Psychische Krankheiten

Jede dritte Erwachsene* leidet im Laufe eines Jahres an einer psychischen Erkrankung. Sie kann jeden treffen, ob jung oder alt, männlich oder weiblich, hier geboren oder zugezogen.

Bei nahezu allen psychischen Erkrankungen ist die Psychotherapie ein zentraler, in seiner Wirksamkeit gut belegter Behandlungsansatz. Je nach Art und Schwere einer psychischen Erkrankung kann zusätzlich eine Pharmakotherapie sinnvoll oder erforderlich sein.

Wir haben für Sie Informationen zu verbreiteten psychischen Krankheiten in kurzen Steckbriefen zusammengefasst.

Etwa jeder siebte Erwachsene trinkt Alkohol in gesundheitlich riskanten Mengen. Damit ist Alkohol nach Nikotin das häufigste Suchtmittel in Deutschland: 1,8 Millionen Menschen sind alkoholabhängig, weitere 1,6 Millionen Menschen trinken Alkohol in schädlichen Mengen.

Alkoholabhängigkeit kommt in allen sozialen Schichten vor. Männer trinken deutlich mehr Alkohol als Frauen und erkranken deshalb auch mehr als doppelt so häufig wie Frauen an einer Abhängigkeit.

Auch Jugendliche trinken in erheblichen und oft schädlichen Mengen Alkohol. Im Alter von 17 Jahren nehmen bereits zwei von drei Jungen und zwei von fünf Mädchen regelmäßig Alkohol zu sich. Zusätzlich haben rund 2,5 Millionen Kinder alkoholabhängige Eltern. Bei Kindern aus suchtbelasteten Familien ist das Risiko, selbst süchtig zu werden, drei- bis viermal so groß wie bei anderen Kindern. Trinken Kinder und Jugendliche Alkohol, ist dies besonders problematisch, weil ihre körperliche und geistige Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. So kann durch regelmäßigen Alkoholkonsum die Entwicklung des Gehirns gestört werden.

Ursachen und Risikofaktoren

In geringer Menge wirkt Alkohol in der Regel anregend, kann helfen, Hemmungen und Ängste abzubauen, und die Kontakt- und Kommunikationsbereitschaft fördern. Bei größeren Mengen kommt es zu einer Vergiftung, die die Wahrnehmung stört und die Koordinationsfähigkeit sowie das Sprechen beeinträchtigt. Außerdem sinkt die Selbstkontrolle und Reizbarkeitsschwelle, weshalb aggressive Straftaten oft unter Alkoholeinfluss begangen werden. Bei einem sehr hohen Alkoholgehalt im Blut kann es zum Koma mit tödlichem Ausgang kommen. Bei regelmäßig hohem Konsum kommt es in praktisch allen Geweben zu Zellschädigungen, insbesondere aber in der Leber.

Eine Alkoholabhängigkeit entwickelt sich schleichend. Jeder Mensch kann durch häufigen Alkoholkonsum allmählich süchtig werden. Die folgenden Faktoren können aus riskanten Trinkgewohnheiten mit der Zeit eine Alkoholabhängigkeit werden lassen:

  • Körperliche Gewöhnung: Regelmäßiger Konsum größerer Mengen führt dazu, dass sich der Körper an Alkohol gewöhnt. Dadurch müssen immer größere Mengen getrunken werden, um eine angenehme Wirkung zu erleben.
  • Entzugssymptome: Wenn nicht ausreichend getrunken wird, treten Entzugserscheinungen wie Zittern, Schweißausbrüche oder Unruhe auf und verstärken das Verlangen, erneut zu trinken.
  • Verstärkereffekte: Alkohol aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn. Dies führt dazu, dass sich die Motivation erhöht, wieder Alkohol zu trinken oder sich in Situationen zu begeben, in denen Alkohol getrunken wird.
  • Soziale Akzeptanz: Wird im sozialen Umfeld viel getrunken und gilt ein Rausch als unbedenklich, kann dies Alkoholerkrankung fördern.

Eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur, Vererbung oder ein schweres Schicksal allein führen nicht zu einer Alkoholabhängigkeit.

