Deutscher Psychotherapeutentag
47. Deutscher Psychotherapeutentag: Fortschritte und Herausforderungen – psychische Gesundheit in Umbruchphasen sichern
Am 14. und 15. November 2025 tagte in Berlin der 47. Deutsche Psychotherapeutentag (DPT).

Die Versammlung diskutierte politische Weichenstellungen und berufspolitische Rahmenbedingungen, die die Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in den kommenden Jahren maßgeblich prägen werden. Die Themen reichten von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) über die Finanzierung der Weiterbildung bis hin zur Repräsentation von Frauen in der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).
Zu Beginn erinnerte Birgit Gorgas als Versammlungsleiterin an die Psychiatrie-Enquete und die enormen Fortschritte hin zu einem selbstbestimmteren Leben für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Zugleich warnte sie eindringlich vor einem gesellschaftlichen Rückfall in ausgrenzende Strukturen. Vorschläge, die Grundsicherung einzuschränken oder Register für psychisch erkrankte Menschen einzuführen, gefährdeten Grundrechte. Die Profession müsse klar dagegenhalten und auf ausreichende Versorgungsressourcen drängen.
Psychische Gesundheit gehört in die Mitte der Gesellschaft
In einer Videobotschaft betonte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken, psychische Gesundheit gehöre in die Mitte der Gesellschaft. Steigende Belastungen, eine höhere Zahl schwerer Erkrankungsverläufe und eine große Nachfrage nach Psychotherapie zeigten den Handlungsdruck. Besonders Kinder und Jugendliche bräuchten eine frühere und niedrigschwellige Unterstützung, um Krisen zu vermeiden. Die Koalition habe deshalb eine separate Bedarfsplanung sowie die Finanzierung der Weiterbildung geplant. Digitalisierung könne Zugänge erleichtern, sei aber niemals Ersatz für menschliche Zuwendung, so Warken.
Auch die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Dr. Tanja Machalet, unterstrich den unverzichtbaren Beitrag psychotherapeutischer Versorgung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Trotz knapper Haushalte sei Gesundheit kein „Luxusgut“. Auch sie unterstrich, dass die Forderungen nach einer Bedarfsplanung speziell für Kinder und Jugendliche sowie nach einer verlässlichen Finanzierung der Weiterbildung politische Unterstützung fänden.
Wachsende Aufgaben in schwierigen Zeiten
In ihrer Rede verdeutlichte BPtK-Präsidentin Dr. Andrea Benecke die wachsende gesellschaftliche und politische Bedeutung psychotherapeutischer Expertise. Die Profession werde gehört und das zeige Wirkung. Ein Beispiel sei die Neuregelung der elektronischen Patientenakte (ePA): „Das Ergebnis vieler Gespräche und Konzepte: Die Bundesregierung hat sich dazu entschieden, die Befüllungspflicht der ePA entfallen zu lassen, wenn dem gewichtige Gründe entgegenstehen“, so Benecke. Sensible Informationen müssten nicht verpflichtend in die ePA übertragen werden, wenn erhebliche therapeutische Gründe, das Kindeswohl oder der Schutz Dritter dagegensprächen. Abrechnungsdaten seien künftig nur noch für Versicherte selbst einsehbar. „Das ist ein bedeutender Fortschritt. Zugleich werben wir weiterhin für eine Prüfung, inwieweit Abrechnungsdaten bei Patient*innen unter 15 Jahren generell nicht in die ePA eingespeist werden.“
Ein zentrales Thema blieb die Finanzierung der Weiterbildung. Zwar seien Weiterbildungsambulanzen nun gesetzlich verankert, doch reiche das nicht aus, um flächendeckend ausreichende und tarifgerechte Stellen zu schaffen. „Wir sind einen Schritt weiter. Aber: Der Schritt ist nicht groß genug“, mahnte Benecke. Ohne zusätzliche Regelungen drohe ein Fachkräftemangel mit gravierenden Folgen für die zukünftige Versorgung.
Eindringlich warnte Benecke davor, den bewährten Direktzugang zur Psychotherapie im Zuge von Reformen des Primärversorgungssystems einzuschränken. Die psychotherapeutische Sprechstunde habe sich als Steuerungsinstrument bewährt und müsse erhalten bleiben. Handlungsbedarf sah sie zudem in der stationären Versorgung: Trotz klarer Vorgaben erhielten Patient*innen in der Erwachsenenpsychiatrie vielerorts immer noch zu wenig Einzelpsychotherapie. Bürokratie und unrealistische Personalvorgaben bremsen die Versorgung aus.
Auch bei der Qualitätssicherung kündigte Benecke an, unbequem zu bleiben. Das DeQS-Verfahren zur ambulanten Psychotherapie sei bürokratisch, teuer und ohne erkennbaren Nutzen. Es müsse abgeschafft werden.
