Internetprogramme zur geprüften Leistung für alle Versicherten machen
BPtK-Symposium: Internet in der Psychotherapie
Das Internet spielt mittlerweile in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Ganz selbstverständlich wird es genutzt, um sich zu informieren und zu kommunizieren. Rund 30 Prozent der Deutschen haben auf ihren Smartphones Gesundheits-Apps installiert. Auch für psychische Erkrankungen gibt es bereits zahlreiche Präventions- und Behandlungsangebote.
Nicht jedem Nutzer ist jedoch klar, worauf er sich einlässt, wenn er Internetprogramme für psychische Beschwerden nutzt. Wird er nur beraten oder schon behandelt? Ist das Programm auf seine Wirksamkeit untersucht? Hat es Nebenwirkungen? Bekommt er während der Nutzung eine Unterstützung? Und wenn ja, von wem? Von einem approbierten Psychotherapeuten oder gibt ein Computer standardisierte Antworten?
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veranstaltete deshalb am 27. Juni 2017 in Berlin ein Symposium, um fachliche und politische Aspekte des Internets in der psychotherapeutischen Versorgung zu diskutieren. "Eine Integration des Internets in die Psychotherapie bietet Chancen", stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz eingangs fest: Programme könnten flexibel im Alltag genutzt werden. Gehbehinderten Patienten könnten z. B. durch Behandlungen per Video besonders beschwerliche Anfahrtswege zum Psychotherapeuten erspart werden. Es stelle sich daher die Frage, wann Internetprogramme die klassische Psychotherapie ergänzen können. Dafür müssen wirksame Internetprogramme aber zunächst zur Regelleistung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht werden. In unserem Gesundheitssystem müsse überlegt werden, wie Patienten die bestmögliche Behandlung ihrer psychischen Beschwerden erhalten.
Das Internet spielt mittlerweile in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Ganz selbstverständlich wird es genutzt, um sich zu informieren und zu kommunizieren. Rund 30 Prozent der Deutschen haben auf ihren Smartphones Gesundheits-Apps installiert. Auch für psychische Erkrankungen gibt es bereits zahlreiche Präventions- und Behandlungsangebote.
Nicht jedem Nutzer ist jedoch klar, worauf er sich einlässt, wenn er Internetprogramme für psychische Beschwerden nutzt. Wird er nur beraten oder schon behandelt? Ist das Programm auf seine Wirksamkeit untersucht? Hat es Nebenwirkungen? Bekommt er während der Nutzung eine Unterstützung? Und wenn ja, von wem? Von einem approbierten Psychotherapeuten oder gibt ein Computer standardisierte Antworten?
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veranstaltete deshalb am 27. Juni 2017 in Berlin ein Symposium, um fachliche und politische Aspekte des Internets in der psychotherapeutischen Versorgung zu diskutieren. "Eine Integration des Internets in die Psychotherapie bietet Chancen", stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz eingangs fest: Programme könnten flexibel im Alltag genutzt werden. Gehbehinderten Patienten könnten z. B. durch Behandlungen per Video besonders beschwerliche Anfahrtswege zum Psychotherapeuten erspart werden. Es stelle sich daher die Frage, wann Internetprogramme die klassische Psychotherapie ergänzen können. Dafür müssen wirksame Internetprogramme aber zunächst zur Regelleistung für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht werden. In unserem Gesundheitssystem müsse überlegt werden, wie Patienten die bestmögliche Behandlung ihrer psychischen Beschwerden erhalten.
Forschung I: Psychotherapeutische Versorgung per Internet
Prof. Dr. Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin gab zunächst einen Überblick über die Forschungsergebnisse zur psychotherapeutischen Versorgung per Internet. Bei Selbsthilfeprogrammen werde das Internet als Informationsmedium genutzt, um auch komplexere Inhalte in systematischer Form anzubieten. Dabei sei in vielen Fällen ein therapeutischer Kontakt nicht vorgesehen. Diese Programme ließen sich mit einer Bibliotherapie vergleichen, bei der Bücher oder Videos genutzt werden, um sich ohne Psychotherapeuten mit psychischen Beschwerden auseinanderzusetzen und sie dadurch zu verringern.
