Europa - NPCE-Treffen 2025
Instagram, TikTok und WhatsApp – wie soziale Medien die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen prägen
Wie ist es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im digitalen Zeitalter bestellt und welchen Einfluss haben die sozialen Medien?
Das war die zentrale Frage auf dem diesjährigen, von BPtK-Vizepräsident Dr. Nikolaus Melcop geleiteten Treffen des Network for Psychotherapeutic Care in Europe (NPCE). In immer mehr europäischen Ländern wird darüber diskutiert, wie Kinder und Jugendliche das Internet und die sozialen Medien sicher nutzen können und dabei wirksam vor Gefahren geschützt werden können.
Europa auf der Suche nach gemeinsamen Lösungen
Das Verbot der Nutzung von sozialen Medien für unter 14-Jährige, Altersverifikationen, Handyverbote an Schulen, nicht suchterzeugendes Design von sozialen Plattformen – was ist die adäquate Lösung? Die gemeinsamen Herausforderungen sind längst auf europäischer Spitzenebene angekommen: EU-Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen hatte direkt nach ihrer erneuten Ernennung als Regierungschefin der EU verkündet, dass die Auswirkungen der Nutzung sozialer Medien auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ein Schwerpunkt der Kommissionsarbeit sein werde. Nun kündigte sie in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union an, dass sie Expert*innen berufen werde, die die Frage klären sollen, wie die Nutzung von sozialen Medien für Minderjährige begrenzt werden kann. Auch die EU-Minister*innen haben jüngst Schlussfolgerungen verabschiedet, die deutlich machten, dass Internet und soziale Medien zwar das Potenzial für mehr Vernetzung und Kommunikation junger Menschen haben, es gleichzeitig aber verstärkt Prävention, digitale Gesundheitskompetenz und strikte Regulierung braucht, um Risiken des Konsums zu verhindern.
Sind Snapchat und TikTok per se eine Gefahr?
Dass es um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Europa seit der Corona-Pandemie nicht gut bestellt ist, stellte die österreichische Psychotherapeutin Dr. Karin Kalteis, Vorsitzende der Sektion Psychotherapie des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, in ihrem Vortrag dar. 75 Prozent der psychischen Erkrankungen entstehen im Kindes- und Jugendalter. Insbesondere in der Jugendzeit kommen verschiedenste physiologische, psychische und soziologische Faktoren zusammen, die junge Menschen psychisch vulnerabel machen.
Kinder und Jugendliche wachsen heute in einer digitalisierten Welt auf. Die Nutzung von sozialen Medien ist fester Bestanteil ihres Lebens. Dies hat nicht nur negative Effekte. So erfahren junge Menschen in den sozialen Medien auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, treffen auf Gleichaltrige mit den gleichen Interessen und interagieren auch in diverseren sozialen Gruppen, wie es ihnen in ihrem direkten persönlichen Umfeld nicht möglich wäre. Soziale Medien stellen somit auch sichere Räume für Entfaltung, Akzeptanz und soziale Unterstützung dar. Gleichzeitig steht eine intensive Social-Media-Nutzung mit Gefahren für die psychische Entwicklung der Heranwachsenden im Zusammenhang. Unrealistische Körperbilder, Cybermobbing, Bildinhalte mit Gewalt oder Pornografie, aber auch die ständige Angst, etwas zu verpassen, verursachen psychischen Stress und können Angsterkrankungen, Depressionen, Essstörungen und Suchtverhalten befördern. Auch die Rolle von Influencer*innen muss von zweierlei Seiten betrachtet werden: Einerseits können sie authentisches und positives Vorbild sein, die eine unterstützende Wirkung auf junge Menschen haben und sogar zur Gesundheitsbildung beitragen. Andererseits können Influencer*innen auch ein Bild von Lebensentwürfen zeichnen, das nicht realistisch ist, und fehlerhafte oder falsche Gesundheits- und Ernährungstipps verbreiten.
