Psychische Gesundheit neue wesentliche Herausforderung für den Arbeitsmarkt
OECD-Bericht zu den Kosten von psychischen Erkrankungen
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development – OECD) sieht in den psychischen Erkrankungen eine neue wesentliche Herausforderung für den Arbeitsmarkt. In dem Bericht „Sick on the Job? Myths and Realities about Mental Health and Work” betont die OECD die hohen Kosten, die durch psychische Erkrankungen entstehen. Psychische Erkrankungen verursachen danach ein geringeres Angebot an Arbeitskräften, höhere Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit sowie verringerte Arbeitsproduktivität. Die OECD wertete die Daten aus zehn Industrieländern aus. Der vollständige Bericht erscheint am 26. Januar 2012.
Die Studien zeigen, dass eine geregelte Arbeitstätigkeit mit besserer psychischer Gesundheit einhergeht. Arbeitsplätze mit hoher psychischer Beanspruchung führen allerdings auch häufiger zu psychischen Erkrankungen. Arbeitslosigkeit – insbesondere Langzeitarbeitslosigkeit – wirkt sich gravierend auf die psychische Gesundheit aus. Für arbeitslose Menschen mit psychischen Erkrankungen ist es schwieriger, eine neue Anstellung zu erhalten bzw. diese über einen längeren Zeitraum halten zu können. „In Zukunft ist es wichtig, Konzepte zu entwickeln, wie man psychisch kranke Menschen bei der Neuaufnahme und Wiedereingliederung an ihrem Arbeitsplatz nachhaltig unterstützen kann“, stellte Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, fest.
In den untersuchten OECD-Staaten leidet jeder fünfte Arbeitnehmer unter psychischen Erkrankungen. Drei Viertel der Betroffenen geben an, dieser Zustand beinträchtige ihre Produktivität und das Arbeitsklima. Die Studie widerlegt die verbreitete Annahme, Menschen mit psychischen Problemen könnten nicht am Erwerbsleben teilhaben. Zwar liegt die Beschäftigungsquote psychisch Kranker etwa 10 bis 15 Prozentpunkte unter jener von Menschen ohne Erkrankung, aber 55 bis 70 Prozent gehen dennoch einem Beruf nach. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass psychisch kranke Menschen arbeitslos sind, doppelt so hoch wie bei gesunden Menschen. Auch die enorme Bedeutung psychischer Erkrankungen bei Frühberentungen und Invaliditätsansprüchen bestätigt der OECD-Bericht: Zwischen einem Drittel und der Hälfte aller neuen Invaliditätsrenten sind in den untersuchten Ländern mittlerweile auf psychische Krankheiten zurückzuführen.
Der OECD-Bericht fordert von den Arbeitgebern, für Arbeitsbedingungen zu sorgen, die der psychischen Gesundheit förderlich sind. Krankschreibungen sollten systematisch beobachtet werden. Bei längeren Krankschreibungen sollte frühzeitig Unterstützung angeboten werden. Diskriminierung und Stigmatisierung aufgrund psychischer Erkrankungen müssen unterbunden werden.
Das Sozialhilfesystem sollte sich speziell bei Langzeitarbeitslosen stärker auf die Bedürfnisse psychisch kranker Menschen einstellen und die Angebote darauf abstimmen. Auch die Kooperation mit den Arbeitgebern zur Vermittlung psychisch kranker Menschen in das Erwerbsleben sollte verbessert werden. Für die Gesundheitssysteme der Länder fordert die OECD, die Behandlungsraten für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erhöhen. Leistungen des Gesundheitswesens und der Arbeitsförderung sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Das Rentensystem sollte die individuellen Probleme von Menschen mit psychischen Erkrankungen präziser erfassen und ggf. in diesem Kontext neue Anreize für die Integration und Reintegration in den Arbeitsmarkt setzen. Bei sehr jungen Menschen sollten dauerhafte Renten wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich kritisch geprüft werden. Eine besondere Bedeutung kommen der Früherkennung und Prävention psychischer Erkrankungen zu (zum Beispiel bei verhaltensauffälligen Kindern in Schulen). Hierbei sei das Bildungssystem aufgefordert, diesen Menschen bessere Bildungsabschlüsse zu ermöglichen. Generell sollten für junge Menschen multidisziplinäre Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden, beispielsweise bei der Aufnahme der ersten Erwerbsstätigkeit.
Veröffentlicht am 20. Dezember 2011