Andere Angebote nutzten Telefon, E-Mail oder Internetprogramme zur Kommunikation. Hierbei könne die Intensität und Regelmäßigkeit des therapeutischen Kontakts genauso sein, wie bei einer Behandlung in einer psychotherapeutischen Praxis. Eine Mischung aus Information und Kommunikation finde sich bei Angeboten der therapeutisch angeleiteten Selbsthilfe oder den "Blended Therapies", bei denen z. B. eine Behandlung in einer Praxis mit Internetangeboten kombiniert würde. Außerdem könne das Internet die Diagnostik unterstützen, wenn z. B. der Patient im Alltag sensorische Informationen erfassen soll.
Wirksamkeit von Internetprogrammen belegt
Nach Knaevelsrud belegten bereits zahlreiche nationale und internationale Studien die Wirksamkeit von Internetprogrammen. Die meisten Programme basierten auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Konzepten, es seien aber auch erste psychodynamische Programme verfügbar. Breite Evidenz liege insbesondere bei Internetprogrammen für depressive Erkrankungen und Angststörungen vor. Metaanalysen belegten, dass ihre Wirksamkeit mit den Effekten der unmittelbaren Psychotherapie ("Face-to-Face") vergleichbar sei. Allerdings hätten an den Studien speziell Patienten teilgenommen, die auch an diesen Programmen Interesse haben. Die Ergebnisse könnten deshalb nicht verallgemeinert werden.
Die meisten der wirksamen Programme seien keine reinen Selbsthilfeangebote, sondern böten auch therapeutische Unterstützung ("Guided Self-help"). Die Qualifikation der Therapeuten oder der Ansprechpartner sei dabei sehr unterschiedlich. In vielen Studien würden keine Psychotherapeuten oder Ärzte eingesetzt, sondern Assistenzpersonal mit einer kürzeren Schulung in dem jeweiligen Programm. Die therapeutische Unterstützung ziele dabei meist darauf ab, Patienten zu motivieren, das Programm weiter zu nutzen und für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Dies sei auch wesentlich für die Wirksamkeit der Programme. Ohne diese Unterstützung brächen die meisten Nutzer vorzeitig ab. Anderseits hätten die Patienten bei diesen Programmen stärker den Eindruck, die therapeutischen Erfolge selbst erreicht zu haben. Während in einer Psychotherapie im unmittelbaren Gespräch der Patient am Ende oft sage "Ohne Sie hätte ich das nie geschafft", sage der Patient nach einem Internetprogramm häufiger "Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe".
Therapeutischer Kontakt positiv
Knaevelsrud berichtete außerdem, dass Patienten die therapeutische Beziehung auch bei diesen Angeboten positiv bewerteten. Ihnen sei es sehr wichtig, "dass es da jemanden gibt". Patienten prüften beispielsweise, ob ihre E-Mails auch wirklich von einem Psychotherapeuten gelesen würden. Insgesamt zeige sich oft, dass die Wirksamkeit von Internetangeboten durch einen intensiveren therapeutischen Kontakt gesteigert werden könne.
Psychotherapeuten und Patienten könnten bei einer Schreibtherapie auch ausschließlich schriftlich kommunizieren. Dabei fehlten dann nonverbale und paraverbale Informationen, also das ganze Spektrum von Botschaften, die durch Körpersprache oder mit der Stimme ausgedrückt werden: die Stimmlage (z. B. hoch/tief, tragend/zitternd, laut/leise), die Betonung einzelner Wörter oder Satzteile, das Sprechtempo (schnell/langsam) und die Sprachmelodie (eintönig/singend). In einer Internet-Schreibtherapie könne es so schneller zu Missverständnissen kommen. Deshalb sei es notwendig, dass Psychotherapeuten sich bei rein schriftlicher Kommunikation klar und eindeutig ausdrückten, da es nicht möglich sei, sich visuell zu rückzuversichern, ob der Patient einen richtig verstanden habe. Schließlich betonte Knaevelsrud, dass eine Approbation als Psychotherapeut notwendig sei, um angemessen auf kritische Situationen, wie beispielsweise Hinweise auf Suizidalität von Patienten, reagieren zu können.
Forschung II: Kombinationen von Psychotherapie und Internetprogrammen
Prof. Dr. Harald Baumeister von der Universität Ulm stellte dar, dass durchaus Patienten mit unterschiedlichen Störungsbildern an einer Behandlung mithilfe von Internetprogrammen interessiert seien. Viele Patienten brächen allerdings trotz anfänglichem Interesse die Programme schnell ab, wenn sie keine therapeutische Unterstützung erhielten. Eine Kombination von Internetprogrammen und persönlichen Therapiegesprächen stoße dagegen auf eine hohe Akzeptanz, die in vielen Fällen höher sei als bei nicht-kombinierten Angeboten.
