Qualität internetbasierter Behandlungsangebote sichern
BPtK-Round-Table: Medien in der psychotherapeutischen Versorgung
In der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen sind inzwischen viele Beratungs- und Behandlungsangebote im Internet oder per App verfügbar. Viele dieser Onlineprogramme sind mittlerweile bei verschiedenen psychischen Erkrankungen erprobt und untersucht. Sie werden sowohl als Selbsthilfe als auch mit therapeutischer Unterstützung genutzt. Die Qualität solcher Internetangebote ist für den Laien und Erkrankte nicht zu beurteilen. Außerdem sind manche nicht ohne Risiken, insbesondere wenn es um Sorgfaltspflichten bei der Diagnosestellung und Behandlung geht, z.B. bei der Einschätzung von Suizidrisiken.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veranstaltete deshalb am 1. Dezember 2016 in Berlin einen Round-Table, um eine Gelegenheit zu schaffen, sich mit Experten über den aktuellen Stand der Forschung sowie die versorgungs- und berufspolitischen Aspekte von Beratungs- und Behandlungsangeboten im Internet auszutauschen. An der Veranstaltung nahmen Vertreter der Landespsychotherapeutenkammern und der Ausschüsse "Psychotherapeuten in Institutionen" sowie "Psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen" teil.
Krankenkassen bieten immer öfter Onlineprogramme an
"Neue Medien spielen mittlerweile in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle", stellte BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz fest. In seiner Einführung beschrieb er die rasant wachsende Anzahl von Gesundheits-Apps, die sich jeder im Internet herunterladen könne. Daneben gebe es inzwischen auch immer mehr spezifische Onlineangebote bei psychischen Beschwerden und Erkrankungen, deren Wirksamkeit in Studien untersucht werde. "Die Anzahl der Studien, die die Wirksamkeit von mediengestützten Interventionen belegen, ist groß", erläuterte Munz. "Auch Krankenkassen stellen ihren Versicherten immer öfter Beratungs- und Therapieprogramme bei psychischen Beschwerden zur Verfügung." Informationen über Risiken und Schäden durch diese Onlineprogramme lägen jedoch bisher kaum vor. Auch wisse man zu wenig über die Nutzer, die solche Internettherapien frühzeitig beenden.
Nicht immer sei klar, was überhaupt angeboten werde. Einige Anbieter sprächen bewusst von "Beratung", um sich nicht mit den strengen Qualitätsanforderungen von "Psychotherapie" auseinandersetzen zu müssen. Deshalb sei es eine dringende gesundheitspolitische Aufgabe, die Qualität solcher Internetangebote sicherzustellen. Nutzer müssten erkennen können, ob die Wirksamkeit und die Risiken dieser Programme überprüft seien. Bislang fehle es an konsentierten Qualitätskriterien, anhand derer Patienten, Psychotherapeuten und Ärzte die Angebote beurteilen können.
BPtK-Präsident Munz unterschied neue Medien danach, ob sie hauptsächlich der Information dienen oder der Kommunikation, wie z. B. die Videosprechstunde oder psychotherapeutische Behandlungen per E-Mail. Mediengestützte Interventionen ließen sich so entsprechend der Intensität des therapeutischen Kontakts einteilen.
Intensität des therapeutischen Kontakts
Bei webbasierten Selbsthilfeprogrammen werde das Internet als Informationsmedium genutzt, um auch komplexere Inhalte in systematischer Form anzubieten. Dabei sei in vielen Fällen ein therapeutischer Kontakt nicht vorgesehen. Webbasierte Selbsthilfeprogramme ließen sich mit einer Bibliotherapie vergleichen, bei der Selbsthilfebücher oder auch audiovisuelle Beiträge zu Selbsthilfezwecken eingesetzt werden.
