Rund 20 Wochen Wartezeit auf psychotherapeutische Behandlung
BPtK-Studie „Wartezeiten 2018“
Psychisch kranke Menschen warten immer noch viel zu lange auf eine psychotherapeutische Behandlung: Von der ersten Anfrage beim Psychotherapeuten bis zum Beginn der Behandlung vergehen rund 20 Wochen. Das ist das Ergebnis der BPtK-Studie "Wartezeiten 2018", die die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie heute veröffentlicht. "Seit Jahren warten psychisch kranke Menschen monatelang auf eine psychotherapeutische Behandlung. Der Gesetzgeber hatte eine grundlegende Reform der Bedarfsplanung bereits zum 1. Januar 2017 verlangt. Doch bis heute hat der beauftragte Gemeinsame Bundesausschuss nicht einmal ein Konzept vorgelegt", erklärt BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz. "Die Gesundheitspolitik darf vor den überlangen Wartezeiten psychisch kranker Menschen nicht mehr die Augen verschließen. Damit sich Wartezeiten deutlich verkürzen, müssen mehr Psychotherapeuten zugelassen werden. Die BPtK fordert mindestens 7.000 psychotherapeutische Praxissitze zusätzlich insbesondere außerhalb der Großstädte."
Der Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungen ist in den vergangenen 15 Jahren deutlich gestiegen. Nach einer Studie des Robert Koch-Instituts erhält etwa jeder fünfte psychisch Kranke (18,9 %) in dem Jahr, in dem er erkrankt, auch professionelle Hilfe. 1998 lag diese Behandlungsquote noch bei etwa 10 Prozent. "Diese Verdopplung der Behandlungsquote ist darauf zurückzuführen, dass die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen abgenommen und die Bereitschaft zugenommen hat, sich bei psychischen Erkrankungen professionelle Hilfe zu suchen", erläutert BPtK-Präsident Munz.
Psychotherapeutische Sprechstunde sehr gut angenommen
Ein Jahr nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie lässt sich jedoch auch feststellen: Durch die neue Sprechstunde werden psychotherapeutische Praxen als zentrale Anlauf- und Koordinierungsstelle für psychisch kranke Menschen bereits sehr gut angenommen. Die Wartezeiten auf ein erstes Gespräch konnten von 12,5 Wochen auf 5,7 Wochen verkürzt werden. Rund 70 Prozent der Psychotherapeuten führen innerhalb von vier Wochen ihr erstes Gespräch mit ihren Patienten. "In ihrer Sprechstunde können Psychotherapeuten jetzt jeden kurzfristig beraten, der sich bei psychischen Beschwerden selbst nicht mehr zu helfen weiß." Durch die langen Wartezeiten waren bisher vor allem Patienten benachteiligt, die besonders lange krank waren. In die Sprechstunde kommen deshalb inzwischen mehr Patienten mit chronischen Erkrankungen, arbeitsunfähige und sozial benachteiligte Patienten.
Mit Akutbehandlung ein rasches Hilfsangebot geschaffen
Patienten in psychischen Krisen erhalten eine Akutbehandlung circa drei Wochen, nachdem sie für notwendig erachtet wurde. Zwei Drittel aller Psychotherapeuten (66,3 %) bieten die Akutbehandlung innerhalb von zwei Wochen an. Damit ist es gelungen für die meisten Patienten, die nicht auf eine Richtlinienpsychotherapie warten können, ein rasches Hilfsangebot zu schaffen. Bei einem kleineren Teil dieser besonders dringend behandlungsbedürftigen Patienten sind die Wartezeiten noch zu lang.
Wartezeiten auf dem Land und im Ruhrgebiet besonders lang
Bei der Wartezeit auf eine Richtlinienpsychotherapie zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land. In Großstädten liegt die durchschnittliche Wartezeit bei etwa vier Monaten, außerhalb der Großstädte dagegen bei durchschnittlich fünf bis sechs Monaten. Ein Sonderfall ist das Ruhrgebiet, in dem entgegen der grundsätzlichen Systematik der Bedarfsplanung für eine großstädtische Region besonders wenige Psychotherapeuten vorgesehen sind. Die Wartezeit zwischen Duisburg und Dortmund beträgt darum mehr als sieben Monate.