Symptome

Nicht jede, die* gelegentlich oder regelmäßig Alkohol trinkt, hat eine Alkoholstörung. Entscheidend ist, ob der Alkoholkonsum schon die Gesundheit gefährdet oder bereits Schäden vorliegen. Warnsignale sind beispielsweise, wenn Menschen:

  • das Gefühl haben, zu oft oder zu viel zu trinken,
  • Schuldgefühle aufgrund des eigenen Alkoholkonsums haben,
  • das Gefühl haben, mit dem Trinken nicht mehr aufhören zu können,
  • den täglichen Anforderungen nicht mehr nachkommen können,
  • jemanden unter Alkoholeinfluss verletzt haben,
  • von Dritten auf das eigene Trinkverhalten angesprochen wurden oder
  • Zweifel haben, ob sie unter einer Alkoholerkrankung leiden.

Beratung und frühzeitige Hilfen

Jede, die* sich unsicher ist, ob ihr Alkoholtrinken bereits seine Gesundheit gefährdet, kann sich in einer psychotherapeutischen Sprechstunde beraten lassen. In einem Gespräch, das der Schweigepflicht der Psychotherapeut*in unterliegt, können der Alkoholkonsum und die damit verbundenen Risiken besprochen werden.

Trinkt jemand zu viel, ist aber noch nicht abhängig, bietet die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut mehrere Gespräche über den Alkoholkonsum an. Dabei geht es darum zu besprechen, wann und warum Alkohol getrunken wird und wie er hilft, Spannungen abzubauen. Ebenso wird aber auch klar gemacht, wie der Alkohol es immer schwieriger macht, täglichen Anforderungen zu genügen, welche körperlichen Risiken er mit sich bringt und warum es besser sein könnte, etwas dagegen zu unternehmen. Es geht vor allem erst einmal darum, den eigenen Alkoholkonsum besser einzuschätzen.

Solche Gespräche bieten nicht nur Psychotherapeut*innen an, sondern auch Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen. Für manche ist auch die Hausärzt*in die richtige Ansprechpartner*in. Eine Ärztin oder ein Arzt kann auch die Leberwerte im Blut bestimmen lassen und überprüfen, ob bereits körperliche Schädigungen vorliegen.

Therapie

Bei einer Alkoholabhängigkeit ist eine intensivere Hilfe notwendig. In der Regel geht es dann um eine Behandlung in einer speziellen Suchtklinik. Manchmal ist aber auch eine ambulante Behandlung in einer psychotherapeutischen Praxis oder Beratungsstelle möglich.

Entzugsbehandlung: Die Behandlung beginnt mit dem körperlichen Entzug, der meist in einem Krankenhaus durchgeführt wird. Dabei wird der Alkohol abrupt abgesetzt. Dies kann zu heftigen körperlichen Reaktionen führen. Deshalb sollte ein solcher Entzug immer unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.

Wenn jedoch keine schweren körperlichen Reaktionen zu erwarten sind, ist auch eine ambulante Entzugsbehandlung möglich. Dafür sollte die Patient*in sich allerdings ausgesprochen sicher sein, dass sie den körperlich anstrengenden Entzug auch durchhält. Hilfreich ist auch, wenn Familie oder Freund*innen die Kranke* dabei unterstützen können.

Der stationäre Entzug dauert 8 bis 14 Tage. Es ist sinnvoll, sich dabei auch schon psychotherapeutisch begleiten zu lassen („qualifizierte Entzugsbehandlung“).

Entwöhnungsbehandlung: Nach dem Entzug lernt eine Patient*in, dauerhaft keinen Alkohol zu trinken (Abstinenz). Eine solche Entwöhnungsbehandlung dauert in der Regel zwischen acht Wochen und mehreren Monaten und findet in den Rehakliniken der Rentenversicherung statt.

Nachsorge: Auch nach einer Entwöhnung bleibt ein alkoholkranker Mensch noch immer gefährdet. Erfahrungsgemäß dauert es ein weiteres Jahr, bis sie oder er stabil abstinent ist. Deshalb ist es in dieser Zeit ratsam, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen und sich auch von einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten weiter behandeln zu lassen. Das, was eine Patient*in in der Klinik gelernt hat, muss sie erst noch im Alltag anwenden lernen. Eine solche Nachsorge bieten niedergelassene Psychotherapeut*innen oder Suchtberatungsstellen an.

Heilungschancen

Eine Alkoholabhängigkeit verläuft nicht nach einem einheitlichen Muster: Manchmal verschlechtert sich die Erkrankung ständig, manchmal wechseln schwere Trinkphasen und kontrollierter Alkoholkonsum, selten gelingt es, ohne Behandlung dauerhaft auf den Alkohol zu verzichten.

