Mogelpackung für psychisch kranke Menschen
G-BA beschließt neue Bedarfsplanungs-Richtlinie
Der GKV-Spitzenverband und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) halten ihre Zusagen nicht ein, die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland zu verbessern. Krankenkassen und Kassenärzte hatten am 9. Oktober 2012 beschlossen, „zusätzliche“ Psychotherapeuten zuzulassen und dafür rund 100 Millionen Euro bereitzustellen. „Dieser Beschluss erweist sich jetzt als eine Mogelpackung“, kritisiert Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), angesichts der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie, die heute vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossen wurde. „Statt zusätzliche Praxen zu schaffen, kann ab 2013 die Anzahl der Psychotherapeuten in Deutschland um über 6.000 sinken.“
Wartezeiten psychisch Kranker ignoriert
Schon jetzt warten psychisch Kranke durchschnittlich 12,5 Wochen auf ein erstes Gespräch bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten. In ländlichen Regionen beträgt die Wartezeit sogar 14,5 Wochen. Die BPtK hält eine Verkürzung der Wartezeiten auf drei Wochen für dringend erforderlich. Trotzdem plant der G-BA die psychotherapeutische Versorgung insgesamt zu verschlechtern. „Patienten weiter monatelang warten zu lassen, obwohl ein zusätzlicher Behandlungsbedarf unstrittig ist, ist zynisch“, erklärt BPtK-Präsident Richter.
„Zusätzlich“ heißt „zu etwas Vorhandenem hinzukommend“
Aktuell arbeiten rund 21.600 niedergelassene Psychotherapeuten in Deutschland. Wenn sich wirklich zusätzlich circa 1.300 Psychotherapeuten niederlassen dürften, gäbe es zukünftig insgesamt 22.900 Praxen. Tatsächlich rechnet der G-BA mit den Zahlen von 1999, als in Deutschland nur knapp 13.800 Psychotherapeuten niedergelassen waren. Der G-BA plant deshalb mit rund 15.100 Praxen. „Das sind durchsichtige Rechentricks auf Kosten psychisch kranker Menschen“, urteilt BPtK-Präsident Richter. „Wir fordern, dass tatsächlich 1.300 Praxen zusätzlich zu den bereits existierenden Praxen geschaffen werden.“
„Nicht mehr stichtagsbezogen“
Nach dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz hatte der G-BA den gesetzlichen Auftrag, die Bedarfsplanungs-Richtlinie zu reformieren und eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung sicherzustellen. „Dieses Ziel hat der G-BA in der psychotherapeutischen Versorgung verfehlt“, kritisiert BPtK-Präsident Richter. Die Richtlinie passt die notwendigen Zahlen der Psychotherapeuten auf dem Land und in der Stadt nicht nach sachgerechten Kriterien an. Es bleibt weiter bei den überholten Zahlen, die auf dem Stichtag 31. August 1999 beruhen und die den Bedarf massiv unterschätzen. Der gesetzliche Auftrag war es aber gerade, die notwendige Zahl der psychotherapeutischen Praxissitze „nicht mehr stichtagsbezogen“, sondern „allein sachgerecht“ zu berechnen. „Der G-BA hat seine Hausaufgaben nicht erledigt“, stellt Richter fest. „Der gesetzliche Auftrag war ein anderer.“
KBV versagt bei Versorgung psychisch kranker Menschen
„Es ist schwer verständlich, dass die KBV diese Bedarfsplanungs-Richtlinie akzeptiert hat“, erklärt der BPtK-Präsident. Die Psychotherapeutenschaft hatte einem gesonderten psychotherapeutischen Honorartopf zugestimmt, damit der notwendige Zuwachs psychotherapeutischer Leistungen nicht mehr zulasten von ärztlichen Honoraren geht. „Die KBV hat diesen neuen Bewegungsspielraum nicht genutzt. Sie hat sich nicht für eine bessere Versorgung von psychisch kranken Menschen eingesetzt. Sie hat nicht erreicht, dass das von den Krankenkassen zugesagte Geld auch tatsächlich psychisch kranken Menschen zugute kommt.“
Krankenkassen zahlen mehr für Krankengeld als für Behandlung
„Die gesetzlichen Krankenkassen sollten mehr Geld in die rechtzeitige Behandlung von psychisch kranken Menschen investieren, anstatt zuzuschauen, wie die Ausgaben für kranke Arbeitnehmer und Frührenten ständig steigen“, fordert Richter. Berechnungen auf Basis der Daten der Techniker Krankenkasse und der Betriebskrankenkassen zeigen, dass gut ein Viertel der Krankengeldausgaben (zwei Milliarden Euro) auf psychische Erkrankungen zurückgehen. Somit liegen die Aufwendungen für Lohnersatzleistungen aufgrund psychischer Erkrankungen über den Ausgaben für ambulante Psychotherapie in Höhe von 1,7 Milliarden Euro.
Ruhrgebietsstädte weiter diskriminiert
Besonders schlecht fällt die Bilanz für das Ruhrgebiet aus. Die Großstädte zwischen Duisburg und Dortmund bleiben gegenüber allen anderen deutschen Großstädten weiter benachteiligt. Während sich in Nürnberg, Leipzig oder Stuttgart 32,5 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner niederlassen dürfen, sind es in Duisburg, Essen und Dortmund nur 11,4 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. Damit werden sich auch zukünftig die katastrophal langen Wartezeiten von rund 17 Wochen im Ruhrgebiet nicht ändern. Sie bleiben damit doppelt so lang wie in anderen deutschen Großstädten, in denen psychisch Kranke durchschnittlich neun Wochen auf einen ersten Termin beim Psychotherapeuten warten. Psychische Krankheiten sind im Ruhrgebiet aber nachweisbar genauso häufig wie in anderen deutschen Großstädten.
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Veröffentlicht am 20. Dezember 2012