Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft
Zum ersten Mal hat die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) am 8 Mai 2009 in Berlin den Diotima-Ehrenpreis der deutschen Psychotherapeutenschaft verliehen. Anlass für die Stiftung des Preises ist das Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes vor zehn Jahren.
Mit der Diotima möchte die BPtK in Zukunft jährlich Personen ehren, die sich besonders um die Versorgung psychisch kranker Menschen verdient gemacht haben oder sich durch ein besonderes berufspolitisches oder wissenschaftliches Engagement auszeichnen. Dieses Jahr ging der Preis an Detlev Kommer†, Annelies Arp-Trojan, Hans-Joachim Schwarz und Prof. Dr. Hans-Volker Werthmann. Die Preisverleihung fand im festlichen Rahmen mit musikalischer Begleitung durch das Adumá-Saxophonquartett statt.
Richter: Diotima - Ursprung der Seelenheilkunde
In seiner Begrüßung hob Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), die Bedeutung von Diotima für die Psychotherapie hervor. Diotima, die Namenspatronin des Preises, war die Lehrerin von Sokrates. Sie war es, die den jungen Sokrates dazu inspirierte, als erster Philosoph die Seele des Menschen in den Mittelpunkt seines Denkens und Lehrens zu stellen. Deshalb habe man sie zur Patronin des Preises gewählt. Wer auf dem richtigen Weg ist, wird nach Diotima "die Schönheit in den Seelen für wertvoller halten als die im Leibe". Er wird sich "auf das weite Meer des Schönen begeben und im Schauen viele schöne und großartige Worte und Gedanken gebären, in neidloser Liebe zur Weisheit, bis er dann gekräftigt und erwachsen jene einzige Erkenntnis erblickt, die auf das Schöne als Solches geht".
Richter unterstrich die Bedeutung des Philosophen Sokrates für die Psychotherapie. Sokrates wirkte in erster Linie im Gespräch auf seine Mitmenschen ein. Seine "Psychotherapie" bestand in einem prüfenden Fragen und Konfrontieren, was zunächst Staunen, Verunsicherung und Verwirrung bewirkt, dann aber zu einem kritischen Überdenken alter und möglicherweise falscher Positionen führt. Dabei sah bereits Sokrates, dass sein dialogisches Erkennen für den Einzelnen eine schmerzliche, aber heilsame Erfahrung sein kann, erläuterte Richter.
Selbst zweieinhalb Jahrtausende nach diesen Ursprüngen der Seelenheilkunde in der antiken Philosophie sei die moderne, naturwissenschaftlich geprägte Medizin noch weit von diesen Gedanken entfernt, stellte Richter fest. "Das bestärkt uns Psychotherapeuten in unserem Anliegen, uns für die Gleichbehandlung psychischer und somatischer Erkrankungen einzusetzen."
Lompscher: Gesundheit und Sozialstruktur
Die Berliner Gesundheitssenatorin, Katrin Lompscher, betonte in ihrem Grußwort die Bedeutung, die psychische Erkrankungen für die Berliner Gesundheitspolitik haben. In Berlin kenne man die spezifischen Probleme, die sich bei der Versorgung in einer Großstadt mit vielen Bezirken unterschiedlicher sozialer Struktur ergeben würden. Der kürzlich vorgestellte Sozialstrukturatlas komme u. a. zu dem Ergebnis, dass in Bezirken mit besonderen sozialen Belastungen ein erhöhtes Risiko bestehe, an psychischen Störungen zu erkranken. Prävention durch Armutsbekämpfung sei ein wichtiges Thema der Politik.
In Berlin sei ein bedeutender Grundstein für die Psychotherapie gelegt worden. Für die Anerkennung der Psychotherapie als Heilmethode im Rahmen der GKV-Versorgung sei die Gründung des Berliner Zentralinstituts für Psychogene Erkrankungen der Versicherungsanstalt, der späteren Allgemeinen Ortskrankenkasse Berlin, von zentraler Bedeutung gewesen. Diese Institutsgründung könne auch als die erste Stufe der Anerkennung der Neurose als Krankheit durch eine öffentliche Institution in der Bundesrepublik gewertet werden. Die auf Behandlungen in diesem Institut aufbauende Katamnesestudie von Annemarie Dührssen aus dem Jahr 1962 habe die Wirksamkeit der analytischen Psychotherapie bei einer großen Stichprobe von 1.004 Patientinnen und Patienten aufzeigen können. Diese Berliner Psychotherapiestudie habe damit wichtige Argumente für die Aufnahme der analytischen und tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie in den Leistungskatalog der RVO-Kassen fünf Jahre später geliefert.