Andere Angebote nutzten Telefon, E-Mail oder webbasierte Programme als Kommunikationsmedium. Hierbei könne die Intensität und Regelmäßigkeit des therapeutischen Kontakts mit dem unmittelbaren Kontakt in einer psychotherapeutischen Praxis durchaus vergleichbar sein.
Eine Mischung aus Information und Kommunikation finde sich bei Angeboten der therapeutisch angeleiteten Selbsthilfe oder den "Blended Therapies", bei denen Therapiesitzungen z. B. in einer psychotherapeutischen Praxis mit Internetangeboten kombiniert würden.
BPtK-Präsident Munz betonte, dass nicht nur die Nutzer und Patienten über die Qualität von Onlinemedien zur Beratung und Behandlung von psychischen Erkrankungen besser informiert werden müssten. Auch die Kolleginnen und Kollegen bräuchten Orientierung über den Einsatz der neuen Medien in der psychotherapeutischen Versorgung. Die BPtK erarbeite deshalb einen BPtK-Standpunkt, der eine berufspolitische Einschätzung insbesondere der webbasierten Beratungs- und Behandlungsangebote bieten soll.
Diagnostik und Indikationsstellung im persönlichen Kontakt
BPtK-Justiziar Prof. Dr. Martin H. Stellpflug stellte dar, ob und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen Onlinetherapie durchgeführt werden könne. Dabei sei zunächst zu klären, ob es sich um eine Heilbehandlung handle. Hier komme es nicht darauf an, ob eine bestimmte Onlineintervention vom Anbieter als "Beratung", "Selbsthilfe" oder "Behandlung" bezeichnet würde, sondern ob die Inhalte den Kriterien einer Heilbehandlung entsprächen. Für die Durchführung einer Heilbehandlung sei stets eine staatliche Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde erforderlich.
Seien Psychologische Psychotherapeuten oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten beteiligt, gelte auch deren Berufsordnung, selbst wenn es nur um Beratung und nicht um eine Behandlung gehe.
In der Berufsordnung stehe kein grundsätzliches Verbot von Onlinetherapie. Der rechtliche Spielraum sei jedoch begrenzt. Psychotherapeuten dürften nur in begründeten Ausnahmefällen und unter Beachtung besonderer Sorgfaltspflichten Behandlungen über elektronische Kommunikationsmedien durchführen. Psychotherapeutische Behandlungen, die z. B. ausschließlich über Internet oder Telefon durchgeführt werden, seien nach der Berufsordnung nur in Modellprojekten zulässig, die einer Genehmigung durch die Psychotherapeutenkammer bedürften.
Die Einwilligung in eine Onlinebehandlung setze grundsätzlich eine umfassende mündliche Aufklärung voraus. Es müsse insbesondere auch über die besonderen Risiken dieser Behandlungsform aufgeklärt werden. Die Risiken der Datenübermittlung müssten offen kommuniziert werden.
Auch Diagnostik und Indikationsstellung müssten im persönlichen Kontakt erbracht werden. Es sei regelmäßig nicht mit den Sorgfaltspflichten eines Psychotherapeuten vereinbar, wenn sie die Diagnose nicht im persönlichen Kontakt oder zumindest über audiovisuelle Medien erstellten, die eine synchrone Kommunikation ermöglichen. In solchen Fällen müsste das Krankheitsbild besonders genau geschildert werden, da die nonverbalen Informationen nur eingeschränkt zur Verfügung stünden. Ferner müsse es möglich sein, den Therapieverlauf zu überwachen und angemessen sicherzustellen, dass der Patient sich nicht selbst schädige, auch wenn eine unmittelbare Einflussnahme des Psychotherapeuten auf den Patienten nicht möglich sei. Therapiesitzungen über ungesicherte Videosoftware, wie beispielsweise Skype durchzuführen, sei nicht vorstellbar.