Gleichzeitig richtete sie den Blick auf die langfristigen Herausforderungen: Die Klimakrise gefährde zunehmend psychische Gesundheit, weshalb Klimaschutz auch Gesundheitsschutz sei. Mit der „Digitalen Agenda 2030“ und dem Aufbau eines BPtK-Netzwerks für Psychosoziale Notfallversorgung wolle der Bundesvorstand zentrale Zukunftsthemen aktiv gestalten.
Deutlich positionierte sich Benecke gegen Pläne für ein Register für Menschen mit psychischen Erkrankungen: „Register für psychisch kranke Menschen sind kein Beitrag zur öffentlichen Sicherheit und Gewaltprävention. Sie wären ein Rückschritt: Weg von Schutz und Hilfe, hin zu Kontrolle und Überwachung, die Angst, Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen forcieren.“
Besonders eindrücklich waren Beneckes Worte zur Versorgungssituation junger Menschen. Die Zahlen psychischer Erkrankungen seien alarmierend. Die bestehenden Versorgungslücken seien Ausdruck struktureller Unterversorgung. Ein wohlhabendes Land könne sich diese Unterversorgung nicht leisten. Gefordert sei eine gesetzlich verankerte separate Bedarfsplanung für Kinder und Jugendliche, flankiert von Prävention und enger Zusammenarbeit mit dem Bildungswesen und der Jugendhilfe.
KI in der Psychotherapie: Chancen nutzen, Risiken begrenzen
Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildete die Frage, wie KI die Psychotherapie verändert. Prof. Dr. Susanne Schreiber, Professorin für Theoretische Neurophysiologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, erläuterte Funktionsweisen, Möglichkeiten und Risiken aus ethischer Perspektive. KI könne Diagnostik unterstützen, bei Therapieentscheidungen helfen und Monitoringprozesse verbessern. Datensätze müssten jedoch hochwertig und Trainingsprozesse transparent sein. Gleichzeitig warnte sie vor „Deskilling“, mangelnder Nachvollziehbarkeit und den Gefahren unkritischer Anwendung. Sie machte deutlich, KI könne den Menschen auch in der Psychotherapie nicht ersetzen, aber helfen, Behandlungen individueller und wirksamer zu gestalten.
BPtK-Vizepräsidentin Sabine Maur betonte, KI sei längst Teil des klinischen Alltags. Die Profession müsse deshalb Leitplanken von Datenschutz bis Qualitätsstandards setzen und diese Entwicklungen aktiv gestalten, wenn sie dies nicht anderen überlassen wolle. Die BPtK erarbeite aktuell eine Handreichung zu KI, außerdem Konzepte zum Umgang mit Social Media und deren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit junger Menschen.
Muster-Berufsordnung geändert: Videogestützte Psychotherapie, mobiles Arbeiten und weitere Änderungen
Berufsrechtlich entschied der 47. DPT, dass Erstgespräche in begründeten Fällen künftig per Video möglich sind. Ein Schritt, der insbesondere beim Übergang von stationären zu ambulanten Behandlungen Versorgungslücken vermeiden soll. Zudem wurden Regelungen zum mobilen Arbeiten und zur kostenlosen Erstkopie der Patientenakte beschlossen.
Viele Stätten, wenige Stellen: Die Finanzierung der Weiterbildung bleibt eine Herausforderung
Die Weiterbildung war ein weiterer Schwerpunkt: Zwar gibt es bundesweit viele potenzielle Weiterbildungsstellen, doch fehlt häufig die Finanzierung. Die neue Regelung zu den Weiterbildungsambulanzen ist ein Fortschritt, aber unzureichend, um in allen Weiterbildungsbereichen flächendeckend eine tarifgerechte Bezahlung beziehungsweise ausreichend viele Stellen zu gewährleisten. Zusätzlich sind Förderinstrumente für Praxen, Medizinische Versorgungszentren und Kliniken notwendig. Die Delegierten würdigten das Engagement aller Beteiligten und betonten die Bedeutung einer engen Begleitung der Übergangsphase und den entschiedenen Verzicht auf eine Verlängerung des alten Ausbildungssystems.
Repräsentation von Frauen in BPtK-Gremien gestärkt
Mit einer Satzungsänderung stärkte der DPT die Repräsentation von Frauen: Künftig sollen mindestens 50 Prozent der Sitze in BPtK-Gremien mit Frauen besetzt sein. In einer Profession, die zu mehr als drei Vierteln weiblich ist, soll so eine angemessene Vertretung sichergestellt werden, ohne andere Geschlechter auszuschließen.
Christoph Treubel als stellvertretender Versammlungsleiter gewählt
Außerdem wurde Christoph Treubel als stellvertretender Versammlungsleiter gewählt. Er unterstützt künftig Birgit Gorgas und Dr. Jürgen Tripp bei der Leitung der Sitzungen. Die Versammlungsleitung dankte Stuart Paul Massey Skatulla, der aus persönlichen Gründen vom Amt als stellvertretender Versammlungsleiter zurückgetreten war, für sein langjähriges Engagement.
Vom 47. DPT verabschiedete Resolutionen
Am Ende des zweitägigen Treffens verabschiedeten die Delegierten zahlreiche
Veröffentlicht am 16. Dezember 2025