PsychVVG soll Weichen für eine bessere Qualität stellen
BPtK-Symposium „Weiterentwicklung des Psych-Entgeltsystems“
Mit dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung der Versorgung und Vergütung psychiatrischer und psychosomatischer Leistungen (PsychVVG) hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die seit Jahren kontrovers geführte Debatte um die Einführung eines pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) vorerst beendet. Nach dem PsychVVG soll es grundsätzlich bei einem Budgetsystem bleiben. Gleichzeitig sollen aber die Weichen für mehr Leistungsgerechtigkeit und Transparenz sowie eine bessere Versorgungsqualität in den Kliniken gestellt werden. Auf dem Symposium der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) "Weiterentwicklung des Psych-Entgeltsystems" am 23. Juni 2016 in Berlin diskutierte Bundesgesundheitsminister Gröhe seine Pläne mit der Fachöffentlichkeit.
Reform überfällig
"Diese Reform ist längst überfällig", betonte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz in seiner Begrüßung. Nach der BPtK-Studie "Qualität der Versorgung in Psychiatrie und Psychosomatik" erfüllen nur drei von vier Kliniken in der Allgemeinpsychiatrie die veralteten Personalvorgaben der Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) zur ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung. "In der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind es noch weniger", erläuterte Munz weiter. Für die Studie hatte die BPtK die Daten zur Personalausstattung aus den Qualitätsberichten psychiatrischer und psychosomatischer Kliniken und Fachabteilungen in drei Bundesländern - Bayern, Hamburg und Sachsen - ausgewertet und mit den Vorgaben der Psych-PV verglichen. Eklatant ist danach auch die pflegerische Unterversorgung. Die Vorgaben der Psych-PV erfüllt in der Pflege nur knapp die Hälfte der Häuser. Die BPtK begrüßte deshalb besonders den im PsychVVG vorgesehenen Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), verbindliche Personalvorgaben für eine leitlinienorientierte Versorgung zu erarbeiten und auch deren Umsetzung zu überprüfen.
Empirische und normative Elemente des neuen Vergütungssystems
Ihm sei es ein besonderes Anliegen, erläuterte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zu Beginn seiner Rede, die Versorgung psychisch kranker Menschen rund 40 Jahre nach der Psychiatrie-Enquête nach modernen Standards weiterzuentwickeln.
Der Minister spannte einen weiten Bogen von der Reform des Psych-Entgeltsystems bis zu der noch dieses Jahr anstehenden Reform der Psychotherapeutenausbildung. Kernpunkt des PsychVVG sei die Kombination empirischer und normativer Elemente in einem Entgeltsystem. An der empirischen Ermittlung eines Entgeltkatalogs als Basis für die Leistungsvereinbarung bzw. Budgetermittlung der Krankenhäuser halte er fest. Gleichzeitig seien im Gesetz normative Elemente zur Sicherung der Versorgungsqualität vorgesehen. Der Gesetzentwurf sei ein "guter Rahmen, um Ressourcenkonflikte fair auszutragen". Dabei müsse eine angemessene Personalausstattung sichergestellt werden, um eine gute Versorgungsqualität in den Krankenhäusern anbieten zu können. Deshalb sei es auch der richtige Weg, verbindliche Personalvorgaben in einer Qualitätssicherungs-Richtlinie durch den G-BA erarbeiten zu lassen. Keine Alternative sei es, die Personalausstattung wieder in die Hände der Verhandlungspartner zu geben oder zum Selbstkostendeckungsprinzip unter den normativen Bedingungen einer angepassten Psych-PV zurückzukehren.
