Diotima-Ehrenpreis 2013 für Dr. Hans Hopf und Prof. Dr. Fritz Mattejat
Psychotherapie für Kinder und Jugendliche
Am 19. April 2012 erhielten Dr. Hans Hopf und Prof. Dr. Fritz Mattejat in Berlin den Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) ehrt damit zwei Psychotherapeuten, die mit ihrem wissenschaftlichen und therapeutischen Wirken auf herausragende Weise zur Entwicklung der Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen beigetragen haben. Psychotherapie ist bei den meisten psychischen Erkrankungen das wirksamste Mittel zur Behandlung. Dies gilt für Kinder und Jugendliche in ganz besonderer Weise. In Deutschland steht dafür heute ein differenziertes und wissenschaftlich fundiertes psychotherapeutisches Versorgungsangebot zur Verfügung.
BPtK-Präsident Prof. Dr. Rainer Richter würdigte Herrn Dr. Hopf in seiner Laudatio als einen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit vielen und vielbeachteten Tätigkeitsschwerpunkten – als Praktiker in der Versorgung, als Wissenschaftler mit Beiträgen zur analytischen Kinder- und Jugendpsychotherapie, als Gutachter mit seinem Engagement zur Sicherung der Qualität von Psychotherapie und als Lehrer in der Ausbildung des psychotherapeutischen Nachwuchses. Dr. Hans Hopf habe sich durch seine zahlreichen und vielfältigen Leistungen auf besondere Weise um die Psychotherapeutenschaft verdient gemacht. Als Psychotherapeut habe er in verschiedenen Versorgungssettings gearbeitet. Neben der ambulanten Tätigkeit in seiner eigenen psychotherapeutischen Praxis sei dabei vor allem seine stationäre therapeutische Arbeit im Therapiezentrum „Osterhof“ vorbildlich gewesen, hob der BPtK-Präsident hervor. In dieser psychotherapeutischen Eltern-Kind-Einrichtung war der Preisträger von 1996 bis 2003 therapeutischer Leiter. Daneben sei seine gesamte berufliche Tätigkeit durch eine rege und vielfältige Publikationstätigkeit gekennzeichnet. Dr. Hopf sei Autor von circa 100 Zeitschriften- und Buchbeiträgen sowie Monografien. Darin habe er eine Vielzahl unterschiedlicher Störungsbilder bearbeitet und ihre Diagnostik und psychoanalytische Behandlung beschrieben. Zentrale Themen seines Werkes seien ADHS, Aggression und Angststörungen. Dr. Hopf sei Brückenbauer zwischen Tradition und Moderne sowie zwischen den Paradigmen der Kinderanalyse und den Anforderungen aus der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher.
In seiner Dankesrede ging Dr. Hans Hopf auf das kontroverse Thema der Zunahme externalisierender Störungen insbesondere bei Jungen ein. Wesentliche Ursache für die Zunahme von Störungen des Sozialverhaltens und ADHS sei aus seiner Sicht eine familiäre und institutionelle Erziehung, die geschlechtsspezifischen Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen nicht gerecht werde. Jungen hätten beispielsweise schon früh einen viel stärkeren Drang nach Bewegung. Körperliche Aktivität würde bei ihnen stärker narzisstisch bestätigt bzw. positiv verstärkt als bei Mädchen. Dr. Hopf fragte kritisch nach, warum es gerade heute so viele unruhige, unkonzentrierte und unbeherrschte Jungen gebe? Wie sei es zu der tsunamiartigen Zunahme der Diagnose „Hyperkinetische Störung“ gekommen? Nach Einschätzung von Dr. Hopf hätten u. a. Änderungen im gesellschaftlich erwünschten Erziehungsstil der Eltern dazu geführt, dass Kinder immer weniger Halt und Sicherheit erfahren. So wie unsere Gesellschaft generell an einem Rückgang von „väterlichen“ Strukturen, Symbolen und Ritualen leide, hätten auch externalisierende Störungen zugenommen. Psychisch präsente Väter könnten entscheidend dazu beitragen, dass sich Symptome wie Unruhe, Unaufmerksamkeit und Unbeherrschtheit bei Jungen empirisch messbar zurückbilden. Dabei gehe es nicht um eine heile Welt mit Vater und Mutter. Doch bleibe es ein zentraler Wunsch von Kindern an einem sicheren Ort zu leben und von einer Mutter und einem Vater versorgt zu werden. Hopf stellte klar, dass mütterliche und väterliche Haltung dabei an kein Geschlecht gebunden sei. Entscheidend für die Entwicklung der Kinder sei die Qualität der innerfamiliären Beziehungen.
