Fachtagung "Psychotherapie und Suchtbehandlung" am 25. November 2008
Suchterkrankungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. Über 1,3 Millionen Menschen sind von Alkohol abhängig und über zwei Millionen missbrauchen Alkohol. 3,8 Millionen Menschen sind abhängige Raucher, fast 1,5 Millionen Menschen sind von Medikamenten abhängig. Hinzu kommen 600.000 Konsumenten von Cannabis und 170.000 bis 200.000 Menschen, die andere illegale Drogen missbrauchen oder von ihnen abhängig sind. Zu den neuen Suchterkrankungen zählen pathologisches Glücksspiel und exzessiver PC-Gebrauch.
Über 1,3 Millionen Menschen sind von Alkohol abhängig und über zwei Millionen missbrauchen Alkohol. 3,8 Millionen Menschen sind abhängige Raucher, fast 1,5 Millionen Menschen sind von Medikamenten abhängig. Hinzu kommen 600.000 Konsumenten von Cannabis und 170.000 bis 200.000 Menschen, die andere illegale Drogen missbrauchen oder von ihnen abhängig sind. Zu den neuen Suchterkrankungen zählen pathologisches Glücksspiel und exzessiver PC-Gebrauch
Psychotherapie - wichtiger Teil der Suchtbehandlung
Psychotherapie ist bereits ein wichtiger Bestandteil der Suchtbehandlung, ihre Wirksamkeit in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen ist wissenschaftlich nachgewiesen. Ziel der von der BPtK gemeinsam mit dem Fachverband Sucht e.V. veranstalteten Fachtagung "Psychotherapie und Suchtbehandlung" am 25. November 2008 in Berlin war es, Wege zu einer verbesserten Kooperation zwischen niedergelassenen Psychotherapeuten und Suchthilfe sowie Lösungen für bestehende Schnittstellenprobleme aufzuzeigen. Hierzu waren Vertreter aus der Politik, der Leistungserbringer, der Kostenträger und der Wissenschaft eingeladen, gemeinsam mit dem interessierten Fachpublikum zu diskutieren.
In ihrem Grußwort wies Sabine Bätzing, die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, zunächst darauf hin, dass diese Veranstaltung längst überfällig gewesen sei. Seit zehn Jahren gebe es zwar das Psychotherapeutengesetz, wichtige psychotherapeutische Weiterentwicklungen im Bereich der Suchtbehandlung, wie z. B. das "Motivational Interviewing", seien jedoch nicht in den Psychotherapie-Richtlinien verankert. Bevor ein Patient ambulant psychotherapeutisch behandelt werden kann, müsse er nach den Psychotherapie-Richtlinien bereits abstinent und motiviert sein, seine Abhängigkeitserkrankung zu behandeln. Gerade die labile Motivation der Patienten sei aber ein Kernmerkmal von Abhängigkeitserkrankungen. Ein Verständnis der Suchttherapie als spezielle Form der Psychotherapie, die methodenübergreifend arbeite und bei der die Vertrauensbeziehung zum Therapeuten eine besondere Rolle spiele, sei notwendig. Derzeit befänden sich nur wenige Menschen mit substanzbezogenen Störungen in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung. Die Psychotherapeutenschaft solle sich ihrer Verantwortung zur Behandlung dieser Patientengruppen, aber auch ihrer Grenzen bewusst sein, so die Drogenbeauftragte Bätzing.
Schwerpunkt tertiäre Versorgung
Einen Überblick über die verschiedenen Suchtformen sowie die Zugangswege zur Behandlung gab Prof. Dr. Gerhard Bühringer, Leiter des Instituts für Therapieforschung München und Inhaber der Professur für Suchtforschung an der TU Dresden. Bühringer stellte einleitend fest, dass Psychotherapie bereits ein integraler Bestandteil der Suchtbehandlung sei. Ein Problem in der Suchtbehandlung seien die unterschiedlichen Finanzierungstöpfe, aus denen die Suchtbehandlung bezahlt würde und die nahtlose Behandlungsübergänge zwischen den verschiedenen Versorgungssektoren erschweren würden.