Nur 10 bis 20 Prozent der Alkoholabhängigen lassen sich überhaupt professionell behandeln. In der Regel leidet eine alkoholabhängige Patient*in bereits seit 14 Jahren an dieser Erkrankung, bevor sie eine Behandlung beginnt.

Wenn eine Patient*in nach einem körperlichen Entzug nicht weiterbehandelt wird, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall innerhalb des kommenden Jahres bei 90 Prozent. Findet anschließend eine Entwöhnungsbehandlung statt, steigen die Chancen, dass wieder ein Leben ohne Alkohol gelingt, deutlich. Zwischen 41 und 77 Prozent der Patient*innen, die in einer Rehaklinik behandelt wurden, sind auch ein Jahr danach nicht rückfällig geworden.

Literatur

Zahlen und Fakten

  • Angst ist eine normale Reaktion auf eine Situation, die als bedrohlich erlebt wird. Angst kennt fast jeder Mensch, ohne deswegen schon krank zu sein.
  • Sind die Ängste übersteigert oder nicht begründet, können sie Anzeichen für eine psychische Erkrankung sein, insbesondere wenn sie das alltägliche Leben erheblich einschränken.
  • Ängste können zum Beispiel so stark und überfallartig werden, dass sie Panikattacken auslösen: das Herz beginnt zu rasen, man schwitzt und atmet schwer oder die Hände zittern.
  • Menschen können Angst vor sehr verschiedenen Situationen oder Dingen entwickeln: vor Menschengedränge, vor Höhen, davor, von anderen negativ beurteilt zu werden, oder vor Spritzen oder Spinnen. Viele dieser Ängste kennen die meisten Menschen. Wenn sie so stark werden, dass sie das alltägliche Leben stark beeinträchtigen, sollten sie behandelt werden.
  • Alle Angststörungen zusammen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Etwa ein Viertel aller Menschen erkrankt einmal im Leben daran, Frauen in etwa doppelt so häufig wie Männer.
  • Meist liegt neben der Angststörung noch eine weitere psychische Erkrankung vor, zum Beispiel eine Depression oder ein Missbrauch von Alkohol oder Medikamenten.

Ursachen und Risikofaktoren

Es gibt nicht eine einzelne Ursache für Angsterkrankungen, sondern es sind immer mehrere Faktoren, die zusammenwirken:

  • Genetische Veranlagung, eine Erkrankung zu entwickeln: Studien mit Zwillingen weisen darauf hin, dass es genetische Faktoren gibt, welche die Entwicklung einer Angststörung wahrscheinlicher machen.
  • Neurobiologie: Bei Patient*innen mit Angststörung kann es an einigen Botenstoffen im Gehirn mangeln. Es kann auch sein, dass die Botenstoffe nur schlecht wirken. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass die Patient*in dauerhaft angespannt ist oder negative Gedanken hat.
  • Psychische und soziale Belastungen: Viele Patient*innen hatten vor ihrer Erkrankung schwerwiegende Lebensereignisse, wie zum Beispiel den Tod oder die schwere Erkrankung einer nahestehenden Person, eine Trennung oder den Verlust des Arbeitsplatzes.
  • Ungünstige Erfahrungen: Nach verhaltenstherapeutischen Theorien haben viele erkrankte Personen beim Aufwachsen die Erfahrung gemacht, schwierige Situationen nicht allein meistern zu können, beispielsweise durch einen überbehütenden Erziehungsstil der Eltern. Auch das Beobachten ängstlicher Eltern oder auch das intensive Erleben einer besonders angstauslösenden Situation können prägende Erfahrungen sein.
  • Unbewusste Konflikte: Auch nach psychodynamischen Theorien entstehen Ängste durch die Erfahrung, in bedrohlichen Situationen hilflos gewesen zu sein. Dies können zum Beispiel konflikthafte Situationen aus der Kindheit sein, aber auch innerseelische, oft unbewusste Gewissenskonflikte. Typischerweise liegen bei Angststörungen auch sogenannte Abhängigkeit-Unabhängigkeits-Konflikte vor, das heißt Patient*innen können hin- und hergerissen sein zwischen dem Verlangen nach dem Schutz durch andere und dem Bedürfnis, eigenständig und autonom zu sein.