Den Diotima-Preisträger Prof. Dr. Fritz Mattejat charakterisierte Prof. Richter in der Laudatio als Psychotherapeuten, der sich mit seinen Arbeiten zu den Wirkungen der Psychotherapie bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie zur Qualität von Diagnostik und Behandlung auf vielfältige und besondere Weise um die Psychotherapie verdient gemacht habe. Die Arbeit des Wissenschaftlers Mattejat sei gekennzeichnet durch die Suche nach Evidenz für die Wirksamkeit psychotherapeutischer Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen und wissenschaftlich begründeten Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung. Sein Arbeitsschwerpunkt habe dabei immer im kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungssetting gelegen. Handlungsleitend sei für ihn gewesen, Psychotherapie auch im Sinne von Versorgungsforschung dort zu untersuchen. Diagnostik, Verhaltenstherapie, Familiendiagnostik, Familientherapie, Angstsyndrome, Therapieausbildung, Psychotherapieforschung, Evaluationsforschung, Qualitätssicherung und Lebensqualitätsforschung – Herr Mattejat habe eine ungeheure Breite von Themen bearbeitet. Ergebnis seien rund 250 Zeitschriftenartikel, Testpublikationen und Bücher, dazu Standardwerke der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Prof. Mattejat habe in seinen Arbeiten immer deutlich gemacht, dass es bei der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher nie isoliert um das einzelne Kind gehen könne, sondern um die Diagnostik, Beratung und Behandlung der ganzen Familie. Pionierarbeit habe er bei Kindern psychisch kranker Eltern geleistet.
Prof. Mattejat erläuterte in seiner Dankesrede zentrale aktuelle Herausforderungen für die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Dazu gehören nach seiner Einschätzung immer häufiger Eltern mit extrem hohen Erwartungen an sich selbst und ihre Kinder. Diese suchten das perfekte Leben bzw. die perfekt funktionierende Familie. Ein Scheitern sei dabei nicht vorgesehen. Psychotherapeuten sollten auch für sich selber klären, wie weit sie solche Haltungen mittragen und welche Behandlungsaufträge sie annehmen. Daneben gebe es die Eltern, die durch libertäre erzieherische Maßstäbe zutiefst verunsichert seien und damit auch ihre Kinder verunsicherten, weil sie keine klare Orientierung mehr geben würden. Psychotherapeuten könnten zwar gesellschaftliche Normen nicht grundsätzlich beeinflussen. Sie sollten aber dann, wenn es nicht mehr anders gehe, die elterliche Verantwortungsfähigkeit einfordern und stärken. Eine weitere Herausforderung sei die große Zahl der psychisch belasteten und psychisch kranken Eltern. Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen sei umso effektiver, je besser Therapeuten von den Eltern unterstützt würden. Psychisch kranke Eltern seien oft nicht in der Lage, diese Unterstützung zu geben. Prof. Mattejat forderte daher neben der Stärkung der Prävention die psychotherapeutische Versorgung neu zu strukturieren, sodass Erwachsenentherapie und Kindertherapie, Gesundheitsversorgung und Jugendhilfe intensiver und offener zusammenarbeiten könnten. Und schließlich sei eine der dringlichsten Herausforderungen die Versorgung chronisch erkrankter Kinder. Hier sei es dringend notwendig, Angebote zu schaffen, in denen vorhandene Dienste in Gesundheitswesen und Jugendhilfe enger kooperierten.
Veröffentlicht am 30. April 2013