Baumeister stellte dar, wie Internetprogramme und unmittelbare Psychotherapie, in der Therapeut und Patient durch keinen räumlichen oder zeitlichen Abstand getrennt sind, kombinierbar seien. Denkbar sei beispielsweise, dass Patienten während einer laufenden Psychotherapie einzelne Internetmodule bearbeiten. Es seien aber auch sequenzielle Ansätze denkbar, bei denen nach der Bearbeitung eines Internetprogramms eine psychotherapeutische Behandlung im direkten Kontakt erfolge. Internetprogramme könnten schließlich auch im Anschluss an eine Psychotherapie genutzt werden, um einen Therapieerfolg zu sichern. Erinnerungsfunktionen von Apps könnten sinnvolle Ergänzungen zur Psychotherapie im Alltag der Patienten sein. Im Vergleich zu Selbsthilfeprogrammen im Internet sei die Evidenz der "Blended Therapy" jedoch deutlich geringer.
Neben der Akzeptanz der Patienten sei auch die Akzeptanz der Psychotherapeuten zu verbessern. Eine Studie hätte gezeigt, dass gezielte Informationen zu Internetprogrammen helfen, die Akzeptanz der Psychotherapeuten zu erhöhen.
Rechtliche Voraussetzungen der Internettherapie
BPtK-Justiziar Prof. Dr. Martin H. Stellpflug stellte dar, ob und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Internettherapie durchgeführt werden könne. Dabei sei zunächst zu klären, ob es sich um eine Heilbehandlung handle. Man müsse zwischen Beratung und Behandlung differenzieren. Für die Durchführung einer Heilbehandlung sei stets eine staatliche Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde erforderlich. Grundsätzlich seien Internetbehandlungen nicht gesetzlich verboten.
Seien Psychologische Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten beteiligt, gelte auch deren Berufsordnung, selbst wenn es nur um Beratung und nicht um eine Behandlung gehe. In der Musterberufsordnung der Psychotherapeuten stehe kein grundsätzliches Verbot von Internettherapie. Der rechtliche Spielraum sei klar gefasst. Psychotherapeuten dürften nur in begründeten Ausnahmefällen und unter Beachtung besonderer Sorgfaltspflichten Behandlungen über elektronische Kommunikationsmedien durchführen.
Auch das Patientenrechtegesetz mache wichtige Vorgaben. Die Einwilligung in eine Behandlung setze grundsätzlich eine umfassende und mündliche Aufklärung voraus. Es müsse insbesondere auch über die besonderen Risiken dieser Behandlungsform aufgeklärt werden. Die Risiken der Datenübermittlung müssten offen kommuniziert werden.
Auch Diagnostik und Indikationsstellung müssten im persönlichen Kontakt erbracht werden. Es sei nicht mit den Sorgfaltspflichten eines Psychotherapeuten vereinbar, wenn sie die Diagnose nicht im persönlichen Kontakt erstellten. Ferner müsse es möglich sein, den Therapieverlauf zu überwachen, und immer ein Ansprechpartner erreichbar sein, wenn der Patient in eine Krise gerate. Therapiesitzungen über ungesicherte Videosoftware durchzuführen, sei rechtlich nicht zulässig, so Stellpflug.
Die Perspektive der Programmentwickler
Dr. Hanne Horvath, Geschäftsführerin des GET.ON Instituts, stellte die Perspektive der Programmentwickler vor. Dabei betonte sie, dass der Ressourcenaufwand, der notwendig sei, um qualitativ hochwertige Internetprogramme zu erstellen, sehr hoch sei. GET.ON verfüge bereits über ein breites Angebot an Internetprogrammen zur Prävention und Behandlung von psychischen Beschwerden und habe diese auch wissenschaftlich evaluiert. Einige der Programme würden auch von einer Krankenkasse angeboten. Dabei zeige sich, dass z. B. depressive Beschwerden oder Schlafprobleme wirksam verringert werden könnten.
Oft seien Versicherte, die Präventionsangebote im Internet nutzten, jedoch deutlich stärker belastet, als ursprünglich angenommen. Sie benötigten deshalb deutlich häufiger persönliche Unterstützung. Der menschliche Kontakt sei beim Einsatz dieser Programme außerhalb von wissenschaftlichen Studien noch wichtiger. Das habe bei GET.ON zu einer Weiterentwicklung ihres Angebots geführt. Geplant sei, Internetprogramme in Zukunft nur in Kombination mit persönlichem Kontakt bereitzustellen und für alle Teilnehmer standardmäßig ein Erstgespräch zwischen Coach und Klient zu integrieren.