Diagnostik

  • Um abzuklären, wie die Ängste einzuschätzen sind, führt eine Psychotherapeut*in ein ausführliches Gespräch mit der Patient*in.
  • Ängste sind meistens mit starken körperlichen Symptomen wie Schwitzen, Herzklopfen oder Zittern verbunden. Manchmal werden ergänzend medizinische Untersuchungen veranlasst, um zum Beispiel neurologische oder kardiologische Ursachen auszuschließen.

Therapie

  • Verhaltenstherapie: Die Patient*in wird ermutigt und angeleitet, sich mit den angstauslösenden Situationen auseinanderzusetzen und zu konfrontieren. Dabei soll sie die Erfahrung machen, dass die Angst nach kurzer Zeit nachlässt, wenn zum Beispiel die angstbesetzte Situation nicht vermieden wird. Außerdem werden übertriebene Befürchtungen, zum Beispiel durch eine Panikattacke in Ohnmacht zu fallen, überprüft.
  • Psychodynamische Therapie: Mit der Patient*in werden die Konflikte bearbeitet, die den Ängsten zugrunde liegen. Die Patient*in lernt, die Ängste vor dem Hintergrund prägender Erfahrungen in frühen Beziehungen zu verstehen und sie in ihren Alltag neu einzuordnen. Dabei geht es insbesondere um die Erkundung eines besonders angstverursachenden psychischen Konflikts, der sowohl bei der Entstehung der Ängste als auch bei der aktuellen Beziehungsgestaltung eine Rolle spielt.
  • Medikamentöse Therapie: Zur medikamentösen Behandlung sind moderne Antidepressiva zugelassen. Auf angstlösende Mittel oder Beruhigungsmittel (zum Beispiel Valium®, Tavor®, Rohypnol®) sollte nicht zurückgegriffen werden, da es hier zu starken Nebenwirkungen (zum Beispiel Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit) kommen kann und die Gefahr sehr groß ist, dass sich eine Abhängigkeit von diesen Substanzen entwickelt. Bei neurologischen Ursachen können Medikamente helfen, zum Beispiel den Mangel an Botenstoffen auszugleichen.

Selbsthilfe

  • Angstselbsthilfegruppen bieten Erkrankten und Angehörigen die Möglichkeit, sich offen über ihre Erfahrungen, Probleme und Erfolge auszutauschen.

Heilungschancen

  • Angststörungen neigen dazu, sich zu verstärken und auszuweiten.
  • Werden sie nicht behandelt, entwickelt sich häufig eine chronische Erkrankung.
  • Angststörungen lassen sich sehr gut durch Psychotherapie behandeln. Bis zu 80 Prozent der Patient*innen sind nach einer psychotherapeutischen Behandlung dauerhaft frei von behandlungsbedürftiger Symptomatik.
  • Auch moderne Antidepressiva zeigen Erfolge in der Behandlung dieser Angststörungen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Wirkung oft nur so lange anhält, wie die Medikamente eingenommen werden. Dadurch kann es zu einer psychischen Abhängigkeit kommen. Vor allem langfristig hat Psychotherapie die besseren Wirkungen.

Links und Literatur

  • Fachliteratur

Bandelow, B.; Wiltink, J.; Alpers, G. W.; Benecke, C.; Deckert, J.; Eckhardt-Henn, A.; Ehrig, C.; Engel, E.; Falkai, P.; Geiser, F.; Gerlach, A. L.; Harfst, T.; Hau, S.; Joraschky, P.; Kellner, M.; Köllner, V.; Kopp, I.; Langs, G.; Lichte, T.; Liebeck, H.; Matzat, J.; Reitt, M.; Rüddel, H. P.; Rudolf, S.; Schick, G.; Schweiger, U.; Simon, R.; Springer, A.; Staats, H.; Ströhle, A.; Ströhm, W.; Waldherr, B.; Watzke, B.; Wedekind, D.; Zottl, C.; Zwanzger, P.; Beutel, M. E. (2014). Deutsche S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen. www.awmf.org/leitlinien.html (2014). Abrufbar unter: https://www.researchgate.net/publication/305479086_S3-Leitlinie_Angststorungen [abgerufen am 15.10.2020].

Hoffmann SO (2008). Psychodynamische Therapie von Angststörungen. Stuttgart: Schattauer.

Schneider, S. & Margraf, J. (2017). Agoraphobie und Panikstörung. Fortschritte der Psychotherapie, B. 3. 2. Auflage, Göttingen: Hogrefe.

Jacobi, F.; Höfler, M.; Strehle, J. et al. (2014). Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH), Nervenarzt, 85, 77–87.