Stationsäquivalente Leistungen oder sektorenübergreifende Weiterentwicklung
Das PsychVVG könne aber nicht alles regeln, führte Minister Gröhe weiter aus. Die Einführung einer stationsäquivalenten Behandlung sei nur ein erster Impuls in Richtung einer stärker sektorenübergreifenden Versorgung. Für eine kleine Patientengruppe, die zwar eine intensive Behandlung, aber dafür kein Bett in einer Klinik benötige, strebe das Gesetz eine "Krankenhausbehandlung zu Hause" an. Für eine umfassende sektorenübergreifende Weiterentwicklung müssten stationärer und ambulanter Sektor gemeinsame Lösungen entwickeln. Das Ziel des Gesetzes sei es nicht, "die Dinge ein für alle Mal" zu regeln.
Die BPtK fordere an diesem Punkt jedoch weitergehende Lösungen, erläuterte Munz. Bereits im PsychVVG sei die Einführung einer ambulanten Komplexleistung für schwer psychisch kranke Menschen notwendig. Viele Patienten der Psychiatrie und Psychosomatik müssten häufig nur deshalb im Krankenhaus behandelt werden, weil ausreichend intensive ambulante Versorgungsangebote fehlten. Auch Dr. Stefan Rutz von der Barmer GEK äußerte Skepsis, inwieweit die Einführung einer stationsäquivalenten Behandlung mit ihren hohen Hürden ein praxistauglicher Ansatz sei. Er schlug vor, in den neuen § 115d PsychVVG auch stationsersetzende Leistungen durch die Psychiatrischen Institutsambulanzen einzubeziehen.
Budget- statt Preissystem
Die Abkehr vom ursprünglich vorgesehenen PEPP-Preissystem und die Rückkehr zu einem Budgetsystem wurden auf dem BPtK-Symposium sowohl von Leistungserbringern als auch Kostenträgern grundsätzlich begrüßt. Während Dr. Stefan Rutz für die Krankenkassen jedoch steigende Budgets und Ausgaben befürchtete, sah Urban Roths von der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) die Gefahr, dass der geplante Krankenhausvergleich in den Budgetverhandlungen einen "Kellertreppeneffekt" bewirken könne.
Die psychiatrischen Fachverbände forderten weiterhin eine strikte Trennung von Budgetfindung und Abrechnungssystem. Grundlage für die Budgetermittlung dürften nicht die Leistungen eines Krankenhauses auf der Basis eines empirisch ermittelten Entgeltkatalogs sein. Das Maß für das Budget sollten die regionalen Versorgungsstrukturen und der Aufwand für die Versorgung sein, forderte Prof. Dr. Arno Deister, President Elect der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Damit blieben die psychiatrischen Fachverbände bei ihrer Position, die Krankenhausbudgets normativ zu ermitteln und sich dabei weitgehend am Status quo zu orientieren.
Prof. Dr. Renate Schepker, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, verdeutlichte, wie wichtig es sei, strukturelle Besonderheiten in der Versorgung zu berücksichtigen. Kinder und Jugendliche hätten - verbrieft in der UN-Kinderrechtskonvention - ein besonderes Anrecht auf ihnen angemessene Versorgungsstrukturen. Dies müsse im Gesetzentwurf stärker berücksichtigt werden. Mit einer einfachen Übernahme der Regelungen und Strukturen aus der Erwachsenenpsychiatrie sei es nicht getan, betonte Schepker.
Transparenz und Leistungsgerechtigkeit
Mehr Leistungsgerechtigkeit und größere Transparenz in Psychiatrie und Psychosomatik erfordern zunächst einmal eine adäquate Abbildung der Leistungen der Kliniken im Entgeltkatalog. Dieser BPtK-Position stimmte auch Urban Roths von der DKG zu. Der PEPP-Entgeltkatalog diene jetzt nicht mehr der Preisfindung, sondern der Leistungsvereinbarung, und müsse deshalb auch leistungsbezogen ausgestaltet werden.