Um in Zukunft qualitativ hochwertige Programme für Versicherte in der Regelversorgung anbieten zu können, müssten dringend angemessene Rahmenbedingungen für Internetprogramme geschaffen werden, forderte Horvath. Dabei sollten allerdings nur evidenzbasierte Internetprogramme zum Einsatz kommen.
Digitalisierung bei der Techniker Krankenkasse
Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse (TK), hob die Geschwindigkeit der Digitalisierung in allen Lebensbereichen hervor. Auch im Gesundheitswesen seien die Möglichkeiten vielfältig, E-Health, M-Health, Telemedizin und Co. einzusetzen. Bei Prävention, Diagnostik und Behandlung böten sich neue Chancen durch die digitale Datenerhebung, -weiterleitung, -sammlung und -auswertung. Da psychische Erkrankungen besonders häufig zu langen Krankschreibungen und nicht selten zu Krankengeldzahlungen führten, sehe er hier ein besonderes Potenzial, neue Versorgungsangebote zu schaffen.
Die TK habe deshalb in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin den TK-Depressionscoach entwickelt. Bei diesem Angebot könnten Versicherte mit depressiven Beschwerden Informationen und Hilfen im Internet nutzen und auch per E-Mail zusätzlich von einem Psychotherapeuten begleitet werden. Eine erste Evaluation des Programms zeige eine hohe Zufriedenheit und eine gute Wirksamkeit. Beim Datenschutz würden die Standards des Online-Bankings eingehalten.
Um die Chancen digitaler Angebote in Zukunft nutzen zu können, brauche es einheitliche Qualitätsstandards, die Überprüfung der rechtlichen Rahmenbedingungen, eine wissenschaftliche Begleitung, Angebotstransparenz für den Nutzer sowie Regelungen zur Zulassung und Erstattungsfähigkeit der Programme. Ballast hielt den Kassenwettbewerb für einen wichtigen Faktor bei der Entwicklung der Internetprogramme, langfristig halte er es aber für notwendig, diese in die Regelversorgung zu integrieren. Die TK denke über ein "Innovationsbudget" nach, mit dem Medizinprodukte in Modellvorhaben getestet werden könnten. Nach einer vorläufigen Zulassung bestünde so die Möglichkeit, weitere Wirksamkeitsbelege für eine abschließende Bewertung zu sammeln.
Notwendige Rahmenbedingungen aus Sicht der BPtK
Präsident Munz stellte den BPtK-Standpunkt "Internet in der Psychotherapie" vor. Das Internet könne die psychotherapeutische Behandlung in der Praxis oder Klinik ergänzen und die Versorgung psychisch kranker Menschen verbessern, es könne sie jedoch nicht ersetzen.
Kritisch bewertete er, dass Programme aktuell von Krankenkassen vor allem entwickelt würden, um sich von ihren Wettbewerbern zu unterscheiden und Mitglieder zu werben. Das führe dazu, dass viele Internetprogramme nur für die Versicherten der jeweiligen Krankenkasse verfügbar seien. Dies sei jedoch mit den Grundsätzen einer gesetzlichen Krankenversicherung nicht vereinbar. Bei Arzneimitteln wäre es undenkbar, dass eine Krankenkasse einen Wirkstoff exklusiv ihren Versicherten zur Verfügung stelle. Eine der zentralen sozialpolitischen Errungenschaften der gesetzlichen Krankenversicherung sei der einheitliche Leistungskatalog, auf den jeder Versicherte Anspruch habe und nach dem er alles erhalten soll, was ausreichend, zweckmäßig und notwendig ist. Nachweislich wirksame Internetprogramme müssten deshalb allen Versicherten auf Kosten der Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden können. Dazu müssten sie eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung werden und von Psychotherapeuten verschrieben werden können. Aktuell entstehe aber in der Internetversorgung ein Parallelsystem der Kassen, das zu einer Vermischung von Versicherung und Versorgung führe.