Studien zu webbasierter Selbsthilfe
Dr. David Ebert von der Universität Erlangen-Nürnberg gab eine Übersicht über die aktuelle Studienlage zu webbasierten Selbsthilfeprogrammen. Viele nationale und internationale Studien belegten inzwischen die Wirksamkeit der Programme. Die meisten Programme basierten auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Prinzipien. Erste Programme mit psychodynamischen Konzepten seien jedoch mittlerweile ebenfalls verfügbar.
Eine breite Evidenzlage sei insbesondere für depressive Störungen und Angststörungen vorhanden. In Metaanalysen würden Effektstärken berichtet, die mit denen aus Studien zur unmittelbaren Psychotherapie ("Face-to-Face") vergleichbar seien. Das bedeute aber nicht, dass sie generell gleich wirksam seien. Vielmehr zeigten die Studien, dass speziell Patienten, die an diesen Programmen Interesse haben, auch davon profitierten.
Die meisten der wirksamen Programme seien allerdings keine reinen Selbsthilfeangebote, sondern würden auch therapeutische Unterstützung beinhalten ("Guided Self-help"). Die Qualifikation der Therapeuten bzw. der Ansprechpartner sei dabei sehr unterschiedlich. In vielen Studien würden keine Psychotherapeuten oder Ärzte eingesetzt, sondern Assistenzpersonal mit einer kürzeren Schulung in dem jeweiligen Programm. Die therapeutische Unterstützung ziele dabei insbesondere darauf ab, Patienten zur weiteren Nutzung des Programms zu ermuntern und für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Dies sei auch wesentlich für die Wirksamkeit der Programme. Verzichte man gänzlich auf diese Unterstützung, brächen die allermeisten Nutzer vorzeitig ab.
Onlinebasierte schreibtherapeutische Interventionen
Prof. Dr. Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin stellte schreibtherapeutische Onlineprogramme zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen vor.
Bei der Schreibtherapie mittels E-Mail griffen Therapeuten häufig auch auf Textbausteine zurück, um Patienten zeitnah eine Rückmeldung garantieren zu können. Dabei könnten Psychotherapeuten und Patienten ausschließlich schriftlich kommunizieren. Dagegen fehlten nonverbale und paraverbale Informationen, also das ganze Spektrum von Botschaften, die durch Körpersprache oder mit der Stimme ausgedrückt werden: die Stimmlage (z. B. hoch/tief, tragend/zitternd, laut/leise), die Betonung einzelner Wörter oder Satzteile, das Sprechtempo (schnell/langsam) und die Sprachmelodie (eintönig/singend).
In einer onlinebasierter Schreibtherapie sei insbesondere eine klare und eindeutige Sprache notwendig, da es nicht möglich sei, sich visuell rückzuversichern, ob man einander richtig verstanden habe. So betonte sie, dass eine Approbation als Psychotherapeut notwendig sei, um angemessen auf kritische Situationen, wie beispielsweise suizidale Äußerungen von Patienten, eingehen zu können.
Die Chancen dieser Behandlungsform sehe sie darin, beispielsweise humanitäre Hilfe in Krisenregionen leisten zu können. Dort gebe es keinen anderen Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung. Sie könne sich aber auch vorstellen, dass sich diese Behandlungsform eigne, um z. B. Angehörige in die Therapie einzubeziehen oder Brückenfunktionen an den Schnittstellen der Versorgung oder bei Wohnortwechseln zu übernehmen. Ein Potenzial dieser Programme sehe sie außerdem darin, die Selbstwirksamkeit von Patienten durch das eigenverantwortliche Arbeiten zusätzlich zu stärken.
Weiterhin stellte Knaevelsrud Studienergebnisse zur therapeutischen Beziehung bei webbasierten Programmen vor. Sie berichtete, dass Patienten die therapeutische Beziehung auch bei diesen Angeboten positiv bewerteten. Aus eigener Erfahrung schilderte sie, dass es für Patienten auch bei diesen Angeboten sehr wichtig sei, "dass es da jemanden gebe". Patienten hätten beispielsweise geprüft, ob ihre E-Mails auch wirklich von einem Psychotherapeuten gelesen würden. Insgesamt zeige sich oft, dass die Wirksamkeit onlinebasierter Angebote durch einen intensiveren therapeutischen Kontakt gesteigert werden könne.
