Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen fördern
Expertenhearing von Bündnis 90/Die Grünen
Kinder und Jugendliche brauchen eine langfristige Strategie der Gesundheitsförderung. Das ist das Ergebnis eines Expertengesprächs zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, das Bündnis90/Die Grünen anlässlich des 20. Jahrestages der Ottawa-Charta in Berlin veranstaltete. Eine Gesundheitspolitik, die Kinder und Jugendliche besser fördern wolle, benötige insbesondere:
präventive Angebote, die möglichst früh ansetzen, z. B. während der Schwangerschaft,
eine Konzentration auf wenige, aber gut evaluierte Programme,
eine langfristige Finanzierung, die die befristete Projektförderung beendet,
eine Vernetzung von Jugendhilfe und Bildungs- und Gesundheitssystem.
Die Teilnehmer kritisierten die mangelnde Transparenz in der Jugendhilfe. Die Kommunen stellten sich häufig nicht ihrer Verantwortung und trockneten die Hilfen für Kinder und Eltern sogar langsam aus. Gefordert seien allerdings auch die gesetzlichen Krankenkassen. Solange jede Kasse ihr eigenes Konzept habe, bleibe es bei der Zersplitterung in der Gesundheitsförderung. Ein erneuter Anlauf beim Präventionsgesetz müsse vor allem den Flickenteppich in der Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen beheben.
Auf ihrer ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung am 21. November 1986 in Ottawa hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Charta mit der Forderung nach "Gesundheit für alle" bis zum Jahr 2000 verabschiedet. Anlässlich dieses Jahrestages hatten sich die Gesundheitspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag mit dem Thema "Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Spiegel der Ottawa-Charta" befasst. Biggi Bender, Elisabeth Scharfenberg und Dr. Harald Terpe diskutierten gemeinsam mit Experten am 11. Dezember in Berlin.
Ausgangspunkt des Gesprächs war die jüngste Erhebung des Robert-Koch-Instituts (KIGGS-Studie) zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Heike Hölling beschrieb, dass bei Kindern und Jugendlichen psychische Krankheiten zunehmen. Darunter befänden sich vor allem Störungen der Entwicklung, der Emotionalität und des Sozialverhaltens.
Thomas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen, betonte, dass es in Deutschland bereits viele gut evaluierte Modelle zur Förderung psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen gebe. Was fehle, sei Nachhaltigkeit. Charakteristisch seien ein Flickenteppich unterschiedlichster Ansätze und ein "Sich-Hangeln" von Projektförderung zu Projektförderung. Dies bestätigte Ramona Hamann, Psychotherapeutin bei Thessa e.V. in Berlin, ein gemeinnütziger freier Träger der Jugendhilfe, der sich insbesondere mit den Problemen der Kinder psychisch kranker Eltern befasst.
Den Stellenwert der Schule als "sozialer Anker" unterstrich Prof. Dr. Peter Paulus, Universität Lüneburg. Michael Bellwinkel, Bundesverband der Betriebskrankenkassen in Essen, hob ebenfalls hervor, wie wichtig settingorientierte Ansätze in Kindertagesstätten und Schulen seien, um Kinder gesund zu erhalten. Beide Experten befürworteten ganzheitliche Ansätze, die sich nicht auf eine Krankheitsart fokussieren, sondern insgesamt das Ziel haben, Jugendliche "stark zu machen".
Dr. Christa Schaff, Vorsitzende des Bundesverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, und Peter Lehndorfer, Bundespsychotherapeutenkammer, betonten, wie wichtig die Eltern für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen seien. Es komme darauf an, z. B. durch aufsuchende Hilfen, Eltern in einkommensschwachen und bildungsfernen Schichten zu unterstützen. BPtK-Vorstand Lehndorfer betonte: "Eltern wollen gute Eltern sein, sie brauchen dafür aber manchmal Hilfe."
Veröffentlicht am 12. Dezember 2006