Einigkeit bestand darin, dass der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) hierfür überarbeitet werden muss. Unterschiedliche Auffassungen bestanden jedoch in Bezug darauf, wie dies genau ausgestaltet werden soll. Die Vorschläge reichten von Verschlankung bis zur systematischen Neukonzeption. Die BPtK hielt deshalb eine gesetzliche Klarstellung zur Entwicklung aussagkräftiger Leistungsbeschreibungen für eine leitlinienorientierte Versorgung für notwendig. Prof. Dr. Johannes Kruse, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie, unterstrich die Notwendigkeit, von mehr Transparenz über die Leistungen in den Kliniken.
Verbesserte Personalausstattung
Einigkeit bestand bei allen Beteiligten, dass eine bessere Versorgungsqualität in den Einrichtungen nur auf Basis einer besseren Personalausstattung gelingen könne. Prof. Dr. Michael Löhr von der Deutschen Fachgesellschaft für Psychiatrische Pflege (DFPP) begrüßte deshalb verbindliche Personalstandards und auch eine Nachweispflicht, dass diese Standards eingehalten werden. Die Pflege habe in den vergangenen Jahren besonders unter Sparmaßnahmen und Stellenabbau zu leiden gehabt. Die Personalausstattung sei jedoch gerade in der Psychiatrie und Psychosomatik ein Qualitätsindikator. Gute Strukturqualität sei hier annähernd mit guter Ergebnisqualität gleichzusetzen. Eine Nachweispflicht für die Personalausstattung schaffe mehr Transparenz und verhindere den zweckfremden Einsatz von Solidargeldern der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Einhaltung der Personalvorgaben müsse auch gegenüber Patienten und Einweisern in den Qualitätsberichten der Krankenhäuser dargelegt werden. Offen blieb in der Diskussion, wie teuer eine bessere Personalausstattung werde. Anzunehmen sei jedoch, dass die 60 Millionen Euro jährlich, die im Gesetz genannt werden, nicht ausreichen, um flächendeckend eine leitlinienorientierte Versorgung zu finanzieren.
Vom Referenten- zum Kabinettsentwurf
In der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen Bundestagsabgeordnete aus allen Fraktionen zum PsychVVG Stellung. An den verbindlichen Vorgaben für die Personalausstattung in Kombination mit einer Nachweispflicht sei nicht zu rütteln, stellte Dirk Heidenblut (MdB, SPD) klar. Birgit Wöllert (MdB, DIE LINKE) ergänzte, dass aber auch Transparenz über die damit realisierten Leistungen notwendig sei, um die Versorgungsqualität in den Krankenhäusern beurteilen zu können. Nach Ansicht von Ute Bertram (MdB, CDU/CSU) ist der G-BA der richtige Ort, um neue Personalvorgaben zu erarbeiten. Auch eine Überarbeitung der Psych-PV führe nicht zu anderen Ergebnissen.
Unterschiedlich blieb die Einschätzung der stationsäquivalenten Behandlung. Maria Klein-Schmeink (MdB, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hielt diese neue Leistung nur für einen Einstieg in eine umfassende Reform der Versorgung psychisch kranker Menschen. Eine wirklich sektorenübergreifende Weiterentwicklung müsse den ambulanten Sektor mit einbeziehen. Notwendig seien konkrete Ziele zur Gestaltung der Versorgung psychisch kranker Menschen und davon abgeleitete Maßnahmen und ihre schrittweise Realisierung. Ute Bertram und Dirk Heidenblut hielten ihr entgegen, dass die Regierungskoalition gerade zur Förderung innovativer Versorgungskonzepte viel tue, z. B. durch den neuen Innovationsfonds. BPtK-Vorstand Dr. Andrea Benecke machte darauf aufmerksam, dass ein Abbau von Betten und eine stärkere ambulante Ausrichtung der Versorgung psychisch kranker Menschen nicht ohne eine Reform der Bedarfsplanung zu stemmen sei. Bisher fehlten ambulant ausreichende Kapazitäten, aber auch geeignete Rahmenbedingungen, um Krankenhausbehandlungen zu vermeiden.
Veröffentlicht am 01. Juli 2016