Was ist eine psychotherapeutische Praxis wert?
BPtK-Symposium zur Praxisabgabe und -übernahme
Bei der Übergabe einer psychotherapeutischen Praxis haben ein bisheriger Inhaber und ein möglicher Nachfolger insbesondere in Bezug auf die Höhe eines finanziellen Ausgleichs unterschiedliche Perspektiven und Interessen. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) veranstaltete am 10. Dezember 2015 in Berlin ein Symposium, um über berufspolitische und sozialrechtliche Hintergründe sowie betriebswirtschaftliche Aspekte einer Praxisübergabe zu informieren und das von der BPtK erarbeitete Modell vorzustellen, mit dem der Verkehrswert einer Praxis ermittelt werden kann. Damit griff sie auch ein Anliegen der Delegierten des 25. Deutschen Psychotherapeutentages (DPT) auf.
BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz erläuterte einleitend, dass die Landespsychotherapeutenkammern häufig von den Gerichten zur Stellungnahme bei strittigen Praxisübergaben aufgefordert würden. Außerdem erschwerten neue gesetzliche Regelungen, zuletzt mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, Praxen in statistisch überversorgten Regionen an einen Nachfolger weiterzugeben. Womit es nochmals dringlicher werde, über eine Praxisübergabe im Sinne einer Praxisfortführung nachzudenken. Munz erinnerte an den Antrag des 25. DPT, der zeige, wie sehr die Frage der Praxisweitergabe viele Mitglieder beschäftige. Dabei gehe es nicht nur um eine rechtliche und betriebswirtschaftliche Bewertung, sondern insbesondere auch um die Suche nach einem Interessenausgleich bei der Praxisübernahme. Mit dem Symposium wolle die BPtK ausreichend Raum für diese Diskussion geben.
Verkehrswert nach rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Kriterien
Prof. Dr. Martin Stellpflug, Justiziar der BPtK, erläuterte die sozialrechtlichen Grundlagen der Praxisabgabe und -übernahme. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts habe eine psychotherapeutische Praxis, wie eine Arztpraxis auch, einen Wirtschaftswert, der über ihrem reinen Substanzwert liege. Ein Schlüsselbegriff sei der Verkehrswert der Praxis. Dabei seien sowohl der materielle als auch der immaterielle Wert der Praxis zu ermitteln. Der Verkehrswert sei beispielsweise entscheidend, wenn sich Käufer und Verkäufer nicht einvernehmlich auf einen Praxiswert einigen können. Dann berechne der Zulassungsausschuss den Verkehrswert von Amts wegen eigenständig. Der Verkehrswert sei auch Grundlage der Entschädigung, wenn eine Praxis in einer statistisch überversorgten Region nicht mehr ausgeschrieben werde. Die Kassenärztliche Vereinigung zahle dann den Verkehrswert der Praxis als Ausgleich. Die Bestimmung des Verkehrswerts erfolge dabei immer nach betriebswirtlichen Kriterien. Stellpflug wies abschließend auf die Regelung der BPtK-Muster-Berufsordnung hin, nach der der sachliche und ideelle Verkaufswert einer Praxis nicht sittenwidrig überhöht festgelegt werden dürfe, und nach welchen Kriterien dieser als sittenwidrig einzuordnen sei.
Die Perspektive des Praxisinhabers
Martin Klett, niedergelassener Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, beschrieb die Perspektive des Inhabers bei einer Praxisübergabe. Er betonte, dass es für ihn nicht um die Frage gehe, ob seine Praxis überhaupt einen Wert habe, sondern wie hoch dieser Wert sei. Dabei sei der Praxiswert jedoch nicht nur betriebswirtschaftlich festzulegen. Wichtigeres Kriterium sei, wer die Praxis übernehme und ob die Versorgung der Patienten nahtlos und qualitativ hochwertig fortgeführt werden könne. Eine Gewinnmaximierung im Sinne eines am Markt höchstmöglichen Verkaufspreises spiele dabei nur eine untergeordnete Rolle.