Kombinationen von Psychotherapie und Onlineprogrammen
Prof. Dr. Harald Baumeister von der Universität Ulm stellte dar, wovon die Akzeptanz von verschiedenen internetbasierten Interventionen abhänge. Dabei betonte er, dass es durchaus Patienten mit unterschiedlichen Störungsbildern gebe, die an einer Behandlung mithilfe von internetbasierten Interventionen interessiert seien. Viele Patienten brächen die Programme ohne therapeutische Unterstützung allerdings trotz anfänglichem Interesse schnell ab. Eine Kombination von mediengestützten Interventionen und persönlichen Therapiegesprächen stoße dagegen auf eine hohe Akzeptanz, die in vielen Fällen über der Akzeptanz einzelner Angebote liege.
Baumeister stellte deshalb insbesondere dar, wie Onlineprogramme und unmittelbare Psychotherapie, in der Therapeut und Patient durch keinen räumlichen oder zeitlichen Abstand getrennt seien, kombinierbar seien. Im Vergleich zu webbasierten Selbsthilfeprogrammen sei die Evidenzlage dieser "Blended Therapy" jedoch deutlich dünner. Denkbar sei beispielsweise, dass Patienten während einer laufenden Psychotherapie einzelne Onlinemodule bearbeiten. Es seien aber auch sequenzielle Ansätze denkbar, bei denen nach der Bearbeitung eines Onlineprogramms eine psychotherapeutische Behandlung im direkten Kontakt erfolge. Neue Medien könnten schließlich auch im Anschluss an eine Psychotherapie genutzt werden, um einen Therapieerfolg zu sichern. Erinnerungsfunktionen von Apps könnten sinnvolle Ergänzungen zur Psychotherapie im Alltag der Patienten sein.
Die Patienten von Internettherapien unterschieden sich nicht grundsätzlich von denen, die auch unmittelbare psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch nähmen. Wie bei jeder anderen Behandlung sollten jedoch die Präferenzen der Patienten berücksichtigt werden. Auch bei Onlineangeboten sei die Frage nach der differenziellen Indikation von zentraler Bedeutung. Unabhängig von der Technik sei zu überlegen, für welche Patienten welches psychotherapeutische Angebot am besten geeignet sei.
Telefontherapie
Dr. Sarah Liebherz vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf berichtete von einem Modellprojekt in Hamburg, bei dem Telefontherapie basierend auf einem kognitiv-verhaltenstherapeutischen Manual in ein Stepped-Care-Modell eingebunden war. Die Patienten erhielten je nach Schweregrad ihrer depressiven Erkrankung unterschiedlich intensive Interventionen. Die Telefontherapie wurde als ein Angebot von mittlerer Intensität eingesetzt und zwar nach der Bearbeitung eines Onlineprogramms und vor der Behandlung mit einer Richtlinienpsychotherapie. Im Durchschnitt wurden bei der Telefontherapie insgesamt 8 bis 12 Telefonsitzungen geführt, die jeweils 30 Minuten dauerten.
Liebherz berichtete, dass es für Patienten sehr wichtig war, vor Aufnahme der Telefontherapie in einem ersten Gespräch den behandelnden Psychotherapeuten persönlich kennenzulernen. Auch die Psychotherapeuten hätten diesen ersten unmittelbaren Kontakt als sehr wichtig empfunden. Die Telefontherapie stellte insbesondere für Patienten ein passendes Angebot dar, denen eine Psychotherapie in einem eng getakteten Alltag zunächst als nicht machbar erschien und bei denen lange Wege zur Praxis oder familiäre Verpflichtungen sonst ein Hindernis gewesen wären. Telefontherapie sei allerdings auch nicht für jeden Patienten die beste Behandlungsmethode. Deshalb sei es wichtig, Patienten in der Regelversorgung dem für sie passenden Angebot zuzuweisen.