"Internetprogramme zur Prävention oder Behandlung psychischer Erkrankungen müssen genauso sorgfältig durchgeführt werden und genauso sicher sein wie Behandlungen im unmittelbaren Gegenüber", forderte BPtK-Präsident Munz. Diagnose und Aufklärung müssten grundsätzlich in unmittelbarem Kontakt zwischen Psychotherapeut und Patient erfolgen. Eine Kontrolle des Therapieverlaufs müsse auch bei einer Behandlung über das Internet möglich sein. Dazu gehöre es, dass ein Notfallplan erstellt und mit dem Patienten abgesprochen werde, wie er seinen Psychotherapeuten erreichen kann.
Problematisch sei, dass die Qualität der Programme bisher stark schwanke und oft von den Patienten nicht zu beurteilen sei. Die BPtK fordere deshalb, in Zukunft ausschließlich zertifizierte Medizinprodukte zu verwenden. Diese müssten dann in das Hilfsmittelverzeichnis - eventuell in einer neu zu schaffenden Produktgruppe mit eigenen Anforderungen - aufgenommen und von Psychotherapeuten verordnet werden können. Nur so könne gewährleistet werden, dass wirksame Programme allen Patienten zur Verfügung gestellt werden könnten.
Für die psychotherapeutische Behandlung sei es außerdem unbedingt erforderlich, insbesondere E-Mail?Kommunikation und Video?Telefonate auf dem technisch höchsten Standard zu verschlüsseln und vor Ausspähen und Abfangen von Daten zu schützen. Die BPtK fordere daher, in der Telematikinfrastruktur für das deutsche Gesundheitswesen Anwendungen zu ermöglichen, mit denen Patienten und Psychotherapeuten sicher miteinander kommunizieren können. Alle Internetprogramme, die bei der Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt werden, müssten aus Sicht der BPtK mindestens über die hohen Standards der Datensicherheit der Telematikinfrastruktur verfügen.
Munz riet Patienten, Internetprogramme für psychische Beschwerden und Erkrankungen kritisch zu hinterfragen. Häufig fehlten wichtige Informationen, um die Qualität und Datensicherheit von Programmen beurteilen zu können. Die BPtK habe daher eine Checkliste erarbeitet, mit der Patienten Internetangebote selbst prüfen könnten. Dazu gehörten insbesondere Fragen, ob ein Anbieter von Internetprogrammen ausreichend über sein Angebot informiere und den Datenschutz sicherstelle. Fehlten wesentliche Angaben, sollte ein Verbraucher das Programm nicht nutzen.
Podiumsdiskussion mit Bundestagsabgeordneten
In der Podiumsdiskussion betonte Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass die Chancen der Digitalisierung aus ihrer Sicht die Risiken überwiegen. Der persönliche Kontakt sei aber auch in Zukunft unverzichtbar. Digitale Angebote müssten einen maximalen Datenschutz gewährleisten und in einen fachlichen Kontakt eingebettet werden. Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, erklärte, dass ein Bewertungsverfahren auf wissenschaftlicher Grundlage zentral für die Zulassung digitaler Produkte sei. Nur so könne der Wildwuchs bei den Krankenkassen verhindert werden und wirksame digitale Angebote in der Breite der Versorgung zur Verfügung stehen. Die Aufklärung von Patienten müsse weiterhin im persönlichen Kontakt erfolgen. Auch Burkhard Berndt, Leiter des Bundestagsbüros der Bundestagsabgeordneten Ute Bertram (CDU), betonte, dass Psychotherapie in Zukunft Sprechende Medizin bleiben müsse.
Die Bereitschaft von Patienten, Onlineangebote zu nutzen, sei groß, erklärte Susanne Mauersberg, gesundheitspolitische Referentin bei der Verbraucherzentrale Bundesverband. Es gebe aber auch eine große Angst, bestehende Angebote zu verlieren. Aus Patientensicht seien insbesondere niederschwellige Angebote wichtig, es gebe Patienten, die man nur online erreichen könne. Auch die Rolle von Patienten generell würde sich durch die Digitalisierung verändern. Für Nutzer bestehe aktuell die Möglichkeit, sich mehr zu beteiligen. Wichtig sei daher, sie durch ausreichende Information und Hilfestellung zu ermutigen, sich stärker in ihre Behandlung einzumischen und mehr Selbstbestimmung auch in gesundheitlichen Fragen zu erlangen.