Das Suchthilfesystem in Deutschland setze vor allem auf eine tertiäre Versorgung, auf stationäre Suchteinrichtungen und Suchtberatungsstellen. Es erreiche aber zu wenig Erkrankte im primären (Allgemeinärzte, Allgemeinkrankenhäuser, psychosoziale Beratungsstellen) und sekundären Versorgungssektor (ambulante Psychotherapie, psychiatrische und psychosomatische Kliniken). Hierdurch würden wichtige Chancen für die Früherkennung und Frühintervention vertan. Junge Leute (18 bis 28 Jahre) mit schädlichem Gebrauch oder Abhängigkeit von psychotropen Substanzen suchten allerdings vor allem Rat und Behandlung bei niedergelassenen Psychotherapeuten (12,3 Prozent). Im Vergleich dazu wendeten sich nur 3,4 Prozent dieser Patienten an Hausärzte (Perkonigg et al., 2006). Niedergelassene Psychotherapeuten könnten deshalb eine zentrale Rolle für die Erkennung und Behandlung von substanzbezogenen Störungen spielen.
Erfolge der medizinischen Rehabilitation
Im Mittelpunkt des Vortrags von Peter Missel, leitender Psychologe der Kliniken Daun - Am Rosenberg und Mitglied des Vorstands des Fachverbandes Sucht, stand die Bedeutung der stationären Entwöhnungsbehandlung im Suchthilfesystem. Er machte deutlich, dass sich die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker schon aus ökonomischen Gründen lohne. Die Effektivität der Behandlung sei belegt. Kosteneinsparungen ergäben sich durch verringerte akutmedizinische Kosten sowie weniger Krankschreibungen und Frühverrentungen. Ein Jahr nach der Behandlung seien 73,8 Prozent der Behandelten abstinent und lediglich 26,2 Prozent rückfällig (Daten FV Sucht).
Weiterentwicklungen des Suchthilfesystems müssten sich vor allem auf die Phase der Frühintervention und der Nachsorge konzentrieren. Es dauere durchschnittlich mehr als elf Jahre, bevor ein Abhängigkeitskranker in die stationäre Entwöhnungsbehandlung komme. Die meisten Rückfälle passierten in den ersten zwei Monaten nach Entlassung aus der stationären Behandlung. Hieraus ergäben sich zentrale Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung des Versorgungssystems.
Evidenzbasierte Psychotherapie der Sucht
In seinem Vortrag beschrieb Prof. Dr. Fred Rist, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Münster, die Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapie in der Suchtbehandlung. Nach einem kurzen Überblick über die methodischen Grundlagen und einer Darstellung ausgewählter Übersichtsarbeiten und Metaanalysen skizzierte er die Gemeinsamkeiten der positiv evaluierten Verfahren.
Wirksame psychotherapeutische Ansätze in der Suchtbehandlung betonten den eigenen Beitrag der Patienten, den Konsum der psychotropen Substanzen zu verringern bzw. aufzugeben, eine Änderungsmotivation aufzubauen sowie soziale Unterstützung in die Behandlung einzubeziehen. Hierbei gehe es vor allem um eine bessere Beziehung zu den Bezugspersonen. Als weniger hilfreich hätten sich Verfahren erwiesen, die erzieherisch oder konfrontierend vorgingen oder den Besuch einer Selbsthilfegruppe forcierten. Zudem gebe es geringe Evidenz für unspezifische Beratungs- und allgemeine Unterstützungsansätze. Auch Rist betonte die therapeutische Bedeutung des bisher ungenutzten Zeitraumes kurz nach einer stationären Entlassung. In dieser Phase ereigneten sich die meisten Rückfälle. Deshalb seien gerade dann psychotherapeutische Interventionen zweckmäßig. Er schloss seinen Vortrag mit dem Fazit, dass sowohl ausreichend Evidenz für die Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen vorhanden als auch die Akzeptanz auf Seiten der Patienten hierfür hoch seien.