Um Kindern und Jugendlichen die digitale Teilhabe über soziale Medien zu sichern und sie vor Gefahren wirksam zu schützen, seien individuelle Risiken und Schutzfaktoren im Umgang mit sozialen Medien und bestimmten Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Persönliche Faktoren wie bestehende psychische Belastungen, niedriges Selbstwertgefühl, impulsives Verhalten oder problematische Bewältigungsstrategien könnten Risikofaktoren im Umgang mit sozialen Medien sein. Hinzu kämen ungünstige Umgebungsbedingungen, etwa ein niedriger sozioökonomischer Status, fehlende familiäre Unterstützung oder unkontrollierter Medienzugang. Demgegenüber stünden Schutzfaktoren wie Selbstvertrauen, positive Motivation, digitale Kompetenzen und die Fähigkeit, mit belastenden Erfahrungen konstruktiv umzugehen. Ein unterstützendes soziales Netzwerk, aktives elterliches Interesse und klare Regeln im Umgang mit Medien trügen zur Resilienz bei. Ein guter Mix aus Verhaltens- und Verhältnisprävention sei daher entscheidend. Individuelle Ressourcen müssten gefördert und Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass die Chancen digitaler Mediennutzung genutzt und Risiken bestmöglich minimiert werden, so Kalteis.
Österreich setzt auf niedrigschwellige Hilfe für Kinder und Jugendliche
In Österreich berichten zehn Prozent der Mädchen und sieben Prozent der Jungen, dass sie einen problematischen Social-Media-Konsum hätten. In der täglichen Versorgung spiele dies daher eine große Rolle. Auch die Politik habe reagiert. Seit 2022 fördert das österreichische Gesundheitsministerium ein Projekt, das jungen Menschen einen schnellen, unkomplizierten Zugang zu einer qualitätsgesicherten Versorgung ermöglicht. Ziel sei es, psychische Beschwerden und psychische Erkrankungen zügig zu behandeln. Hilfesuchende Kinder und Jugendliche würden mit klinischen Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen zusammengebracht und die Bedarfe der Kinder geklärt werden. Anschließend erhalten sie Psychoedukation oder bis zu 15 Therapieeinheiten als Einzel- oder Gruppentherapie. Nachfrage und Inanspruchnahme dieses Angebots sind groß, mit dem Ergebnis, dass das Ministerium die Förderung bereits zweimal verlängert und die finanziellen Mittel aufgestockt hat. Ziel sei es, so Kalteis, das Projekt in die Regelversorgung zu überführen.
Psychische Gesundheitskompetenz spielerisch lernen: Finnland macht es vor
Die forschende Psychotherapeutin PD Dr. Katariina Keinonen von der Universität Jyväskylä in Finnland hat die Wirksamkeit digitaler Interventionen bei Kindern und Jugendlichen untersucht, die zunehmend an Bedeutung gewännen. Aufbauend auf den Erfahrungen mit Erwachsenen zeige die Forschung der vergangenen Jahre, dass technologiegestützte Angebote auch für junge Menschen wirksam sein können, zumal Benutzerfreundlichkeit und Attraktivität solcher Angebote aufgrund der schnellen technischen Entwicklung zunähmen. Dies ermögliche es, Kindern und Jugendlichen zeitgemäße Angebote zur Förderung ihrer psychischen Gesundheit zu unterbreiten.
Psychisches Wohlbefinden steht auf dem Lehrplan
Keinonen berichtete, dass zahlreiche aktuelle Forschungs- und Entwicklungsprojekte psychologische Interventionen direkt in den schulischen Alltag integrierten. Mit Programmen wie „Feeling good“ für Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren, „Youth Compass“ für Jugendliche ab 13 Jahren sowie „Student Compass“ für Studierende werden jungen Menschen von der Grund- bis in die Hochschule Kompetenzen praxisnah vermittelt, wie sie ihre Resilienz und psychische Gesundheit fördern können. Der nationale Lehrplan sehe explizit Kompetenzen zur Förderung der psychischen Gesundheit und Resilienz vor und sei selbstverständlicher Bestandteil schulischer Bildung und Alltagskompetenz.
Die Förderung des Wohlbefindens in Schulen setze auf einen kompetenzbasierten Ansatz und ein gestuftes Unterstützungsmodell, so Keinonen: Alle Schüler*innen würden grundlegende Fähigkeiten zur Stärkung ihrer psychischen Gesundheit erlernen und durch niedrigschwellige Angebote unterstützt werden. Gleichzeitig müsse eine intensivere Hilfe, etwa in Form von Gruppentrainings, Beratung durch Schulpsycholog*innen oder gezielter Psychotherapie, individuell und bedarfsgerecht bereitgestellt werden. Entscheidend sei eine kluge Nutzung und Verteilung der vorhandenen Ressourcen. Fachkräfte aus Psychologie, Psychotherapie und Pädagogik übernähmen dabei die Aufgabe, je nach Kontext passgenaue Unterstützung bereitzustellen und so ein tragfähiges Netz der Versorgung im schulischen Alltag zu schaffen.
