Patienten erleben Krebsdiagnose häufig traumatisch
BPtK-Veranstaltung: Gute Praxis Psychoonkologie
»Die psychoonkologische Versorgung ist ein unverzichtbarer Bestandteil in der Versorgung krebskranker Patienten“, stellte Vizepräsidentin Monika Konitzer in ihrer Begrüßung der rund 60 Teilnehmer der BPtK-Veranstaltung „Gute Praxis psychotherapeutische Versorgung: Psychoonkologie“ fest, die am 10. Februar 2014 in Berlin stattfand. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) habe sich sowohl im Nationalen Krebsplan als auch bei der Entwicklung der S3-Leitlinie stark engagiert; viele Landespsychotherapeutenkammern arbeiten seit Jahren auf eine bessere psychotherapeutische Versorgung krebskranker Patienten hin und böten hierzu z. B. Fortbildungen an.
S3-Leitlinie „Psychoonkologie“
Mit der Veröffentlichung der S3-Leitlinie „Psychoonkologie“ am 4. Februar 2014 liegen in Deutschland erstmals evidenzbasierte Behandlungsempfehlungen auf hohem methodischem Niveau vor. Der Projektleiter Prof. Dr. Joachim Weis von der Universität Freiburg stellte die wesentlichen Empfehlungen vor. Die Experten seien sich einig, dass den Patienten psychoonkologische Interventionen je nach ihrem individuellen Bedarf in allen Sektoren der Versorgung sowie in allen Phasen der Erkrankung wohnortnah angeboten werden sollten. Dies setze voraus, dass die psychischen Belastungen regelmäßig und wiederholt im Behandlungsverlauf erfasst würden.
Die Behandlung der häufigsten komorbiden psychischen Erkrankungen bei Krebspatienten – affektive Störungen, Angststörungen, Anpassungsstörungen und Suchterkrankungen – sollte gemäß den Empfehlungen der jeweiligen störungsspezifischen Leitlinien, vor allem mit Psychotherapie, erfolgen. Ein Sonderfall seien Patienten mit „subsyndromalen“ Belastungen, d. h. einer hohen und behandlungsbedürftigen psychischen Belastung, die aber (noch) nicht alle Kriterien für eine psychische Erkrankung gemäß ICD erfüllt. Dazu gehörten vor allem Patienten mit einer starken Angst vor dem Fortschreiten der Krebserkrankung (Progredienzangst) oder chronischer Erschöpfung (Fatigue). Auch diesen solle eine psychotherapeutische Behandlung angeboten werden. In der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung scheitere ein solches Angebot unter anderem an den engen Vorgaben der Psychotherapie-Richtlinie, die das Vorliegen einer psychischen Erkrankung voraussetze. Hier bestehe deshalb dringender Anpassungsbedarf, damit die Leitlinienempfehlungen umgesetzt werden können.
Psychoonkologie in der Praxis
Wie eine „leitliniengemäße“ psychoonkologische Behandlung in der Praxis aussehen kann, stellten Dr. Frank Schulz-Kindermann, Psychotherapeut und Leiter der Psychoonkologischen Institutsambulanz am UKE in Hamburg, und Dr. Klaus Lang, niedergelassener Psychotherapeut aus München, in ihren Beiträgen dar. Dabei wurde deutlich, dass die psychotherapeutische Behandlung von Krebspatienten andere Anforderungen an den Psychotherapeuten stellt als die Behandlung von Patienten, die „nur“ an einer psychischen Erkrankung leiden. Anhand der verschiedenen Krankheitsphasen veranschaulichte Schulz-Kindermann die in den jeweiligen Phasen relevanten Themen. Vom ersten Schock nach der Diagnosestellung über die akute Behandlungsphase, in der vor allem der Umgang mit Angst, traumatischen körperlichen Erfahrungen und Distress im Vordergrund stehen, bis zur psychotherapeutischen Begleitung bei Rezidiven und in der Palliativ- und Sterbephase stelle die psychotherapeutische Begleitung der Patienten (auch) eine existenzielle Herausforderung für den Psychotherapeuten dar. Die besondere psychotherapeutische Haltung, die es erfordere, um als Psychotherapeut eine hilfreiche Stütze für den Patienten zu sein, fasste Schulz-Kindermann so zusammen: „Bei der Begleitung des Weges durch Krankheit und Behandlung bedeutet gute psychoonkologische Praxis, das Wagnis einer existenziellen Begegnung einzugehen, beherzt Partei zu ergreifen, zuversichtlich neue Wege der personalen und sozialen Integration zu suchen und der letztendlichen vitalen Desintegration – mit feinem Gespür für deren Sinn – mitfühlend beizustehen“.
Psychotherapeut und Patient – Begegnung auf Augenhöhe
Wie Patienten eine Krebsdiagnose und -behandlung erleben, wurde vor allem durch ein Gespräch mit Esther R. deutlich, die mit 33 Jahren an Krebs erkrankte und von Frank Schulz-Kindermann psychoonkologisch betreut wurde. Von Schulz-Kindermann gefragt, was ihr in den Gesprächen geholfen habe, antwortete sie, sie habe immer gewusst, wenn es ganz schlimm komme, habe sie in ihm einen Gesprächspartner, der sie, ihre Angst und alle anderen Gefühle aushalte. Ihre Angehörigen hätten häufig selbst mit Angst und Trauer zu kämpfen gehabt und hätten sie deshalb nicht so wirksam unterstützen können.
Auf die besondere psychotherapeutische Beziehung, die eine Behandlung von Krebspatienten im Vergleich zu körperlich Gesunden insbesondere in den letzten Krankheitsphasen erfordere, verwies auch Dr. Klaus Lang, der Krebspatienten ambulanten behandelt. Die Begegnung finde „auf Augenhöhe“ statt, da der Wissensvorsprung des Therapeuten bei den existenziellen Fragen und Krisen einer lebensbedrohlichen Erkrankung geringer sei als z. B. bei der Behandlung von Depressionen, in der der Psychotherapeut als Experte für psychische Erkrankungen dem Patienten voraus sei.
Die ambulante Behandlung erfordere auch eine dosierte Selbstöffnung des Therapeuten, der seine Betroffenheit, Ratlosigkeit und Trauer nicht komplett verbergen sollte. Das kontinuierliche Beziehungsangebot dürfe auch vor dem Krankenhaus nicht haltmachen. Wenn seine Patienten dies wünschten, biete er ihnen an, sie auch im Krankenhaus zu besuchen und psychotherapeutisch zu unterstützen.
Leistung für Krebskranke zu eng begrenzt
Abschließend wies Klaus Lang noch auf die Grenzen der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung hin. Die psychotherapeutische „Begleitung“ sei keine Indikation für eine ambulante Psychotherapie, wohl aber die kognitive Therapie „dysfunktionaler“ Befürchtungen bei Atemnot mit Erstickungsangst. Die psychotherapeutische Begleitung von Krebspatienten müsste grundsätzlich selbstverständlicher werden, so sei es in Bayern z.B. gelungen im DMP Brustkrebs Psychotherapie ohne Antrag und Kontingentierung zu verankern. Es sei zu hoffen, dass die S3-Leitlinie „Psychoonkologie“ dies grundsätzlich befördere.
Veröffentlicht am 28. Februar 2014