Weltkindertag: Psychisch kranke Kinder warten oft Monate auf Behandlung
Reformbedarf im Vertragsarztrechtsänderungsgesetz
Kinder, die an Angst, Depressionen oder aggressivem Verhalten leiden, finden häufig keinen Psychotherapeuten. "Kinder, müssen oft wochen- und monatelang auf eine psychotherapeutische Behandlung warten", erklärte Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), in Berlin anlässlich des Weltkindertages 2006.
Die Zahl der niedergelassenen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ist viel zu gering. Besonders dramatisch ist die Lage in ländlichen Gebieten und sozialen Brennpunkten. Armut birgt für Kinder ein hohes Risiko psychisch zu erkranken. Bleibt eine psychische Krankheit unbehandelt, verläuft sie in etwa jedem zweiten Fall chronisch.
"Psychische Krankheiten im Kindes- und Jugendalter wachsen sich nicht aus, sondern kehren wieder", stellt BPtK-Präsident Rainer Richter fest. "Wir brauchen dringend eine Regelung, die sicherstellt, dass es in allen städtischen und ländlichen Regionen Deutschlands genügend Psychotherapeuten gibt, die sich auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen spezialisiert haben." Die BPtK fordert, im geplanten Vertragsarztrechtsänderungsgesetz eine Mindestquote von 20 Prozent für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie zu verankern.
Angststörungen und externalisierende Störungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen im Kindesalter. Dabei dominieren Trennungsangst und Überängstlichkeit sowie hyperkinetische Störungen (ADHS). Externalisierende Störungen werden besonders oft chronisch und haben gravierende Konsequenzen für die schulische und berufliche Laufbahn der Kinder. Im Jugendalter nehmen soziale Phobie und Platzangst sowie Panikstörungen zu. Eine soziale Phobie ist die ausgeprägte Furcht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und sich peinlich oder beschämend zu verhalten. Insgesamt hat etwa jedes zwanzigste Kind bzw. jeder zwanzigste Jugendliche in Deutschland eine behandlungsbedürftige psychische Krankheit. Etwa jedes fünfte Kind klagt über psychosomatische Beschwerden. Psychisch auffällig sind 18 Prozent der Kinder und Jugendlichen.
Psychische Krankheiten sind bei Kindern und Jugendlichen ungefähr so häufig wie bei Erwachsenen. Der Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung beträgt rund 20 Prozent. Dagegen erreicht der Anteil der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten an allen psychotherapeutischen Leistungserbringern nur 12,2 Prozent. In den östlichen Bundesländern ist die Unterversorgung besonders groß: In Sachsen-Anhalt kommen auf einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten 200.000 Einwohner unter 18 Jahren, in Mecklenburg-Vorpommern 32.358 und in Brandenburg 22.727. Zum Vergleich: in Baden-Württemberg 3.787 und in Bremen 2.500 Einwohner unter 18 Jahren.
Die BPtK schlägt vor, dass mindestens 20 Prozent der Psychotherapeuten, die mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen dürfen, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten oder Psychologische und ärztliche Psychotherapeuten, die ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, sein müssen. Ein solcher 20prozentiger Mindestversorgungsgrad schüfe bundesweit rund 800 zusätzliche Praxissitze für niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten.
Kassenärztliche Vereinigung
Anzahl PT* gesamt
Anzahl KJP*
Anteile KJP an allen PT in %
Baden-Württemberg
2.703,8
520
19,2
Niedersachen
1.534,9
276
18,0
Rheinland-Pfalz
723,8
107
14,8
Bayerns
3.153,9
393
12,5
Brandenburg
176,9
22
12,4
Sachsen
426,9
53
12,4
Westfalen-Lippe
1.522,5
188
12,4
Hessen
2.029,0
249
12,3
Bremen
391,0
44
11,3
Schleswig-Holstein
539,4
56
10,4
Saarland
227,9
20
8,8
Berlin
1951,4
170
8,7
Nordrhein
2.575,3
199
7,7
Mecklenburg-Vorpommern
141,6
10
7,1
Hamburg
881,0
61
6,9
Thüringen
218,9
15
6,9
Sachsen-Anhalt
299,8
2
0,7
Bund
19.498
2.385
12,2
* PT: Psychotherapeuten,
KJP: Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
Quelle: KBV 2006
1Neben Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sind weitere Berufsgruppen berechtigt, sich an der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu beteiligen. Dies sind z. B.: Kinderärzte mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie und/oder Psychoanalyse, Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie und/oder Psychoanalyse sowie Psychotherapeuten mit der Zusatzqualifikation zur psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Weder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung noch den Spitzenverbänden der Krankenkassen liegen Zahlen dazu vor, in welchem Umfang diese Berufsgruppen sich an der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher beteiligen.
Veröffentlicht am 19. September 2006