Gebiete Psychotherapie für Kinder und Jugendliche und Psychotherapie für Erwachsene
Vorstand Wolfgang Schreck erläuterte die entscheidenden Regelungen für die Weiterbildung im Gebiet Psychotherapie für Erwachsene. Zum Fachpsychotherapeutenstandard gehöre die Diagnostik und Behandlung des gesamten Spektrums von psychischen Erkrankungen und Funktionsstörungen vom Transitionsalter bis ins hohe Erwachsenenalter. Hinzu komme aber auch die Diagnostik und Behandlung psychischer Ursachen, Begleiterscheinungen und Folgen von körperlichen Erkrankungen, bei denen Psychotherapie indiziert sei. Die Anforderungen für den Fachpsychotherapeutenstandard seien aus der Beschreibung der Tätigkeitsprofile, aber auch aus gesetzlichen Vorgaben und den G-BA-Richtlinien abgeleitet. Sie seien also versorgungsorientiert. Das angestrebte Kompetenzniveau kristallisiere sich in den Richtlinien, die eine Mindestzahl an zu behandelnden Patient*innen, durchzuführenden Akutbehandlungen, Kriseninterventionen, Kurzzeit- und Langzeittherapien vorgeben. Dies sei eine diffizile und intensive Arbeit gewesen, die sich aber auszahlen werde. „Denn bei der Frage, was Psychotherapeut*innen können und wofür sie die Verantwortung übernehmen können, sind die Kompetenzbeschreibungen und Richtzahlen in der Weiterbildungsordnung wesentlich“, hielt Schreck fest.
Die Weiterbildung im institutionellen Bereich biete Chancen, die die Profession ergreifen solle, betonte Schreck weiter. Die Wieder- oder Neuentdeckung dieser Tätigkeitsfelder sei keinesfalls ein Selbstläufer, denn es ginge zunächst darum, den Trägern im institutionellen Bereich die hochformalisierte Systematik der Weiterbildung zu erläutern und dafür zu werben, dass Weiterbildungsstellen für Psychotherapeut*innen entstünden, weil sich damit die Unterstützung und Beratung im institutionellen Bereich substanziell verbessern lasse.
Schreck hob hervor, dass eine 60-monatige Weiterbildung notwendig sei, um ausreichend Berufserfahrung für das stetig wachsende Aufgabenprofil zu sammeln, um eine gleichwertige Qualifizierung für die ambulante und stationäre Versorgung zu erreichen und um Weiterbildung im institutionellen Bereich zu ermöglichen. Dabei sei zu berücksichtigen: „Weiterbildung ist etwas völlig anderes als Ausbildung. Weiterbildung findet in Berufstätigkeit statt. Ein angemessenes Gehalt setzt voraus, dass man einen substanziellen Teil der Arbeitszeit in der Versorgung tätig ist. Wir betreten hier Neuland und der Vergleich mit der postgradualen Ausbildung ist nicht angemessen.“
Vorständin Michaela Willhauck-Fojkar stellte die Regelungen zum Gebiet Psychotherapie für Kinder und Jugendliche vor. Das vorgeschlagene Kompetenzprofil ermögliche die Spezialisierung für die Versorgung eines sehr heterogenen Altersspektrums. Es reiche vom Säuglings- bis zum jungen Erwachsenenalter. Sie erinnerte daran, dass es ein zentrales Diskussionsthema gewesen sei, bei welchem Alter die Gebietsgrenze liegen solle: bei 21, 24 oder 27 Jahren. Im Endergebnis sei die Empfehlung des Projektes „Muster-Weiterbildungsordnung“ die Versorgung von Patient*innen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr. Die Behandlung von älteren Patient*innen sei möglich, wenn eine Indikation für eine Behandlung mit den Mitteln der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie vorliege oder eine vorher begonnene Therapie fortgesetzt werden müsse. Unter rein fachlichen Gesichtspunkten hätten sich viele eine höhere Altersgrenze vorstellen können. Für das 21. Lebensjahr sprächen allerdings gewichtige pragmatische Überlegungen. Bei einer höheren Altersgrenze würden die Weiterbildungsstätten für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie keine Zulassung erhalten, solange dort als Weiterbildungsbefugte ausschließlich Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen (KJP) zur Verfügung stehen würden, deren Weiterbildungsbefugnis bis zum 21. Lebensjahr begrenzt sei. Zwingende Kooperationen mit anderen Weiterbildungsstätten oder die direkte Einbindung von Psychologischen Psychotherapeut*innen (PP) als Befugte sei praktisch kaum realisierbar. Hinzu komme, dass dies nicht wünschenswert sei, da es auch um die Eigenständigkeit des Gebietes Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie gehe. Willhauck-Fojkar warb für die Annahme der Altersgrenze Vollendung des 21. Lebensjahres, weil damit eine machbare Lösung gefunden sei.