Die Telefontherapie sei insgesamt ein deutlich flexibleres Angebot für Patienten, für die regelmäßige Praxistermine zu aufwändig seien. Allerdings fordere sie auch einen hohen Grad an Flexibilität von Seiten der Psychotherapeuten. Für sie sei diese Form der Therapie auch nicht mit weniger Ressourceneinsatz verbunden.
Aktive Positionierung dringend notwendig
Abschließend wies BPtK-Präsident Munz darauf hin, dass es noch eine Reihe von Wissenslücken bei Internetangeboten zur Beratung und Behandlung von psychischen Beschwerden gebe. Es fehlten Erkenntnisse zu Nebenwirkungen, aber auch zur differenziellen Indikation.
Es ließen sich durchaus Einsatzmöglichkeiten für internetbasierte Interventionen in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung denken. Patienten, die noch keiner Behandlung bedürften, könnten künftig in einer psychotherapeutischen Sprechstunde auf Onlineangebote zum Selbstmanagement verwiesen werden. Internetprogramme könnten auch dazu dienen, systematisch eine Behandlung zu begleiten und die Behandlungsintensität zu steigern. Schließlich könnten so auch Pausen zwischen stationärer und ambulanter Behandlung vermieden werden.
Berufspolitisch gäbe es noch einige Herausforderungen zu meistern. Eine aktive Positionierung der Profession sei dringend notwendig. Darauf aufbauend könnten dann Fragen der Kostenübernahme und der Einbettung in die Regelversorgung geklärt werden.
Kritisch bewertete Munz, dass Krankenkassen Onlineprogramme derzeit vor allem als Marketinginstrument einsetzten. Wirksame Beratungs- und Behandlungsangebote per Internet sollten auch nicht nur von den Versicherten einzelner Kassen nutzbar sein, sondern allen zur Verfügung stehen. Offen sei auch die Frage, wie eine flächendeckende Qualitätssicherung der vielfältigen Programme gesichert werden könne. Er befürchte außerdem, dass manche Krankenkassen, Onlineprogramme zur Voraussetzung für eine weitere psychotherapeutische Versorgung machen könnten. "Vielmehr müssten sinnvolle Lösungen gefunden werden, wie Psychotherapeuten Internetinterventionen ergänzend in ihrer Praxis einsetzen könnten.
Diskussion
Bei den Diskussionen der Referate kam immer wieder die Frage auf, wie die neuen digitalen Programme im Behandlungsalltag zu implementieren seien. Deutlich wurde, dass die Qualität von einzelnen Onlineangeboten sichergestellt werden müsse. Für Psychotherapeuten, aber auch für Patienten müsse ersichtlich sein, woran sie qualitativ hochwertige Programme von unseriösen Angeboten unterscheiden könnten. Viele Teilnehmer wünschten sich eine Liste mit qualitätsgesicherten Prorammen, auf die man zurückgreifen könne.
Kritisch wurde eingewendet, dass eine Art Zertifizierung durch die BPtK oder die Landespsychotherapeutenkammern kaum leistbar sein dürfte, da die Zahl der Onlineangebote und Apps viel zu groß sei und sich ständig verändere.
Diskutiert wurde, ob eine Zulassung medizinischer Software als Medizinprodukt (CE-Zertifizierung) möglich sei, um Mindestanforderungen festlegen zu können. Die Vorgaben für Medizinprodukte, die auf eine physikalische Wirkung auf den menschlichen Körper abstellten, passten allerdings bisher kaum auf psychotherapeutische Onlineprogramme. Insbesondere fehle es an Vorgaben zum Nachweis des Nutzens und zur Überprüfung der Schadenspotenziale. Hier könnte man sich aber für Nachbesserungen einsetzen.
