BPtK-Symposium: Psychisch gesund bei der Arbeit
Kooperationen für Prävention, Behandlung und Rehabilitation
Arbeitnehmer werden in Deutschland immer häufiger und immer länger wegen psychischer Erkrankungen krankgeschrieben. Mittlerweile gehen rund 12 Prozent aller betrieblichen Fehltage auf psychische Erkrankungen zurück. Auf einer Fachkonferenz der BPtK diskutierten am 22. Juni in Berlin Psychotherapeuten mit Wissenschaftlern und Experten aus Unternehmen, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern sowie anderen Akteuren im Gesundheitswesen über Möglichkeiten, die psychische Gesundheit durch betriebliche Maßnahmen zu verbessern.
Trend bei Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen ungebrochen
BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter zeigte in der aktuellen BPtK-Analyse der Gesundheitsreporte der gesetzlichen Krankenkassen, dass sich der Anstieg der Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen auch im Jahr 2010 weiter fortsetzte. Dabei leiden Arbeitnehmer aller Altersgruppen vergleichbar häufig an psychischen Erkrankungen. Allein bei älteren Arbeitnehmern über 50 Jahren lag der Anteil höher. Psychische Erkrankungen nehmen insgesamt sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Arbeitnehmern zu, wie ein Vergleich der Daten von 2000 und 2009 zeigt. Im Alter steigt insbesondere die Dauer der Krankschreibungen. Prof. Richter betonte, man dürfe nicht warten, bis sich bei einem 50jährigen eine langfristige Erkrankung entwickelt habe. Es komme darauf an, frühzeitig zu intervenieren. Dabei müssten auch die Besonderheiten unterschiedlicher psychischer Erkrankungen berücksichtigt werden.
Arbeitsbedingte Risiken für Depression
Prof. Dr. Renate Rau, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Marburg, erläuterte den Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastungen und dem Auftreten psychischer Erkrankungen. Zahlreiche Studien hätten bisher Zusammenhänge zwischen psychischen Arbeitsbelastungen und psychischen Erkrankungen herstellen können. Bei diesen Studien sei aber nicht auszuschließen gewesen, dass psychisch kranke Menschen stärker über Arbeitsbedingungen klagen, die aus objektiver Sicht nicht überdurchschnittlich belastend sind.
In einer eigenen Studie konnte Prof. Rau jedoch diesen Zusammenhang anhand objektiv erhobener Merkmale der Arbeit und dem Auftreten von Depression nachweisen. Personen mit der objektiv höchsten Arbeitsintensität hatten ein 4,5fach erhöhtes Risiko, an Depression zu erkranken. Eine hohe Arbeitsintensität zeigt sich vor allem durch Zeitdruck und viele Unterbrechungen der Arbeitstätigkeiten. Auch die wahrgenommene soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte war bei Menschen mit Depression ungünstiger. Prof. Rau betonte die Bedeutung der Arbeitsprozesse für die Entstehung psychischer Erkrankungen und regte an, die Kenntnis von Arbeitsanalysen in der Aus- und Weiterbildung der Psychotherapeuten stärker zu berücksichtigen.
Förderung der psychischen Gesundheit ist Managementaufgabe
Beispiele für betriebliche Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit zeigten Dr. Ulrich Birner (Siemens), Dr. Uwe Nickel, (E.ON) und Dr. Andreas Tautz (Deutsche Post DHL). Sie machten deutlich, dass die Förderung der psychischen Gesundheit immer in die Ziele und die Kultur eines Unternehmens eingebettet sein sollte. Die Förderung der psychischen Gesundheit müsse von der Unternehmensspitze unterstützt werden, damit sie von den Mitarbeitern als ernst zu nehmendes Unternehmensziel wahrgenommen werden könne. Gesundheitsförderung bedeute in ihren Unternehmen daher ein umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement, das sich insbesondere der klassischen Instrumente des Personalwesens bediene.
Erfolgreiches betriebliches Gesundheitsmanagement müsse in der Nähe der Personal- und insbesondere der Führungskräfteentwicklung implementiert sein, präzisierte Dr. Birner für Siemens. Bei der Umsetzung sei die Qualifizierung der Führungskräfte zentral, damit diese förderliche Arbeitsbedingungen schaffen können und motiviert und kompetent sind, mit belasteten Mitarbeitern zu sprechen. Aufgabe sei dann ggf., in Absprache mit dem betriebsärztlichen Dienst über weitere Hilfen zu informieren und weiterführende Versorgungsangebote anzubahnen, wenn dies erforderlich ist. Problematisch sei dann allerdings häufig, dass Mitarbeiter viel zu lange auf einen Behandlungsplatz warten müssten.