Wenige Patienten in ambulanter Psychotherapie
Dr. Klaus Bilitza, niedergelassener Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor und Dozent in der Suchttherapeutenausbildung, skizzierte die Praxis der ambulanten Psychotherapie bei Suchterkrankungen. Er wies darauf hin, dass nach einer DGPT-Erhebung Suchtpatienten nur 1,1 Prozent der Patienten in ambulanter Psychotherapie ausmachten. Dies sei angesichts der hohen Prävalenzraten und den häufig komorbid vorliegenden weiteren psychischen Erkrankungen nicht nachvollziehbar. Mögliche Gründe hierfür sah er in einer verbreiteten Überpathologisierung dieser Patienten. Den Patienten würde häufig unterstellt, dass sie nicht fähig wären, ein Arbeitsbündnis einzugehen. Außerdem herrsche die Annahme vor, ein Rückfall belege ihre Therapieunfähigkeit. Abschließend appellierte er an die niedergelassenen Psychotherapeuten, auch für diese Patientengruppe psychotherapeutische Angebote zu machen und sich aktiv in das Arbeitsfeld Suchtpsychotherapie einzubringen. Die Praxis der ambulanten Psychotherapie und "Best Practice"-Modelle zeigten, dass dies erfolgreich möglich sei.
Handlungsbedarf
Im Anschluss an die Überblicksreferate, in denen bereits zentrale Probleme in der Suchtbehandlung angerissen worden waren, stellten Dr. Volker Weissinger, Geschäftsführer des Fachverbandes Sucht, und Monika Konitzer, Vizepräsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer, den politischen Handlungsbedarf dar.
Beide betonten in ihren Statements die hohen Raten psychischer Komorbiditäten bei Patienten mit substanzbezogenen Störungen. Angst- und Panikstörungen träten bei bis zu einem Drittel der alkoholabhängigen Männer und bis zu zwei Dritteln der alkoholabhängigen Frauen auf, depressive Störungen bei bis zu 50 Prozent der alkoholabhängigen Patienten (klinische Stichproben) und Persönlichkeitsstörungen bei bis zu 40 Prozent der abhängigen Patienten (klinische Stichproben). Eine umfassende Behandlung müsse sämtliche Störungen behandeln. Die therapeutische Berücksichtigung der Komorbiditäten sei für eine erfolgreiche Behandlung entscheidend.
Beide hoben hervor, dass in Deutschland ein hochwertiges Beratungs- und Behandlungsangebot für abhängigkeitskranke Menschen und parallel dazu ein breites Netz an psychotherapeutischer Versorgung existieren. Es sei davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Personen, die eine ambulante Psychotherapie beginnen wollen, auch ("verdeckte") Substanzprobleme aufweise. Zudem gebe es einen hohen Bedarf für ambulante psychotherapeutische Weiterbehandlung nach erfolgter Entwöhnungsbehandlung.
Handlungsbedarf entstehe vor allem aufgrund ungelöster "Schnittstellenprobleme" zwischen den Versorgungssektoren. Zukünftig seien notwendig:- Eine verbesserte ambulante psychotherapeutische Versorgung von Personen mit Abhängigkeitserkrankungen, bei vorliegender dauerhafter Abstinenz, sofern spezifische Behandlungskompetenzen vorliegen und das Behandlungssetting hierfür geeignet sei. - Die Möglichkeit zur ambulanten psychotherapeutischen Behandlung von Patienten mit schädlichem Gebrauch als Hauptdiagnose oder als Nebendiagnose bei psychischer Komorbidität. Hierzu bedürfe es z. T. entsprechender Anpassungen und Konkretisierungen in den Psychotherapie-Richtlinien. - Die Möglichkeit, abhängigkeitskranke Personen in suchtspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote zu vermitteln, insbesondere auch in Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation durch Psychologische Psychotherapeuten. - Die Möglichkeit, abhängigkeitskranke Personen insbesondere mit komorbiden psychischen Störungen durch Einrichtungen der Suchtkrankenversorgung in die vertragspsychotherapeutische Behandlung zu vermitteln. - Ein wechselseitiges Schnittstellen- und Entlassungsmanagement zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen.