Um Flexibilität und einen breiten Kompetenzerwerb zu ermöglichen, eröffne es die Muster-Weiterbildungsordnung, während der fünfjährigen Weiterbildung ein „Fremdjahr“ zu absolvieren. So könnten zum Beispiel Psychotherapeut*innen in Weiterbildung, die sich für das Gebiet „Kinder und Jugendliche“ qualifizieren, auch ein Jahr in der stationären Versorgung von Erwachsenen arbeiten, wenn sie während dieser Zeit die gebietsübergreifenden oder die spezifisch für das Gebiet Kinder und Jugendliche geforderten Kompetenzen erwerben. Dies eröffne eine größere Flexibilität, aber auch gezielt die Möglichkeit, Kompetenzen für die Versorgung von jungen Erwachsenen im Transitionsalter zu gewinnen.
Willhauck-Fojkar erinnerte noch einmal daran, dass der Fachpsychotherapeutenstandard bedeute, dass man Kompetenzen für die Versorgung des gesamten Spektrums psychischer Erkrankungen brauche, bei denen Psychotherapie indiziert sei. Dies schließe alle Schweregrade, auch bei Menschen mit komplexem Versorgungsbedarf und in unterschiedlichen sozialen Lagen ein. Dieses ganze Spektrum könne man nicht über vordefinierte Fallkonstellationen oder konkrete Richtzahlen abbilden. Deshalb gebe es die Mindestzeiten. Innerhalb dieser Mindestzeiten könne man eine ausreichende Berufserfahrung für das breite Patienten- und Behandlungsspektrum im ambulanten und stationären Bereich sammeln. Willhauck-Fojkar betonte: „Mindestzeiten sind mehr als die Summe aller Richtzahlen“.
- Gebietsdefinitionen und Gebietsgrenzen
Delegierte aus den Reihen der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen plädierten dafür, die Altersgrenze auf 24 Jahre und 11 Monate anzuheben. Die Heraufsetzung der Altersgrenze sei notwendig, um dem Behandlungsbedarf junger Erwachsener gerecht zu werden. Für die Versorgung im Transitionsalter brauche man Fachpsychotherapeut*innen für Kinder und Jugendliche mit entsprechend fundierten Fachkompetenzen.
Demgegenüber wurde auch aus den Reihen der KJP zu bedenken gegeben, dass eine solche Regelung zu erheblichen Hürden für die Umsetzung der Weiterbildung in diesem Gebiet führen werde. Man halte das fachlich vielleicht für wünschenswert, aber praktisch nicht für realisierbar. Vor diesem Hintergrund entschied sich der DPT für die Altersgrenze von 21 Jahren.
- Kompetenzkataloge/Diversität
In der vorgelegten Muster-Weiterbildungsordnung wurden vertiefte Fachkenntnisse zu Kultur- und Genderaspekten in der Psychotherapie, aber auch Handlungskompetenzen in den einzelnen Gebieten gefordert. Delegierte wiesen darauf hin, dass mit dieser Ordnung für lange Zeit der Grundstein für das psychotherapeutische Selbstverständnis gelegt werde. Man habe bei der Muster-Weiterbildungsordnung die Chance, die Achtung menschlicher Vielfalt angemessen zu berücksichtigen. Man schlage deshalb eine offenere und breitere Regelung vor, indem man von der „Berücksichtigung menschlicher Diversität in der Psychotherapie in Bezug auf Gender, Ethnie bzw. Kultur, sexuelle Orientierung, Beeinträchtigung und anderer Aspekte“ spreche. Der DPT folgte diesem Anliegen mit großer Mehrheit und beschloss eine Umformulierung in den Kompetenzkatalogen.
