine Behandlung, müsse im Zweifel das Familiengericht entscheiden. Bei der dritten Fallkonstellation gehe es um die Entbindung von der Schweigepflicht bei Sorgerechtsstreitigkeiten, die von Familiengerichten angeordnet werden könne.
Im Anschluss diskutierten die Teilnehmer konkrete Fragen aus ihrer Behandlungspraxis. Es sei häufig der Fall, dass Jugendliche wünschen, dass ihre Eltern nicht über ihre psychotherapeutische Behandlung informiert werden. Hier wurde für gesetzlich Krankenversicherte auf das Alter von 15 Jahren verwiesen, ab dem Jugendliche selbst antragsberechtigt seien. Problematischer sei dagegen eine Behandlung von privatversicherten Jugendlichen. Aber auch diese Jugendlichen seien nicht rechtlos. Gegebenenfalls müsse das Jugendamt eingeschaltet oder das Familiengericht informiert werden.
Problematisch sei es allerdings, wenn die Jugendlichen noch nicht einwilligungsfähig seien. Daher sei es für den Psychotherapeuten wichtig, die Einwilligungsfähigkeit aus seiner fachlichen Kompetenz heraus festzustellen und gut und gründlich zu dokumentieren. Weil es hier keine eindeutigen und allgemein anerkannten Bewertungskriterien für die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit gebe, müsse der Psychotherapeut als Angehöriger eines Heilberufs eigenverantwortlich entscheiden und gegebenenfalls Konflikte in Kauf nehmen. Allerdings wurde auch festgestellt, dass der Wunsch nach Einsichtnahme in die Behandlungsdokumentation in der Praxis von Eltern selten geäußert werde. Hier rechneten die Teilnehmer allerdings im Zuge des Patientenrechtegesetzes durchaus mit einer Zunahme.
Zusammenfassend zeigte der Workshop, dass es bislang noch eine Reihe offener Fragen zum Umgang mit den Rechten von Kindern und Jugendlichen als Patienten in der psychotherapeutischen Praxis gibt. Die Thematik wurde aus psychotherapeutisch-fachlicher aber auch aus juristischer Sicht durch die Veranstaltung weiter geöffnet. Die Psychotherapeuten äußerten ein großes Interesse an klareren Vorgaben oder zumindest einer besseren Orientierung. Angeregt wurde eine Liste häufig gestellter Fragen (FAQs) oder eine Handreichung, wie beispielsweise die Einwilligungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen konkret festgestellt werden kann. Diese Informationen könnten z. B. von den Landespsychotherapeutenkammern zur Verfügung gestellt werden. Gewünscht wurden auch spezifische Workshops auf Kammerebene.
Plenumsdiskussion
Als erstes Thema in der Plenumsdiskussion wurde noch einmal auf die Frage der Einsichtnahme in subjektive Aufzeichnungen eingegangen. Stephan Stanko betonte, dass es einen geschützten Raum für die Psychotherapie geben müsse. Auch dürfte man das Persönlichkeitsrecht des Psychotherapeuten nicht vergessen. Denn es habe Auswirkungen auf den Therapieprozess, wenn der Psychotherapeut bestimmte Aufzeichnungen nicht mehr tätigen würde, weil er die Einsichtnahme in subjektive, innere Gedanken befürchten müsse. Die Regelungen des unverzüglichen uneingeschränkten Einsichtnahmerechts würden im Regelfall einer vom Gesetz eigentlich angestrebten Fehlervermeidungskultur entgegenlaufen. Andrea Mrazek betonte, dass hier offenbar ein veritables Dilemma vorliege, in dem sich der Therapeut befände. Sie hob auch den hier weiter bestehenden Diskussionsbedarf hervor.
Prof. Rainer Richter warf die Frage auf, was das Gesetz für die Ausbildung bedeute, wenn für die Supervision angefertigte Stundenprotokolle und für die Approbationsprüfung verfasste Abschlussberichte in die Patientenakte gehörten und damit gegebenenfalls eingesehen werden könnten. Wie könne dann in der Ausbildung eine entsprechend eng geführte Dokumentation noch verantwortet werden? Dr. Heike Winter betonte, dass dies hinsichtlich der Aufzeichnungen ungeregelt sei. Anne Springer erklärte, dass hinsichtlich der Abschlussarbeit ein Recht des Absolventen auf die Abschlussarbeit bestünde und insofern diese nicht Teil der Patientenakte sei, was sie habe rechtlich überprüfen lassen. Es sei sehr schwer, hier in Bezug auf die Ausbildungsteilnehmer eine generalisierende Lösung zu finden und man würde nicht umhin kommen, dass individuell jeder seiner Verantwortung nachkommen müsse. Inge Berns betonte, dass sie sich als Patientin eines Arztes über das Patientenrechtegesetz zunächst einmal freue und verstehe, dass es ein Gesetz für alle sein solle und der Stärkung der Autonomie des Patienten diene. Sie meine auch, dass letztlich Psychotherapeuten das Gesetz gut ausfüllen könnten und sie sich „nicht ins Bockshorn jagen lassen“ sollten. Peter Lehndorfer wies noch einmal darauf hin, dass es Ausnahmen zum Einsichtnahmerecht gebe und diese in den gebotenen Fällen auch zum Schutz des Patienten eingeschränkt werden könne.
Zum Schluss warf Prof. Rainer Richter die Frage auf, warum sich die Profession nicht bereits früher so intensiv mit diesen Fragen beschäftigt habe. Denn vieles im Patientenrechtegesetz sei bereits geltendes Recht – einschließlich des Rechts auf Einsichtnahme in die Dokumentation. Es sei auch klar, dass es keine Sonderregelung für psychisch kranke Menschen in einem Gesetz geben solle und könne. Es sei bereits jetzt so, dass Patienten die Akte einsehen würden und man dies gegebenenfalls auch entsprechend begleiten müsse. Die heutige Diskussion habe gezeigt, dass der Diskurs nicht beendet sei. Er werde sich dafür einsetzen, ihn intensiv weiterzuführen.
Veröffentlicht am 02. November 2012