Online-Spiele für mehr psychische Gesundheit? Ja, das geht!
Ein innovativer Ansatz zur Förderung psychischer Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen seien Online-Spiele, die psychologische Flexibilität vermitteln sollen, erläuterte Keinonen weiter. Diese würden vom finnischen Zentrum für Sozial- und Gesundheitsorganisationen gefördert. Ziel sei es, spiel- und gruppenbasierte Trainingsprogramme in Schulen zu verbreiten und Lehrkräfte zu schulen. Die Forschung hierzu sei noch nicht abgeschlossen.
Auch der Einsatz von Spielen im schulischen Kontext eröffne neue Wege, psychische Gesundheitskompetenzen zu vermitteln, so Keinonen. Mit einem dialogbasierten Abenteuerspiel, das Rätsel mit alltagsnahen Geschichten verbindet, erlernen die Kinder, wie sie ihre psychische Gesundheit erhalten und fördern und die im Spiel erlernten Strategien vertiefen können. Die Spielhandlung diene dabei als anschauliche Metapher und motiviere die Schüler*innen, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Ein Leitfaden unterstütze Lehrkräfte dabei, zentrale Erkenntnisse gemeinsam mit den Kindern zu reflektieren. Entwickelt worden sei das Konzept in enger Kooperation mit Kindern und Lehrkräften, die auch in der Weiterentwicklung des Spiels fortgesetzt werde. Die bisherigen Ergebnisse zeigten, dass regelmäßige Anwendung entscheidend für den Erfolg digitaler Interventionen ist.
Das fünfwöchige Online-Programm „Youth Compass“, mit dem wöchentlich neue Inhalte rund um das Thema Resilienz vermittelt wurden, erweise sich als besonders wirksam: Gemeinsam mit Jugendlichen entwickelt, enthalte das Programm Videos von Gleichaltrigen, Comicstrips, Gespräche mit einem Chatbot sowie spielerische Abschnitte in Form einer visualisierten Geschichte. Auf diese Weise sollten Motivation und Beteiligung gefördert und die erlernten Fähigkeiten alltagsnah verankert werden. Dies wiederum trage dazu bei, das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit zu stärken, Stress zu senken, die Resilienz gegenüber schulischen Belastungen zu stärken und sowohl die Bindung an die Schule als auch die Fähigkeit, sich auf die berufliche Zukunft vorzubereiten, zu fördern.
Insbesondere Jugendliche mit ausgeprägteren psychischen Symptomen könnten von digitalen Interventionen deutlich profitieren, selbst dann, wenn diese nicht im klinischen, sondern im schulischen Kontext angeboten würden.
Ergänzende Materialien, wie etwa ein Leitfaden für Lehrkräfte, erleichterten den Einsatz im Unterricht und ermutigten dazu, dass auch Schulpsycholog*innen, Schulpsychotherapeut*innen und Beratungsfachkräfte diese Inhalte nutzen. Gefördert durch den Forschungsrat Finnlands und die Finnische Kulturstiftung, werde das Programm derzeit in englischsprachigen Schulen in Finnland pilotiert. Der „Youth Compass“ sei inzwischen auch auf Finnisch und Schwedisch verfügbar.
Digitale Tools als sinnvolle Ergänzung bei knappen Ressourcen
Keinonen unterstrich, dass digitale Interventionen eine wirksame Ergänzung zur klassischen Behandlung darstellen und gerade dort Lösungen bieten könnten, wo Ressourcen knapp sind. Dennoch brauche es weitere Forschung. Unverzichtbar sei auch, dass im digitalen Setting Psychotherapeut*innen und andere Fachkräfte eng in die Entscheidungsprozesse eingebunden bleiben. Denn es gebe keinen One-size-fits-all-Ansatz und der Erfolg einer Intervention sei nicht garantiert. Entscheidend sei, dass die individuellen Bedürfnisse junger Menschen sorgfältig erfasst und die Wirksamkeit digitaler Programme überprüft werden. Zudem dürfe die Einführung universeller digitaler Angebote keinesfalls dazu führen, dass die persönliche Unterstützung in Schulen oder in der Behandlung geschwächt wird, es gehe darum, Interventionen im direkten Kontakt mit digitalen Tools sinnvoll zu ergänzen.
Veröffentlicht am 02. Oktober 2025