Psychologie kriegstraumatisierter Menschen
Fachsymposium anlässlich des Deutschen Psychologie Preises 2019
Am 29. November 2019 wurde Prof. Dr. Thomas Elbert von der Universität Konstanz in Berlin der Deutsche Psychologie Preis 2019 verliehen. „Mit dem Preis würdigen wir seine einzigartige Forschung, in der er neuropsychologische Grundlagenwissenschaften mit der Entwicklung psychotherapeutischer Innovationen für den Einsatz in Krisengebieten verknüpft“, erklärte Dr. Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), für die vier Trägerorganisationen des Psychologiepreises.
Die Forschung von Prof. Elbert leiste einen wichtigen Beitrag, die Ursachen menschlicher Aggression und ihre Wirkungen auf die Entwicklung von Ängsten, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen zu verstehen. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend habe er psychotherapeutische Methoden zur Behandlung von traumatisierten Gewaltopfern in Konflikt- und Krisenregionen entwickelt. Das Symposium beleuchtete diese verschiedenen Facetten, die der Preisträger mit seiner Arbeit vorangebracht hat, näher.
Dominik Bartsch, Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars in Deutschland, beschrieb den hohen psychotherapeutischen Bedarf bei vielen geflüchteten Menschen, der in den Krisenregionen jedoch nicht annähernd gedeckt werden könne. Die Nichtregierungsorganisationen könnten mit ihren Mitteln bestenfalls die Grundbedürfnisse in den Flüchtlingslagern decken. Dabei müssten Flüchtlinge weitergehende kultursensible Hilfen erhalten mit dem Ziel, sie in die jeweilige Gesellschaft zu integrieren. Bei den oft mehrfach traumatisierten Menschen sei Psychotherapie unverzichtbar. Das gelte auch für Täter, wie Kindersoldaten, um Zyklen der Gewalt zu durchbrechen. Grundsätzlich empfahl er, die Handlungsfähigkeiten der Flüchtlinge nicht zu verkennen und ihre Resilienz zu stärken. „Wir sollten nicht nur über Flüchtlinge, sondern mit Flüchtlingen reden“, lautete sein Plädoyer.
Prof. Dr. Anke Höffler, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Universität Konstanz, zeigte die ökonomische Perspektive bei der Bewertung der Folgen von Gewalt. Kollektive Gewalt durch Kriege und Terrorismus verursache etwa zwei Prozent der weltweiten Gewaltkosten. Den weitaus größten Anteil habe zwischenmenschliche Gewalt. Wenngleich dieses Forschungsgebiet noch in den Anfängen stecke, könne bereits das große ökonomische Potenzial erfolgreicher Gewaltprävention nachgewiesen werden. „Gewaltprävention hat relativ geringe Kosten und deshalb gibt es eine gute Kosten-Nutzen-Relation“, erklärte Höffler. Für das Vereinigte Königreich konnte gezeigt werden, dass der ökonomische Nutzen viermal höher sei als die Kosten.
Langfristige Folgen von früher Traumatisierung
Gewalt treffe Kinder besonders stark. „Missbrauch, Misshandlung, Vernachlässigung und Verlust in der Kindheit hinterlassen biologische Narben in der Stressreaktivität, im Immunsystem, in der Hirnstruktur und -funktion und im Erbgut. Sie gehen mit einem höheren Risiko für Depression, Angststörungen, Substanzmissbrauch, Suizid, chronische Schmerzen, kardiovaskuläre Krankheiten, metabolische Krankheiten und Krankheiten des Immunsystems einher“, fasste Professorin Christine Heim, Leiterin des Instituts für Medizinische Psychologie an der Charité Berlin, die Studienlage zusammen. Psychotherapie müsse sich an den sensiblen Phasen der Hirnentwicklung orientieren. Krankheitsprävention bedeute daher ausreichende psychotherapeutische Angebote für traumatisierte Kinder und wegen der epigenetischen Effekte auch für traumatisierte Schwangere. Das gelte für oft mehrfach traumatisierte Flüchtlinge in besonderer Weise.