Nachfragen bezogen sich auch auf die Verfügbarkeit von Studien und Programmen für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Hier wurde deutlich, dass es nicht viele Angebote von entsprechenden Programmen und auch wenig Forschung gibt. Diese Defizite wurden insbesondere auf die erschwerten Bedingungen zurückgeführt, online für eine angemessene Einbeziehung und Einwilligung von Bezugspersonen zu sorgen.
Gewarnt wurde auch vor einer weiteren Zerstückelung des Versorgungssystems. Viele Programmentwickler konzentrierten sich auf einzelne Versorgungsbereiche. Es müsse daher besonders darauf geachtet werden, dass Lösungen für eine systematische Integration von internetbasierten Interventionen in die psychotherapeutische Versorgung gefunden würden, die alle relevanten Versorgungsbereiche berücksichtigten.
Erörtert wurde auch, ob gezielte Versorgungsforschungsprojekte einen Beitrag für eine qualitätsorientierte Implementierung in die psychotherapeutische Praxis liefern könnten. Dabei solle insbesondere das Konzept der "Blended Therapy" untersucht werden, da man sich insbesondere hiervon wertvolle Beiträge für die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung erwarte. Auch sollten Erwartungen und Wünsche der Psychotherapeuten an den Einsatz von Onlineangeboten erhoben werden.
Vor allem wurde aber gefordert, dass eine sichere Kommunikationsplattform geschaffen werden müsse, die einen sicheren Austausch per Video und E-Mail ermögliche. Neben flexiblen Zugängen für Psychotherapeut und Patient müsse eine solche Plattform den höchsten Anforderungen an den Datenschutz genügen. Diskutiert wurde weiter, inwieweit Psychotherapeuten Patienten auch über den Umgang mit persönlichen Informationen im Netz beraten sollten.
Mehrere Teilnehmer wiesen darauf hin, dass der Kontakt zwischen Patienten und Psychotherapeuten bei Onlineangeboten nicht vergleichbar sei mit der Qualität einer Beziehung im persönlichen Kontakt. Zudem seien Störungen in der therapeutischen Beziehung schwerer zu erkennen und könnten oft erst zeitverzögert bearbeitet werden. Dies stelle auch besondere Anforderungen an die Indikationsstellung.
In der Diskussion wurde weiter angemerkt, dass die höhere Flexibilität onlinebasierter Interventionen für Patienten nicht immer vorteilhaft sei. Manche Patienten bräuchten gerade klare Strukturen und Rahmenbedingungen, um sich wirksam mit ihren psychischen Problemen auseinandersetzen zu können. Gerade in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen müsse ein Therapeut persönlich ansprechbar sein.
Die Teilnehmer plädierten dafür, dass sich die Profession zunächst auf solche Internetinterventionen konzentriere, die auf eine Behandlung psychischer Erkrankungen ausgerichtet sind.
Therapeutische Interventionen im Internet sollten schließlich stärker in Leitlinien berücksichtigt werden, wenn bereits entsprechende Evidenz vorhanden sei. Dies sei eine Voraussetzung dafür, dass der Gemeinsame Bundesausschuss einen Ansatzpunkt habe, ihren Nutzen zu prüfen und in den Leistungskatalog aufzunehmen. Denkbar sei auch, dass der Bewertungsausschuss direkt Honorarziffern für solche Leistungen beschließt.
Insgesamt begrüßten die Teilnehmer die Initiative der BPtK, einen gesundheitspolitischen Standpunkt zu Medien in der psychotherapeutischen Versorgung zu entwickeln. Psychotherapeuten, aber auch Patienten bräuchten Orientierung bei der Beurteilung der verschiedenen Angebote. Eine solche Positionierung sei eine wichtige Grundlage, um die Weiterentwicklung der Onlineangebote aktiv mitzugestalten.
Veröffentlicht am 23. Dezember 2016