„Chronischer, exzessiver und traumatischer Stress hinterlassen immer und vermutlich in allen Zellen unseres Körpers Spuren“, erklärte Prof. Dr. Iris-Tatjana Kolassa, Leiterin der Abteilung Klinische und Biologische Psychologie der Universität Ulm. „Je höher die traumatische Stresslast, desto höher das Risiko für psychische und physische altersassoziierte Erkrankungen“. Vor allem langlebige Zellen wie die Gedächtniszellen des Immunsystems und Nervenzellen seien besonders gefährdet, geschädigt zu werden und im schlimmsten Falle abzusterben. Diese Schädigungen könnten auch die Ursache für hohe Rückfallquoten und niedrige Behandlungserfolge bei komplexen Traumatisierungen sein. Psychotherapie könne dazu beitragen, Zellschädigungen zu senken. Daneben könne die Prävention von Stress und Überforderung ebenso wie von Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit – neben einer zeitnahen Psychotherapie – gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Kultursensible und transgenerationale Psychotherapie
Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, promovierter Psychologe, Soziologe und Orientalist an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, zeigte eindrücklich am Schicksal der Jesiden im Nordirak die besonderen Anforderungen an eine kultursensible Psychotherapie für Gewaltopfer in Krisengebieten. An der Universität Duhok konnte er ein Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie ins Leben rufen, in dem Absolventen eines Psychotherapiestudiums eine an den deutschen Standards orientierte Psychotherapeutenausbildung erhalten. „Auf diese Weise können wir Therapie an den kulturellen Kontext anpassen“, erläuterte Kizilhan. Neben der Kultursensibilität spielten aber auch transgenerationale Effekte eine große Rolle. Psychotherapie dürfe sich nicht auf das individuelle Trauma beschränken, sondern müsse auch jahrhundertelange kollektive Traumatisierungen wie beim Volk der Jesiden berücksichtigen.
Einen anderen Weg, kriegstraumatisierte Menschen zu erreichen, untersuchte Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin. Sie entwickelt und evaluiert Apps mit psychotherapeutischen Angeboten für geflüchtete und traumatisierte Menschen. Wie groß der Bedarf ist, habe eine App zur Internettherapie gezeigt, die für Frauen in Saudi-Arabien entwickelt, aber rasch in vielen weiteren arabischen Regionen genutzt worden sei. „Heute gibt es eine Fülle von Angeboten zur psychischen Gesundheit, die aber kaum überprüft sind“, erklärte sie die Notwendigkeit, die Wirksamkeit von Therapie-Apps genauer zu untersuchen. Erste Ergebnisse ihrer Evaluation legten nahe, dass es wichtig sei, die Nutzer in allen Phasen der Entwicklung zu beteiligen, um die kulturelle Angemessenheit sicherzustellen. Hier nutze man die Möglichkeiten noch nicht, die es heute bereits gebe.