Schröder: 10 Jahre Psychotherapeutengesetz
Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, hob die Bedeutung der Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten für die Versorgung hervor. Bei den Ausgaben für psychische Erkrankungen dürfe man eben nicht nur die direkten Kosten sehen, sondern müsse auch die hohen indirekten Kosten, wie etwa die durch Arbeitsausfälle verursachten Kosten, berücksichtigen. Depression sei inzwischen eine Volkskrankheit. In unserer Gesellschaft seien die unmittelbaren körperlichen Belastungen zurückgebaut worden, dafür nähmen die psychischen Belastungen zu, was sich entsprechend auswirke.
Schröder erinnerte daran, dass der Gesetzgeber mit dem Psychotherapeutengesetz vor zehn Jahren Neuland betreten habe. Er habe einen neuen akademischen Heilberuf geschaffen und zwei neue Berufe in der vertragsärztlichen Versorgung verankert. Damit sei ein Rechtsanspruch auf Versorgung mit Leistungen von Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten geschaffen worden. Dies habe sich bewährt, konstatierte Staatssekretär Schröder.
Die Bedeutung, die das Bundesministerium für Gesundheit dem Bereich der psychischen Erkrankungen beimesse, zeige sich auch an anderen Punkten. So sei mit dem Krankenhausfinanzierungsreformgesetz die Grundlage für die Weiterentwicklung und Stabilisierung eines Versorgungsbereichs der Psychotherapeuten geschaffen worden. Mit der Mindestquote für Leistungserbringer, die ausschließlich Kinder und Jugendliche behandeln, und mit einem Gesetzentwurf als Reaktion auf die Kündigung der Sozialpsychiatrievereinbarung habe man auf dringende Versorgungsprobleme eine Antwort gefunden.
Der Weg zum Psychotherapeutengesetz sei für die Psychotherapeuten steinig gewesen. Es habe dabei nichts umsonst gegeben. Nach zehn Jahren würden sich verschiedene Fragen stellen und Probleme zeigen. Es gebe eine verfahrensbezogene Ausbildung, aber eine störungsspezifische Behandlung. Der Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie gebe Empfehlungen zur Anerkennung wissenschaftlicher Verfahren ab, wohingegen über deren sozialrechtliche Anerkennung der Gemeinsame Bundesausschuss entscheide. Das seien Punkte, über die man in Zukunft nachdenken müsse, erklärte Schröder.
Der Gesetzgeber habe mit dem Psychotherapeutengesetz zunächst Erfahrungen sammeln müssen. Deshalb sei auch ein Forschungsgutachten zur Ausbildung von Psychotherapeuten in Auftrag gegeben worden, das seit zwei Tagen vorliege. Nach Schröders Auffassung zeichnet sich in zwei Bereichen ein unmittelbarer Handlungsbedarf ab: Die Finanzierung und die Gestaltung der praktischen Tätigkeit müssen verbessert werden. Dabei sei eine BAföG-Lösung zu diskutieren.
Preisträger 2009
BPtK-Präsident Richter erinnerte zu Beginn seiner Laudatio an den konfliktreichen Prozess von Abgrenzung und Integration, der schließlich zu einer gemeinsamen beruflichen Identität der Psychotherapeuten führte. Die Profession habe den Schritt von der Negatividentität eines nicht-ärztlichen Psychotherapeuten zu der positiven Identität eines akademischen Heilberufs vollzogen, der auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse mit psychischen Mitteln Krankheiten vorbeuge und behandle, Gesundheit fördere, erhalte und Leiden lindere. Auf diese gemeinsame Identität müssten sich die Psychotherapeuten stets neu besinnen. Dafür seien Erfahrungen und Vorbilder hilfreich, Menschen aus ihrer Mitte, die sich besonders um die Psychotherapeutenschaft und um die Versorgung psychisch kranker Menschen verdient gemacht hätten.