- Mindestzeiten in der Weiterbildung
Dem DPT lagen mehrere Anträge zur Dauer der Weiterbildung vor. Dazu gehörte, die geplanten 60 Monate der Weiterbildung flexibler zu gestalten. Statt zweimal 24 Monate für den ambulanten und stationären Bereich sollten nur jeweils mindestens 18 Monate vorgegeben werden. Ein weiterer Vorschlag lautete, die Weiterbildung generell auf 48 Monate zu kürzen, wobei mindestens 18 Monate im ambulanten und mindestens 18 Monate im stationären Bereich abzuleisten wären.
Ausgangspunkt der Delegierten, für eine Verkürzung der Weiterbildungszeit zu plädieren, war ein Vergleich der postgradualen Ausbildung von PP und KJP mit der künftigen Weiterbildung von Fachpsychotherapeut*innen. Man wies darauf hin, dass sich die Anforderungen im Vergleich zur jetzigen Ausbildung in der Weiterbildung verdoppeln würden. Dies sei nicht verhältnismäßig und bedeute einen erheblichen Einschnitt in die Lebensplanung des Nachwuchses, ohne dies fachlich begründen zu können. Niemand von den jetzigen PP und KJP habe sich einer solchen Anforderung gestellt und trotzdem erfüllten sie den Facharztstandard. Implizit komme dies einer Abwertung der jetzigen PP und KJP nahe. Eine fünfjährige Weiterbildung verlängere zudem grundsätzlich die Abhängigkeit, die eine Weiterbildung darstelle, und beschneide Freiheitsgrade, die man für eine wissenschaftliche Qualifizierung dringend brauche. Außerdem seien Psychotherapeut*innen Spezialisten für die Versorgung psychisch kranker Menschen, weshalb man nicht fünf Jahre Weiterbildung brauche, um auf Augenhöhe mit Ärzt*innen qualifiziert zu sein.
Andere Delegierte plädierten für die fünfjährige Weiterbildung. Sie verwiesen darauf, dass die Rahmenbedingungen der künftigen Weiterbildung grundlegend andere sind als diejenigen der jetzigen Ausbildung. Man sei sozialversicherungspflichtig beschäftigt und könne sich voll und ganz seiner Weiterbildung widmen. Teilzeitbeschäftigung sei möglich und damit auch eine individuelle Lebensplanung mit der Weiterbildung vereinbar. Die Weiterbildung sei eine Zeit der Berufstätigkeit. Jede Anstellung bedeute ein Abhängigkeitsverhältnis von der Arbeitgeber*in, sei jedoch keine Strafe, sondern ein geschützter Kontext, innerhalb dessen Kompetenzen erworben werden könnten. Erinnert wurde daran, dass nicht nur die konkreten Behandlungsleistungen, sondern auch die Weiterbildungszeiten für Theorie, Supervision und Selbsterfahrung zur Arbeitszeit gerechnet würden. Insofern bedeute eine fünfjährige Weiterbildung keine Zumutung, sondern eine Bereicherung.
Außerdem sei es für die sozialrechtliche Einordnung der künftigen Fachpsychotherapeut*innen von Bedeutung, dass sie so gründlich und umfassend wie die Fachärzt*innen qualifiziert seien – und das mache sich durchaus auch an Zeiträumen fest. Inhaltlich wurde betont, dass 60 Monate Qualifizierung notwendig seien, um der Vielfalt der Tätigkeitsfelder der Psychotherapeut*innen gerecht zu werden. Dafür sei ganz konkret ausreichend Zeit nötig, um zum Beispiel im ambulanten Bereich für die Behandlung mit Langzeitpsychotherapien zu qualifizieren.