Diskussion
Die abschließende Podiumsdiskussion bestätigte, dass es Handlungsbedarf gebe, um die in Deutschland schon sehr gut ausgebaute Suchtbehandlung zu optimieren. Dr. Christiane Korsukéwitz, Leiterin des Geschäftsbereichs Sozialmedizin und Rehabilitation und leitende Ärztin der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), unterstrich, wie wichtig die ambulante Weiterbehandlung von Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen sei. Die DRV sei hierzu schon gut vernetzt. Sie betonte zudem, dass die DRV ein hohes Interesse an der frühzeitigen Identifikation von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen habe.
Alle Beteiligten waren sich einig, dass eine stärkere Vernetzung zwischen den verschiedenen Versorgungssektoren für eine Optimierung der Suchtbehandlung notwendig sei. Im Mittelpunkt stünde eine bessere Früherkennung und Frühintervention sowie Nachbehandlung. Die niedergelassenen Psychotherapeuten könnten hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.
Im Weiteren wurde diskutiert, wie eine verbesserte Vernetzung zwischen den verschiedenen Versorgungssektoren im Suchthilfesystem und insbesondere der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung erreicht werden könne. Dr. Theo Wessel, Geschäftsführer des Gesamtverbandes für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, plädierte für eine stärkere Kooperation und Vernetzung auf kommunaler Ebene. Im Bereich der Frühintervention sei beispielsweise auch die Kooperation mit Allgemeinkrankenhäusern und Hausärzten von besonderer Wichtigkeit. Es gehe darum, grundversorgungsorientierte Konzepte zu entwickeln. Die Beteiligung und der Beitrag der niedergelassenen Psychotherapeuten hierbei seien wünschenswert.
Dabei sei es vermutlich gar nicht notwendig, die grundsätzlichen Strukturen zu verändern, sondern die vorhandenen Strukturen und Möglichkeiten besser zu nutzen, stellte BPtK-Vizepräsidentin Monika Konitzer fest. Für eine stärkere Einbindung der niedergelassenen Psychotherapeuten wären zum einen jedoch Änderungen in den Psychotherapie-Richtlinien dahingehend hilfreich, dass auch der schädliche Gebrauch psychotroper Substanzen als Indikation für eine ambulante psychotherapeutische Behandlung gelte. Derzeit "verschwiegen" die niedergelassenen Psychotherapeuten den schädlichen Gebrauch von Substanzen durch ihre Klienten in Psychotherapieanträgen häufig, da entsprechende Anträge durch die Gutachter meist abgelehnt würden. Dies führe auch dazu, dass der tatsächliche Anteil von Patienten mit Missbrauch oder Abhängigkeit von psychotropen Substanzen von der gesetzlichen Krankenversicherung unterschätzt werde. Um den tatsächlichen Bedarf abschätzen zu können, seien verlässliche Daten notwendig - ein Appell an die Bundesregierung, solche Forschung stärker zu fördern. Zum anderen, so Konitzer, müssten die Psychotherapie-Richtlinien auch mehr Möglichkeiten für Kriseninterventionen, Sprechstundenmöglichkeiten oder den Einsatz von Methoden des "Motivational Interviewing" zulassen, da in der Suchtpsychotherapie besondere Anforderungen gestellt würden.
Ralf Schneider, Direktor der salus Klinik und Vorstandsvorsitzender des Fachverbandes Sucht, betonte, dass sich der Fachverband Sucht insbesondere in der Nachsorgephase von Patienten mit psychischen Komorbiditäten eine stärkere Beteiligung der niedergelassenen Psychotherapeuten wünsche. Diese Patienten hätten es oft schwer, einen ambulanten Therapieplatz zu finden. Insbesondere machten aber auch die einleitend zitierten Daten, wie viele Jugendliche mit Abhängigkeitserkrankungen zunächst einen Psychotherapeuten aufsuchten, deutlich, welches hohe Potenzial für die Früherkennung in diesem Versorgungsbereich stecke. Für eine stärkere Berücksichtigung von Abhängigkeitserkrankungen im Kinder- und Jugendbereich plädierten deshalb alle an der Podiumsdiskussion Beteiligten.
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Veröffentlicht am 17. Dezember 2008