Richter stellte die diesjährigen Preisträger vor. Detlev Kommer† war der erste Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer. Er habe die Gründung und den Aufbau der Bundespsychotherapeutenkammer mit unermüdlichem Einsatz und großem strategischen Weitblick vorangetrieben. Er habe die Strukturen geprägt, in denen die Psychotherapeuten sich heute bewegen. Detlev Kommer sei im besten Sinne ein Querdenker gewesen und habe mit seinen Positionen und Konzepten immer wieder Anlass gegeben, intensiv über das Selbstverständnis und den Weg der Profession zu streiten. Er habe unermüdlich dafür geworben, dass die Psychotherapeutenschaft zu gemeinsamen Positionen findet. Für den verstorbenen Detlev Kommer nahmen seine Kinder Valérie, Jérôme und Marcel Kommer den Preis entgegen. Sie bedankten sich im Namen ihres Vaters für den Preis, den dieser für das erhalte, was ihm so wichtig gewesen sei.
Annelies Arp-Trojan war langjährige Vorsitzende der Vereinigung analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (VAKJP). Sie habe, erinnerte Richter, in ausgesprochen bewegten Zeiten dafür gekämpft, den Heilberuf des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zu etablieren. Mit viel Herzblut habe sie für einen Zugang über einen pädagogischen Grundberuf geworben. Richter hob auch ihr Engagement für die Identität der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten hervor, die sie während ihrer langen berufspolitischen Tätigkeit entscheidend mitprägte. Annelies Arp-Trojan betonte, dass sie den Preis stellvertretend für diejenigen entgegennehmen würde, die so lange an ihrer Seite berufspolitisch gewirkt hätten. Sie freue sich besonders darüber, dass mit Diotima eine Frau Namenspatronin des Preises geworden sei.
Hans-Joachim Schwarz war lange Präsident des Deutschen Psychotherapeutenverbandes, der heutigen Psychotherapeutenvereinigung. Leitmotiv seiner Berufstätigkeit als damaliger Klinischer Psychologe und seines berufspolitischen Engagements sei die bestmögliche Versorgung von Patienten auf wissenschaftlich-psychologischer Grundlage gewesen. Sein Beispiel könne alle darin bestärken, dass weit entfernt erscheinende Ziele mit einer langfristigen Strategie erreicht werden können - wenn man das gemeinsame Ziel bei allen Unterschieden und Konflikten unbeirrt und verlässlich verfolge, im Dialog und in der Zusammenarbeit mit allen, die das Ziel unterstützten. Hans-Joachim Schwarz bemerkte, dass die 20 Jahre bis zum Psychotherapeutengesetz im Vergleich zu den seit Sokrates vergangenen 2.500 Jahren nur ein Lidschlag in der Menschheitsgeschichte seien. Er ließ in seinen Dankesworten die Zeit seines berufspolitischen Engagements Revue passieren.
Prof. Dr. Hans-Volker Werthmann war viele Jahre Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). Bereits in den 1970er Jahren habe er - betonte Richter - eine Zusatzweiterbildung für Psychologen in tiefenpsychologisch-fundierter Psychotherapie entwickelt, lange bevor die Ausbildung in diesem Verfahren zur Approbation und Krankenkassenzulassung geführt habe. Er sei als erster Psychologe Ende der 1980er Jahre Vorsitzender der DGPT geworden, was damals keinesfalls eine Selbstverständlichkeit gewesen sei. Sein besonderer Verdienst beim Prozess der Identitätsfindung sei es gewesen, dass er ausgleichend und integrierend gewirkt habe - vielleicht gerade in Kenntnis der Unterschiede und Grenzen. Prof. Dr. Werthmann hob den Wirkfaktor Beziehung in der Psychotherapie hervor. Er betonte, dass mit der Diotima ein toller Name für den Preis gefunden worden sei. In Anlehnung an die Begegnung von Sokrates und Diotima und ihre Gedanken zum "Daimon" Eros beschrieb er den "psychotherapeutischen Daimon".
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Veröffentlicht am 18. Mai 2009