Das Argument, der Verkaufserlös sei ein wichtiger Bestandteil der Altersversorgung des Praxisinhabers, sah Klett kritisch. Für die Altersvorsorge stehen andere, bessere Instrumente zur Verfügung. Klett begrüßte ausdrücklich die Entwicklung eines eigenen BPtK-Praxisbewertungsmodells. Viele Kollegen seien unsicher, welchen Verkaufspreis sie für ihre Praxis ansetzen sollten und würden sich daher am Marktpreis orientieren. Ein Praxisbewertungsmodell ermögliche einen zusätzlichen Anhaltspunkt für den Praxiswert. Dabei sehe er jedoch auch die Grenzen eines solchen Berechnungsinstrumentes: Individuelle Wertfaktoren und damit abweichende Verkaufspreise sollten auch zukünftig bei der Praxisübergabe eine Rolle spielen.
Die Perspektive des Praxisnachfolgers
Robin Siegel, Mitglied der BPtK-Arbeitsgruppe "Praxisbewertung", erläuterte die Perspektive der Praxisnachfolger. Die Zahl der neuapprobierten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sei in den vergangenen Jahren so stark gestiegen, dass sich aufgrund der großen Nachfrage nach Praxen ein Markt entwickelt habe, der von den Anbietern dominiert werde. Dies führe gerade in den Städten zu stark erhöhten und überhöhten Marktpreisen. Viele Psychotherapeuten in Ausbildung und Neuapprobierte sehen aber keine Möglichkeit, nach der teuren Ausbildung weitere Kredite aufzunehmen, um eine Praxis zu den üblichen Marktpreisen zu übernehmen. So wachse bei den jungen Kollegen ein großes Gefühl der Unzufriedenheit.
Kritisch sah Siegel auch, dass viele Inhaber die erbrachten Behandlungsstunden vor der Praxisübergabe verringern. Eine Praxis müsse fortführungsfähig übergeben werden. Dazu gehöre auch, dass sie über eine gute Vernetzung und ausreichend Zuweiser, einen hohen Bekanntheitsgrad, eine Warteliste und adäquate Ausstattung verfüge. Siegel forderte eine deutlichere Positionierung der Kammern auf der Grundlage der Berufsordnung und den Regelungen zur Sittenwidrigkeit. Dabei könne das Praxisbewertungsmodell der BPtK einen wichtigen Anhaltspunkt bieten und helfen, die Ermittlung eines Praxiswertes transparent, fair und kollegial zu gestalten.
In der Diskussion begrüßten viele Teilnehmer ausdrücklich, dass die BPtK sich des Themas Praxiswert und -bewertung angenommen hat. Einig war man sich darin, dass eine psychotherapeutische Praxis selbstverständlich einen Wert habe, der über dem reinen Substanzwert liege. Äußerungen psychotherapeutische Praxen hätten keinen Übergabewert, seien nicht nachvollziehbar.
Die Teilnehmer diskutierten kontrovers, welche Faktoren bei der Ermittlung des Praxiswertes berücksichtigt werden sollten. Zum einen gab es die Auffassung, dass ein Praxiswert immer auch einen Interessenausgleich beider Parteien abbilden müsse. Für moderate Praxispreise spreche, dass sie die Hürde für Praxisübernehmer senke und damit eine kontinuierliche Versorgung sichere. Dem wurde entgegnet, dass es keinen politisch gebildeten Praxiswert geben dürfe. Objektivierbar und transparent könne ein Praxiswert nur sein, wenn er sich auf betriebswirtschaftliche Faktoren stütze.
Vielfach wurde auch eine stärkere Kontrollfunktion der Kammern bei der Preisgestaltung gefordert. Das Berufsrecht biete hierzu eine Grundlage. Dagegen wurde eingewendet, dass die Berufsordnung nur auf extreme, eben sittenwidrige Fälle abstelle. Stärkere Kontrollen und Eingriffe der Kammern seien mit dem Selbstverständnis als Freiberufler nicht vereinbar.
BPtK-Präsident Munz dankte den Teilnehmern für die engagierte und ausgewogene Diskussion. Es sei deutlich geworden, wie differenziert, aber auch mit welch unterschiedlichen Perspektiven der Wert einer psychotherapeutischen Praxis gesehen werde. Er notiere aber auch, dass das Angebot eines BPtK-Praxisbewertungsmodells positiv aufgenommen und als wichtige Hilfe empfunden werde.