Diese Unterschiede entstehen dadurch, dass nicht überall gleich viele Psychotherapeuten je Einwohner zugelassen sind. Vielmehr sind außerhalb der Ballungszentren deutlich weniger Psychotherapeuten zugelassen als in den Großstädten. Dabei unterstellt die Bedarfsplanung, dass psychische Erkrankungen auf dem Land deutlich seltener sind als in der Großstadt. Dies widerspricht großen bevölkerungsrepräsentativen Studien des Robert Koch-Instituts, wonach sich die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen zwischen städtischen und ländlichen Regionen kaum unterscheidet (Bundes-Gesundheitssurvey, DEGS1-MH-Studie). Auch die Annahme, dass Großstädte ihre Umgebung mitversorgen und deshalb im Umland eine geringere Psychotherapeutendichte notwendig ist, stimmt häufig nicht. Tatsächlich sind die Wartezeiten auf eine Psychotherapie in der Umgebung einer Großstadt erheblich länger als in den Großstädten selbst.
BPtK-Forderungen
Die BPtK fordert deshalb eine grundlegende Reform der Bedarfsplanung, die die Wartezeit auf die Sprechstunde auf höchstens vier Wochen verringert und im Anschluss an die Sprechstunde eine lückenlose Versorgung sicherstellt.
In einem ersten Schritt sollte die Wartezeit auf eine psychotherapeutische Behandlung bundesweit auf die Dauer der Wartezeit in den Großstädten verringert werden. Dafür sind aus Sicht der BPtK rund 7.000 psychotherapeutische Praxissitze zusätzlich erforderlich. In einem weiteren Schritt geht es langfristig darum, die Wartezeiten auch in den Großstädten zu verringern, da die Wartezeit auf den Beginn einer Psychotherapie mit vier Monaten ebenfalls zu lang ist. Patienten, die dringend eine Psychotherapie benötigen, sollten nahtlos die erforderliche psychotherapeutische Behandlung erhalten. Zu einer Reform der Bedarfsplanung gehören aus Sicht der BPtK:
- Bundeseinheitliches Verhältnis von Psychotherapeuten je Einwohner als Grundlage: Unabhängig davon, ob es sich um eine städtische oder ländliche Region handelt, soll dieselbe Zahl von Psychotherapeuten je Einwohner zugelassen werden. Legt man zur Berechnung dieser Zahl die aktuell zugelassenen Psychotherapeuten zugrunde, entspräche dies einem Verhältnis von rund 3.300 Einwohnern je Psychotherapeut.
- Regionale Besonderheiten berücksichtigen: Ausgehend von dem bundeseinheitlichen Verhältnis soll die Anzahl der Psychotherapeuten regional angepasst werden. Hierbei sind regionale Unterschiede in der Sozialstruktur der Bevölkerung zu beachten. Aber auch die Mitversorgung durch Großstädte ist zu überprüfen. Es bestehen erhebliche Zweifel an der These, dass Großstädte ihre Umgebung in dem Maße mitversorgen, wie es die bisherige Bedarfsplanung unterstellt.
- Zuwachs an Praxen finanzieren: Der steigende ambulante Bedarf, insbesondere für zusätzliche Praxissitze, muss systematisch beim Zuwachs der Gesamtvergütung berücksichtigt werden. Die Krankenkassen verweigern sich bisher jedoch einer dringend notwendigen Weiterentwicklung auch der ambulanten ärztlichen Versorgung. Ein steigender Bedarf an sprechender Medizin fällt einer kurzfristigen Kostendämpfung der Krankenkassen zum Opfer. Dabei sind die Ausgaben der Krankenkassen für Krankengeld (ca. 2,9 Milliarden Euro) bereits höher als ihre Ausgaben für ambulante Psychotherapie (ca. 2 Milliarden Euro).
- Terminservicestellen sollen in Privatpraxen vermitteln: Das größte Defizit der ambulanten Versorgung, der Mangel an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen, bleibt auch nach der Reform der Psychotherapie-Richtlinie bestehen. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, muss der Auftrag der Terminservicestellen erweitert werden. Der Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigungen sollte verpflichtet werden, auch an psychotherapeutische Privatpraxen zu vermitteln. Voraussetzung dafür wäre, dass eine Richtlinienpsychotherapie dringend notwendig ist und innerhalb von vier Wochen kein freier Behandlungsplatz bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten oder ambulant in einem Krankenhaus verfügbar ist. Privatpraxen könnten sich dafür bei den Terminservicestellen akkreditieren.
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Veröffentlicht am 11. April 2018