Mack, S.; Jacobi, F., Gerschler, A. (2014). Self-reported utilization of mental health services in the adult German population – evidence for unmet needs? Results of the DEGS1-Mental Health Module (DEGS1-MH). Int J Methods Psychiatr Res, 23(3), 289-303.

  • Ratgeber

Heinrichs, N. (2007). Ratgeber Panikstörung und Agoraphobie. Informationen für Betroffene und Angehörige Göttingen: Hogrefe.

Leidig, S. & Glomp, I. (2003). Nur keine Panik!: Ängste verstehen und überwinden. München: Kösel.

Schmidt-Traub, S. (2008). Angst bewältigen. Selbsthilfe bei Panik und Agoraphobie, 4. Aufl. Berlin: Springer.

Bandelow, B.; Wiltink, J.; Alpers, G. W.; Benecke, C.; Deckert, J.; Eckhardt-Henn, A.; Ehrig, C.; Engel, E.; Falkai, P.; Geiser, F.; Gerlach, A. L.; Harfst, T.; Hau, S.; Joraschky, P.; Kellner, M.; Köllner, V.; Kopp, I.; Langs, G.; Lichte, T.; Liebeck, H.; Matzat, J.; Reitt, M.; Rüddel, H. P.; Rudolf, S.; Schick, G.; Schweiger, U.; Simon, R.; Springer, A.; Staats, H.; Ströhle, A.; Ströhm, W.; Waldherr, B.; Watzke, B.; Wedekind, D.; Zottl, C.; Zwanzger, P.; Beutel M. E. (2014). Patientenleitlinie Behandlung von Angststörungen. Abrufbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/051-028p_S3_Angstst%C3%B6rungen_2017-10-abgelaufen.pdf [abgerufen am 15.10.2020].

Zahlen und Fakten

  • Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Rund 16 Prozent der Bevölkerung leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer depressiven Störung, innerhalb eines Jahres sind es ungefähr 8 Prozent.
  • Frauen erkranken in etwa doppelt so häufig wie Männer.
  • Das mittlere Ersterkrankungsalter liegt zwischen 25 und 35 Jahren.
  • Etwa 3 von 4 Personen mit einer Depression erkranken im Verlauf ihres Lebens noch an weiteren psychischen Störungen. Am häufigsten treten zusätzlich Angsterkrankungen auf.

Ursachen und Risikofaktoren

Es gibt nicht eine einzelne Ursache für eine depressive Erkrankung. Immer wirken mehrere Faktoren zusammen:

  • Familiäre Belastungen und Genetik: Aus Studien ist gut belegt, dass Kinder depressiver Eltern ein erhöhtes Risiko aufweisen, auch an einer Depression zu erkranken. Studien mit Zwillingen weisen darauf hin, dass es genetische Faktoren gibt, die es wahrscheinlicher machen, dass ein Mensch an einer Depression erkrankt. Der genetische Einfluss ist bei bipolaren Depressionen, bei denen die Erkrankten zwischen Phasen mit niedergeschlagenen und euphorischen Gefühlen schwanken, besonders ausgeprägt.
  • Psychische Belastungen: Oft lösen schwerwiegende Lebensereignisse eine Depression aus, wie z. B. der Tod oder Trennung von nahestehenden Personen oder der Verlust des Arbeitsplatzes. Auch chronische Belastungen, z. B. dauernde Konflikte am Arbeitsplatz, ständige finanzielle Engpässe oder Einsamkeit, steigern das Risiko für eine Depression.
  • Frühe stark belastende Erfahrungen: Depressive Patient*innen haben in ihrer Kindheit zwei bis dreimal so häufig Verluste erlebt, z. B. dass sich die Eltern trennen oder ein Elternteil stirbt. Aber auch Vernachlässigung, Gewalterlebnisse oder sexueller Missbrauch in der Kindheit machen im späteren Leben anfälliger für eine Depression.
  • Verhaltenstherapeutische Modelle gehen davon aus, dass sich psychische Erkrankungen entwickeln können, wenn Faktoren, die Menschen gestärkt haben, verloren gehen. Gehen zum Beispiel durch einen Umzug enge Freund*innen verloren, kann dies das Risiko einer Depression erhöhen. Zudem erklären Verhaltenstherapeut*innen Depression auch dadurch, dass Ereignisse verzerrt wahrgenommen werden und dadurch Beziehungen gestört werden.
  • Psychodynamische Modelle beschreiben eine erhöhte Trennungsempfindlichkeit depressiver Menschen, die zu einer ständigen Abhängigkeit oder einem Gefühl von Einsamkeit führt. Prägend hierfür sind frühe Beziehungserfahrungen, bei denen emotionale Abstimmungsprozesse zwischen Eltern und Kind nicht gelungen sind.
  • Auch andere chronische psychische (z. B. Suchterkrankungen) und somatische Erkrankungen (z. B. Diabetes) können das Risiko einer Depression erhöhen.