Vor diesem Hintergrund sprach sich die Bundeskonferenz der Psychotherapeut*innen in Ausbildung für eine fünfjährige Weiterbildungszeit aus. Vertreter*innen der Psychologie Fachschaften Konferenz plädierten dagegen für eine vierjährige Weiterbildung.
Diskutiert wurde auch, ob bei einer fünfjährigen Weiterbildung ausreichend Weiterbildungsstellen verfügbar seien. Dem wurde entgegengehalten, dass der Maßstab sein müsse, bestmöglich für die Versorgung zu qualifizieren und den Facharztstandard zu erfüllen. Außerdem gehe es darum, für ein breites Tätigkeitsprofil zu qualifizieren, für eine spätere Tätigkeit in möglichst vielen Tätigkeitsfeldern.
Der DPT entschied sich mit über 80 Prozent der Stimmen für eine Weiterbildung von fünf Jahren, wobei verpflichtend zwei Jahre im ambulanten und zwei Jahre im stationären Bereich zu absolvieren sind.
Gebiet Neuropsychologische Psychotherapie
Als drittes Gebiet der Muster-Weiterbildungsordnung befand der DPT über die Neuropsychologische Psychotherapie. BPtK-Vizepräsidentin Dr. Andrea Benecke stellte fest, dass derzeit eine flächendeckende Unterversorgung in der Psychotherapie von Menschen mit Hirnverletzungen und
-erkrankungen bestehe. Diese Unterversorgung werde aufgrund des demografischen Wandels weiter wachsen. Mit dem Gebiet Neuropsychologische Psychotherapie habe man den Schlüssel zu einer besseren Versorgung in der Hand. Die Gebietsdefinition lege fest, dass es sich um einen eigenen Versorgungsbereich handele, der die Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von kognitiven, behavioralen und emotional affektiven Störungen bei verletzungs- und krankheitsbedingten Hirnfunktionen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter umfasse.
Zentral sei es, zwischen der Indikation für eine Behandlung im Gebiet Neuropsychologische Psychotherapie und der Behandlung in einem der beiden anderen Gebiete trennscharf zu unterscheiden. Zielführend sei hier die Unterscheidung zwischen „korrespondierenden Störungen“ und komorbiden Störungen. Korrespondierende Störungen seien Störungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der erlittenen Hirnschädigung stehen, während komorbide Störungen solche seien, die unabhängig von der Hirnschädigung bestehen. Das Gebiet Neuropsychologische Psychotherapie sei altersübergreifend konzipiert. Deshalb werde ein großes Augenmerk auf einen differenzierten Kompetenzerwerb über die gesamte Lebensspanne der Patient*innen hinweg gelegt. Der DPT diskutierte, inwieweit ein altersübergreifendes Gebiet zu rechtfertigen sei und ob die Unterscheidung zwischen korrespondierenden und komorbiden Störungen ausreichend trennscharf sei. Der DPT stimmte der Etablierung des Gebiets Neuropsychologische Psychotherapie zu.
Psychische Erkrankungen und soziale Ungleichheit
Im Bericht des Vorstandes konzentrierte sich BPtK-Präsident Munz auf die Corona-Pandemie. Sie habe massiven Einfluss auf die psychische Gesundheit der Menschen. Dabei treffe es nicht alle gleich. Bereits vor der Pandemie habe man gewusst, dass Kinder in Familien mit geringen sozioökonomischen Ressourcen zweieinhalb Mal so häufig psychisch auffällig sind wie Kinder in Familien mit hohen sozioökonomischen Ressourcen. Armut mache Kinder krank. Wenig überraschend habe die COPSY-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Pandemie gezeigt, dass in der ersten Welle der Pandemie im Mai/Juni 2020 die Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen zugenommen habe. Psychische Auffälligkeiten zeigten sich nicht mehr nur bei jedem fünften, sondern bei jedem dritten Kind. In der Befragung zur zweiten Welle verdichtete sich dieses Bild. Besonders deutlich werde, dass vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund durch die Pandemie psychisch gefährdet seien.