Der stellvertretender TK-Vorstandvorsitzende Ballast ergänzte, dass man unterschiedliche Patienten über verschiedene Wege erreichen müsse. Die Teilnehmerzahlen von Onlineangeboten seien aktuell zu klein, um schon Aussagen über Versorgung machen zu können. Die langen Wartezeiten für einen Psychotherapieplatz seien jedoch für die TK Grund genug, ihr Angebot zu erweitern. Zur Frage, wer Onlineangebote nutze, führte Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin aus, dass es einerseits ähnliche Nutzer von Internetprogrammen und in unmittelbarer Psychotherapie gebe. Die größte Gruppe seien etwa 40-jährige Frauen mit einem höheren Bildungsniveau. Studienergebnisse zeigten anderseits jedoch auch, dass sich mit Internetprogrammen besondere Zielgruppen erreichen lassen, die bisher kaum Psychotherapie in Anspruch genommen hätten, beispielsweise ältere Menschen mit Kriegstraumata. Auch BPtK-Präsident Munz betonte, dass Psychotherapie in Zukunft diversifiziert werde. Für eine individuelle Indikation, was für welchen Patienten das richtige Angebot sei, seien Psychotherapeuten dabei umso wichtiger. Das Internet ergänze die Arbeit in den Praxen, mache Psychotherapeuten jedoch nicht überflüssig.
Das Podium diskutierte auch die Herausforderungen, die durch das hohe Tempo der Digitalisierung entstehen. „Die Digitalisierung fragt nicht mehr, ob wir das wollen“, erklärte Dr. Franz Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein, deswegen sei es wichtig, die Zukunft aktiv mitzugestalten. In diesem Zusammenhang kritisierte die Abgeordnete Klein-Schmeink, dass die Zulassungsverfahren für Medizinprodukte zu langsam seien, notwendig sei ein schnelleres Verfahren. Auch die Abgeordnete Kathrin Vogler bemängelte, dass eine Telematikinfrastruktur nicht schnell genug zur Verfügung stehe. Es brauche aber dringend zeitnahe Lösungen der gesetzlichen Krankenversicherung, sonst würden kommerzielle Dienstleister diese Angebote übernehmen. Auch Ballast betonte, wie wichtig schnelle Lösungen seien.
Die niedergelassene Psychotherapeutin Sabine Maur berichtete, dass insbesondere jugendliche Patienten ein großes Interesse an digitalen Angeboten hätten. Es brauche dringend Lösungen für den Datenschutz, um Internetprogramme in der psychotherapeutischen Praxis nutzen zu können. Maur wünschte sich, dass Psychotherapeuten sich aktiv an der Gestaltung dieses Prozesses beteiligten.
Insgesamt begrüßte das Podium die Initiative der BPtK, die Entwicklung der Internetangebote für psychische Erkrankungen in die richtigen Bahnen zu lenken. Dabei sei immer eine Abwägung zwischen dem höchstmöglichen Datenschutz und den möglichen Vorteilen für den Patienten erforderlich. BPtK-Präsident Munz fasste zusammen, dass das Internet die Profession in Zukunft noch intensiv beschäftigen werde. Insbesondere drei Dimensionen seien dabei relevant:
- die technische Frage der Realisierbarkeit allgemein, aber insbesondere der Aspekt des höchstmöglichen Datenschutzes;
- die fachliche Frage, wie die neuen Möglichkeiten für Patienten genutzt werden können und sollen sowie
- die Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen durch die Politik, damit die neuen Angebote allen Versicherten zugutekämen.
Mit der Telematikinfrastruktur seien wichtige Grundlagen geschaffen worden, um Datensicherheit und Datenschutz zu gewährleisten. Diese sollte genutzt und dafür weiter ausgebaut werden. Gleichzeitig müsse den Nutzern immer wieder klargemacht werden, dass ein gewisses Risiko bestehen bleibe, dass Gesundheitsdaten missbraucht werden können und eine absolute Datensicherheit nicht möglich sei. Mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen stehe die Profession vor einer wesentlichen Weiterentwicklung ihres Berufs. Nur, indem dieser Prozess aktiv mitgestaltet werde, werde es auch in Zukunft gelingen, Patienten die bestmögliche Versorgung für ihre psychischen Erkrankungen zu bieten. Die Profession sei gefordert, fachlich zu klären, für welche Patienten wann welche Internetprogramme genutzt werden sollten.
Die Innovationen des Internets den Krankenkassen als Marketinginstrument zu überlassen, sei fahrlässig, stellte Munz fest. Die hohen Standards in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen müssten gewahrt werden. Unabhängig von den Farben der Regierungskoalition müsse sich der Gesetzgeber in der nächsten Legislaturperiode mit dem Thema Digitalisierung in der psychotherapeutischen Versorgung auseinandersetzen.
Veröffentlicht am 20. Juli 2017