Pharmaindustrie in der Innovationskrise
Auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vom 23. bis 26. November sprach der Past-President der DGPPN, Prof. Dr. Mathias Berger von der Universität Freiburg, über die Rolle der Psychotherapie in der Psychiatrie.
Mit dem Untertitel seines Vortrags "Psychotherapie in der Psychiatrie - Herz oder Appendix" veranschaulichte Prof. Berger den neuen Stellenwert der Psychotherapie in der Psychiatrie. Die Psychotherapie könne nur als Herzstück der Psychiatrie verstanden werden.
Der Psychotherapie komme in der Psychiatrie auch deshalb eine stärkere Bedeutung als in der Vergangenheit zu, da die über lange Jahre proklamierten Fortschritte in der Pharmakotherapie, z. B. in Zusammenhang mit der Entwicklung der neuen Antidepressiva, nach dem heutigen Erkenntnisstand in Frage gestellt werden müssten.
Die Pharmaindustrie befände sich in einer Innovationskrise, was insbesondere auch für die Psychopharmaka gelte. Aktuelle Metaanalysen zur Wirksamkeit der neuen Antidepressiva, die auch die Vielzahl der nicht publizierten Studien mit einschlossen, konnten keine Überlegenheit der SSRI und SNRI gegenüber den herkömmlichen trizyklischen Antidepressiva zeigen. Der erzielte Gewinn beschränke sich lediglich auf die Möglichkeit, weitere Therapieoptionen mit einem anderen Nebenwirkungsspektrum zu nutzen. Hinsichtlich des eigentlichen antidepressiven Effekts sei man jedoch keinen Schritt vorangekommen. Substanzielle Fortschritte seien hier auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Umso wichtiger sei es daher, die Fortschritte in der Psychotherapieforschung, wie beispielsweise bei der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) nach Linehan oder der Interpersonellen Therapie (IPT) in der Patientenversorgung zu nutzen.
Die neue Weiterbildungsordnung für den Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie habe dem auch verstärkt Rechnung getragen. Sie erlaube seiner Ansicht nach, dass die neuen Erkenntnisse der Psychotherapieforschung verstärkt aufgegriffen und mit einer größeren Unabhängigkeit von den Therapieschulen in die Weiterbildung integriert werden können. Bedeutsame Impulse für die Psychotherapie erwarte er sich zukünftig insbesondere von den neuen Erkenntnissen der Neurowissenschaften. Eine Neuropsychotherapie, wie sie von Klaus Grawe vorgedacht wurde, sei für ihn ein spannendes Modell der Zukunft, das sich daraus vielleicht schon in 10 Jahren entwickeln könnte.
Veröffentlicht am 25. November 2005