Auch Kampagnen können ein geeignetes Instrument zur Prävention psychischer Erkrankungen im Unternehmen sein. Dr. Nickel präsentierte eine Initiative von E.ON, in der sich die Mitarbeiter über das Intranet zu Themen wie Mobbing und Depression informieren können. Die Kampagne habe im Konzern eine breite Diskussion über psychische Gesundheit ausgelöst und damit einen Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch kranker Kolleginnen und Kollegen geleistet. Ein offener Umgang mit psychischen Erkrankungen sei die Voraussetzung für weitergehende Präventionsmaßnahmen.
Dr. Tautz erläuterte, dass Arbeitsunfähigkeitstage als Kennzahlen für unternehmerisches Handeln ungeeignet seien. Sie zeigten Fehlentwicklungen viel zu spät an und böten zudem auch keine positive Zielsetzung. Die Deutsche Post DHL präferiere daher einen salutogenetischen Ansatz, der in der Arbeit eine wesentliche Quelle von Zufriedenheit und Gesundheit sehe. Wer seine Mitarbeiter durch Anerkennung und Lob motiviere, fördere auch ihre psychische Gesundheit. Erkenntnisse und Konzepte zur „Humanisierung der Arbeit“ aus den 1970er Jahren würden daher heute unter dem Stichwort „betriebliche Gesundheitsförderung“ wiederentdeckt.
Medizinische und berufliche Wiedereingliederung besser koordinieren
Neben Maßnahmen, die die Entstehung psychischer Erkrankungen verhindern, ist die Wiedereingliederung nach einer psychischen Erkrankung eine weitere große Aufgabe. Frau PD Dr. Karin Siegrist, Medizinsoziologin an der Universität Düsseldorf, forderte ein integriertes Betreuungskonzept, das stationäre, teilstationäre und ambulante Dienste umfasst und bei dem betriebsärztliche Dienste sowie Versicherungsträger frühzeitig einbezogen werden. Notwendig sei ein Case-Management, das personelle Kontinuität biete. Dies zu realisieren sei vor allem für Kleinbetriebe problematisch. Verbesserungspotenziale sah Dr. Siegrist insbesondere bei der Früherkennung von Depressionen und bei den Kapazitäten für eine rechtzeitige Behandlung. Daneben müssten die medizinisch-psychotherapeutische und die berufliche Rehabilitation in ein gemeinsames Konzept eingebettet werden.
Sozialpartner sehen Chancen und Risiken
Enriqueta Fobbe von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) resümierte aus Sicht der Arbeitnehmervertreter, dass viele Arbeitstätigkeiten Risiken für psychische Erkrankungen bergen, die von den Arbeitnehmern zu oft in Kauf genommen würden. Eine Ursache sah sie darin, dass heute jede Arbeit angenommen werden müsse, egal, wie sie beschaffen sei. Folglich sei es nicht erstaunlich, dass psychische Erkrankungen eine immer größere Bedeutung in der Arbeitswelt erhielten. Ein weiterer Grund sei die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten. Die Gewerkschaften seien immer häufiger gezwungen, Tarifverträgen zuzustimmen, in denen die Arbeitszeit zunehme, auch die Nachtarbeitszeit.
Norbert Breutmann von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wies auf die positiven Beispiele zur Förderung der psychischen Gesundheit in Unternehmen hin. Er wünschte sich für die Zukunft ein stärkeres gemeinsames Engagement der Sozialpartner, insbesondere mit Blick auf Lösungen für kleinere und mittlere Unternehmen. Darüber hinaus betonte er die Bedeutung einer funktionierenden betriebsärztlichen Betreuung. Das Gesundheitswesen müsse verstärkt mit den Betrieben zusammenarbeiten. Die Regelversorgung sei oft nicht auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnitten, ganz abgesehen von den langen Wartezeiten auf einen Psychotherapieplatz.
Kooperationen zur Stärkung der psychischen Gesundheit
In der Diskussion wurde deutlich, dass für eine erfolgreiche Förderung der psychischen Gesundheit in Betrieben eine stärkere Kooperation von Unternehmensvertretern, Kostenträgern und Leistungserbringern notwendig ist, um psychische Erkrankungen rechtzeitig erkennen und behandeln zu können und die Patienten anschließend wieder in die Arbeit eingliedern zu können. Neben betrieblichen Maßnahmen, die das Risiko für das Auftreten psychischer Erkrankungen senken, müsse es auch genügend psychotherapeutische Behandlungsplätze geben, damit Erkrankte rechtzeitig leitliniengerecht versorgt werden können. Die Fachtagung der BPtK bot hierfür einen ersten Auftakt.
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Links
- BPtK-Studie zur Arbeitsunfähigkeit: Psychische Erkrankungen - Keine Frage des Alters
Veröffentlicht am 30. Juni 2011