»Chronischer, exzessiver und traumatischer Stress hinterlassen immer und vermutlich in allen Zellen unseres Körpers Spuren“, erklärte Prof. Dr. Iris-Tatjana Kolassa, Leiterin der Abteilung Klinische und Biologische Psychologie der Universität Ulm. „Je höher die traumatische Stresslast, desto höher das Risiko für psychische und physische altersassoziierte Erkrankungen“. Vor allem langlebige Zellen wie die Gedächtniszellen des Immunsystems und Nervenzellen seien besonders gefährdet, geschädigt zu werden und im schlimmsten Falle abzusterben. Diese Schädigungen könnten auch die Ursache für hohe Rückfallquoten und niedrige Behandlungserfolge bei komplexen Traumatisierungen sein. Psychotherapie könne dazu beitragen, Zellschädigungen zu senken. Daneben könne die Prävention von Stress und Überforderung ebenso wie von Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit – neben einer zeitnahen Psychotherapie – gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Kultursensible und transgenerationale Psychotherapie
Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan, promovierter Psychologe, Soziologe und Orientalist an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, zeigte eindrücklich am Schicksal der Jesiden im Nordirak die besonderen Anforderungen an eine kultursensible Psychotherapie für Gewaltopfer in Krisengebieten. An der Universität Duhok konnte er ein Institut für Psychotherapie und Psychotraumatologie ins Leben rufen, in dem Absolventen eines Psychotherapiestudiums eine an den deutschen Standards orientierte Psychotherapeutenausbildung erhalten. „Auf diese Weise können wir Therapie an den kulturellen Kontext anpassen“, erläuterte Kizilhan. Neben der Kultursensibilität spielten aber auch transgenerationale Effekte eine große Rolle. Psychotherapie dürfe sich nicht auf das individuelle Trauma beschränken, sondern müsse auch jahrhundertelange kollektive Traumatisierungen wie beim Volk der Jesiden berücksichtigen.
Einen anderen Weg, kriegstraumatisierte Menschen zu erreichen, untersuchte Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin. Sie entwickelt und evaluiert Apps mit psychotherapeutischen Angeboten für geflüchtete und traumatisierte Menschen. Wie groß der Bedarf ist, habe eine App zur Internettherapie gezeigt, die für Frauen in Saudi-Arabien entwickelt, aber rasch in vielen weiteren arabischen Regionen genutzt worden sei. „Heute gibt es eine Fülle von Angeboten zur psychischen Gesundheit, die aber kaum überprüft sind“, erklärte sie die Notwendigkeit, die Wirksamkeit von Therapie-Apps genauer zu untersuchen. Erste Ergebnisse ihrer Evaluation legten nahe, dass es wichtig sei, die Nutzer in allen Phasen der Entwicklung zu beteiligen, um die kulturelle Angemessenheit sicherzustellen. Hier nutze man die Möglichkeiten noch nicht, die es heute bereits gebe.
Zyklen der Gewalt durchbrechen
In seinem Vortrag gab der Preisträger weitere Antworten auf die Frage, wie Zyklen der Gewalt durchbrochen werden können. Dabei seien die Ursachen klar. „Gewalt und nur Gewalt bedingt Gewalt, die Forschungslage ist hier eindeutig“, brachte es Prof. Elbert auf den Punkt. In einer sensiblen Phase könne beinahe jeder durch eine fehlgeleitete Sozialisation dazu gebracht werden, Töten als Lust zu erleben. Eine aggressive Umwelt, vielleicht noch unterstützt durch Drogen oder Propaganda, schalte moralische Barrieren aus. Aber auch mit diesen moralischen Barrieren könnten Menschen gewalttätig werden, wenn sie z. B. durch Gewalt traumatisiert wurden und – steckengeblieben in ihrer Traumatisierung – bei entsprechenden Reizen gewalttätig reagieren. Die Ressourcen, die geschätzt 100.000 Kriegstraumatisierten durch eine Psychotherapie zu heilen, gebe es nicht. Für den Einsatz in Krisengebieten habe er deshalb mit der narrativen Expositionstherapie eine Kurzintervention mitentwickelt, mit der Traumaopfer und auch Täter wie z. B. Kindersoldaten mit den in Krisengebieten verfügbaren Mitteln in die Lage versetzt werden können, in ihrem sozialen Umfeld ohne Stigma respektvoll und mit verringerter Aggressionsbereitschaft zu leben.
Prof. Dr. Frank Rösler, emeritierter Neuropsychologe an der Universität Hamburg, würdigte den Preisträger in seiner Laudatio als eine Forscherpersönlichkeit, die viel zum Verständnis der Ursachen und Wirkungen von Traumaerkrankungen und ihrer Behandlung beigetragen habe. Dabei lag der Fokus von Elbert zunächst auf den Veränderungen der funktionalen Architektur des Gehirns und seiner Aktivität in Abhängigkeit von Lernen und Erfahrungen. Die Ableitung geeigneter Therapiemaßnahmen markiere dann die zweite Facette seines Forschungsprogramms. Dabei beindrucke sowohl die schiere Quantität von Arbeiten als auch die Vielfalt an Themen. „Seine Arbeiten haben einen hohen Impact, Elbert ist einer der Meist-Zitierten in seinem Feld“, fasste Rösler zusammen. Sowohl in der Labor- als auch in der Feldforschung habe er Pionierarbeit geleistet, beim Einsatz in den Kriegsregionen Mut bewiesen und in seinen gemeinnützigen Tätigkeiten hohes gesellschaftliches Engagement gezeigt.
Veröffentlicht am 09. Dezember 2019