Weiter bewegen - Tag der Rückengesundheit am 15. März
Etwa jeder dritte Deutsche leidet aktuell unter Rückenschmerzen. Ihre Behandlung kostet rund 8,4 Milliarden Euro pro Jahr. Dabei verursachen Patienten mit chronischen Rückenschmerzen circa 80 Prozent der Kosten. "Die meisten Rückenschmerzen sind jedoch nicht auf Schäden der Wirbelsäule zurückzuführen", erläutert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), zum "Tag der Rückengesundheit" am 15. März. "In den meisten Fällen sind psychosoziale Faktoren dafür entscheidend, ob Rückenschmerzen wieder von selbst verschwinden oder sich verfestigen."Für Rückschmerzen, bei denen keine bestimmten körperlichen Ursachen für die Schmerzen festgestellt werden können, ist seit dem 30. November 2010 die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) "Kreuzschmerz" veröffentlicht. Die Leitlinie betont, dass insbesondere bestimmte psychosoziale Risikofaktoren ("Yellow flags") wie Depressivität, beruflicher Stress, schmerzbezogene Kognitionen wie Katastrophisieren oder Angstvermeidungsverhalten sowie ein ausgeprägtes Schon- und Vermeidungsverhalten entscheidend dafür sind, dass aus akuten Rückschmerzen chronische werden können. Patienten sollten deshalb möglichst ihre körperlichen Aktivitäten beibehalten.
Die Eckpunkte der NVL "Kreuzschmerz" lauten wie folgt:
Im Vordergrund der Therapie des nichtspezifischen Kreuzschmerzes steht die Aktivierung der Betroffenen. Insbesondere ist auf das Vorliegen von Risikofaktoren für die Chronifizierung des akuten Kreuzschmerzes ("yellow flags") zu achten.
Da durch monomodale Behandlungsansätze die ausschließlich somatische Attribuierung des Kreuzschmerzes durch die Betroffenen voranschreitet, werden so früh wie möglich multi- und interdisziplinäre Behandlungspläne entwickelt und umgesetzt.
Die Therapie orientiert sich an den Schmerzen und dem aktuellen Funktionsstatus. Der Behandlungsplan muss von den behandelnden Ärztinnen/Ärzten mit den Betroffenen abgestimmt sein und erfordert deren Verständnis und Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit. Daher können Präferenzen der Patientinnen/Patienten sowie des Behandlungsteams in der Therapieplanung Berücksichtigung finden.
Die medikamentöse Therapie soll im akuten Stadium nichtmedikamentöse Maßnahmen unterstützen, damit die Betroffenen frühzeitig ihre üblichen Aktivitäten wieder aufnehmen. Die Indikation zu einer medikamentösen Therapie für den chronischen Kreuzschmerz besteht, wenn zur Umsetzung der aktivierenden Maßnahmen (siehe Kapitel H 5 "Nichtmedikamentöse Therapie des nichtspezifischen Kreuzschmerzes" und Kapitel H 9 "Multimodale, multi- und interdisziplinäre Behandlung/Rehabilitation") eine Schmerztherapie erforderlich ist.
Optionale Empfehlungen (Terminus "kann") betreffen Therapieversuche, die erst nach Ausschöpfung aller stärker empfohlenen Therapiemaßnahmen in Erwägung gezogen werden können.
Neben den Empfehlungen zur Diagnostik, zur Aktivierung der Patienten und zum Einsatz von Medikamenten beziehen sich viele Empfehlungen der Leitlinie auch auf die Erfassung und den Umgang mit den psychosozialen Risikofaktoren. So empfiehlt die Leitlinie, beispielsweise schon im primärärztlichen Bereich psychosoziale Risikofaktoren zu erfassen, wenn die Schmerzen trotz leitliniengerechter Maßnahmen länger als vier Wochen andauern. Liegen psychosoziale Risikofaktoren vor, soll schon bei subakutem Kreuzschmerz eine auf das individuelle Risikoprofil bezogene Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) angeboten werden.
Sechs Stunden Psychotherapie können reichen, um akute und chronische Rückenschmerzen nachhaltig zu lindern. Zu diesem Ergebnis kommt eine randomisierte Studie ("Back Skills Training Trial") mit 600 Patienten bei 56 Allgemeinärzten in England, deren Ergebnisse im Februar 2010 in der medizinischen Wissenschaftszeitschrift "Lancet" veröffentlicht wurden. Die Patienten litten meist unter Rückenschmerzen, die durch Muskelverspannungen verursacht wurden, und reagierten darauf mit einer Schonhaltung oder sogar Bettruhe. Mithilfe einer Gruppentherapie konnte den Patienten geholfen werden, die Bedeutung negativer Gedanken und Einstellungen zu erkennen und schnell wieder körperliche Aktivitäten aufzunehmen.
Die Psychotherapie war insbesondere langfristig überlegen. Auch ein Jahr nach Beendigung der Therapie berichteten die Teilnehmer über deutlich weniger Schmerzen und Beeinträchtigungen als die Vergleichsgruppe, die lediglich eine Beratungsstunde erhalten hatte. In der Psychotherapiegruppe waren bei 60 Prozent der Patienten die Rückenschmerzen auch noch ein Jahr nach der Behandlung verringert, in der Kontrollgruppe hingegen nur bei 31 Prozent. Dabei ist das "Back Skills Training" im Vergleich zu den herkömmlichen Therapien bei Rückenschmerz (Physiotherapie oder Akupunktur) wesentlich kosteneffektiver. Die Kosten für ein gewonnenes Lebensjahr in guter Lebensqualität (Quality-Adjusted Life Year - QALY) liegen nach Berechnungen der Autoren bei 1.786 Pfund. Im Gegensatz hierzu belaufen sich diese für Physiotherapie auf 3.800 Pfund und für Akupunktur auf 4.242 Pfund.
Veröffentlicht am 14. März 2011