GKV-Versorgungsstärkungsgesetz und Praxisübergabe
Munz erläuterte die gesetzlichen Vorgaben, die sich aus dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz für die Praxisweitergabe ergeben. Danach sollen zukünftig Praxissitze, die in Regionen mit einem statistischen Versorgungsgrad über 140 Prozent liegen, nicht mehr ausgeschrieben werden, falls festgestellt würde, dass sie nicht mehr versorgungsrelevant sind. Komme es zu einer Stilllegung, müsse die Kassenärztliche Vereinigung den Inhaber entschädigen. Dabei könne das BPtK-Praxisbewertungsmodell für eine objektive Wertermittlung genutzt werden. Versorgungs- und berufspolitisches Anliegen der Kammern sei es jedoch, dass für die Versorgung notwendige Praxissitze auch in statistisch überversorgten Planungsbereichen weitergeführt werden. Hierfür habe der Gesetzgeber mit den erleichterten Regelungen zum Jobsharing, die der Gemeinsame Bundesausschuss aktuell präzisiert, ein Instrument geschaffen, dem allerdings die erschwerten Rahmenbedingungen für die privilegierte Praxisnachfolge gegenüberstehen. Eindringlich appellierte Munz, diese Instrumente auch zu nutzen. Bisher sei es noch zu häufig üblich, vor der Übergabe keine neuen Patienten mehr anzunehmen, um möglichst alle Behandlungen abgeschlossen zu haben. Dies könne jedoch in den Zulassungsausschüssen zu der Einschätzung führen, dass eine Praxis nicht mehr relevant für die Versorgung sei. Die neuen Regelungen des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes seien offensichtlich in der Profession noch nicht hinreichend bekannt. Die Kammern seien deshalb in der Pflicht, weiterhin Informationen und Handlungsempfehlungen für die Praxisübergabe bereitzustellen.
Das BPtK-Praxisbewertungsmodell
BPtK-Referent Dominique Krause stellte den Arbeitsstand des BPtK-Praxisbewertungsmodells vor. Das Modell sei von der BPtK-Arbeitsgruppe "Praxisbewertung" in Zusammenarbeit mit zwei renommierten Gutachtern und Sachverständigen für Praxisbewertungen entwickelt worden. Basierend auf der modifizierten Ertragswertmethode sei das Modell betriebswirtschaftlich fundiert und mit der aktuellen Rechtsprechung vereinbar. Das Berechnungsmodell werde als computerbasierte Tabellenkalkulation zusammen mit einem Manual allen Kammermitgliedern 2016 kostenfrei zur Verfügung gestellt. Eine interaktive Benutzeroberfläche erlaube es, einen betriebswirtschaftlich kalkulierten Wert zu ermitteln.
Das BPtK-Modell berechne Substanzwert und ideellen Wert einer Praxis unter Berücksichtigung verschiedener Faktoren, z. B. des Standortes, der Vernetzung und der Patientenanfragen einer Praxis. Der so ermittelte Praxiswert könne durchaus deutlich von ihrem Marktwert abweichen. Er diene als objektivierbarer und von beiden Seiten nachvollziehbarer Richtwert. Der tatsächliche Kaufpreis einer Praxis könne jedoch von den Verhandlungspartnern immer auch anders vereinbart werden.
Die Teilnehmer diskutierten das Modell intensiv, insbesondere vor dem Hintergrund der dargestellten Berechnungsbeispiele. Sie wünschten noch detailliertere Informationen über die zugrunde liegenden Berechnungsfaktoren und deren Gewichtung, sahen den Modellansatz jedoch als vielversprechend an.
BPtK-Präsident Munz bedankte sich abschließend für die konstruktive Diskussion und die wertvollen Anregungen zum Praxisbewertungsmodell. In den weiteren Diskussionen des Themas Praxiswert in den Gremien der BPtK würden auch die Anregungen und Empfehlungen des Symposiums berücksichtigt werden.
Veröffentlicht am 12. Januar 2016