Symptome

Hauptsymptome einer depressiven Störung (Major Depression) sind:

  • eine niedergeschlagene Stimmung,
  • erhebliche Schwierigkeiten, sich zu Aktivitäten aufzuraffen, eine erhöhte Neigung, schnell zu ermüden sowie
  • eine Gleichgültigkeit gegenüber Dingen, die bisher interessant waren und Freude bereitet hatten.
  • Solche Beschwerden sollten über mindestens zwei Wochen durchgängig andauern.
  • Die depressive Stimmung wird dabei von Patient*innen unterschiedlich beschrieben. Manche berichten von einem Gefühl der Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Andere berichten von einem Gefühl der Gefühllosigkeit, das heißt, sie empfinden weder Freude über positive Ereignisse noch Trauer über Verluste. Viele Patient*innen empfinden auch größere Angst als gewohnt, sind stark verunsichert oder leiden unter Zukunftsängsten.
  • Neben den Hauptsymptomen können Depressionen noch mit einer Vielzahl weiterer Beschwerden verbunden sein:
  • emotional: Schuldgefühle, Gefühle der Wertlosigkeit, Schwermut, aber auch Reizbarkeit oder Leere;
  • kognitiv: verminderte Aufmerksamkeit und Konzentration, Unentschlossenheit, auch bei einfachen Entscheidungen, negative Zukunftsgedanken, Grübeln, Selbstzweifel;
  • körperlich-vegetative Beschwerden: Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme, innere Unruhe, Verlust des sexuellen Interesses, Schwindel, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, für die keine körperliche Ursache gefunden werden kann;
  • Verhalten: Verlangsamung der Sprache und Motorik, geringe Aktivitätsrate;
  • Suizidgedanken und -versuche.
  • Depressionen treten meist in Phasen auf („Episoden“), die begrenzt sind und auch ohne therapeutische Maßnahmen abklingen. Die durchschnittliche Dauer einer depressiven Phase liegt bei 6 bis 8 Monaten.
  • Manchmal leiden Patient*innen auch nur unter leichten depressiven Beschwerden, die aber nicht abklingen, sondern ständig und lange anhalten. Bestehen solche leichten Symptome mindestens zwei Jahre, spricht man von einer Dysthymie.
  • Eine Dysthymie kann zusätzlich vor einer Depression mit ausgeprägten Beschwerden überlagert werden (Double Depression).
  • Bei schweren Depressionen können auch psychotische Symptome wie Wahnideen, Halluzinationen oder ein „depressiver Stupor“, ein Zustand körperlicher und psychischer Erstarrung, auftreten.

Diagnostik

  • Um depressive Beschwerden abzuklären, führt eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut ein ausführliches diagnostisches Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten. Dabei gehen die Psychotherapeut*innen nicht nur auf die aktuellen Beschwerden und Belastungen ein, sondern auch auf Erlebnisse, die der Patient*in im Laufe ihres Lebens zu schaffen machten. Außerdem erkundigen sie sich nach psychischen Erkrankungen und aktuellen Belastungen in der Familie.
  • Eine Depression kann auch dazu führen, dass sich die Patient*in mit Gedanken beschäftigt, das eigene Leben zu beenden. Deshalb fragen die Psychotherapeut*innen auch ausdrücklich nach Suizidgedanken und -versuchen.
  • Vor Beginn einer Psychotherapie ist eine sorgfältige internistische und neurologische Untersuchung notwendig, um körperliche Ursachen für eine Depression auszuschließen, z. B. Hormonerkrankungen. Auch blutdrucksenkende Mittel oder Steroidhormone können depressive Beschwerden verursachen.

Therapie

  • Nicht jede Depression muss sofort psychotherapeutisch oder mit Medikamenten behandelt werden. Bei leichten depressiven Störungen kann sich die Patient*in zunächst beraten und anleiten lassen, wie sie selbst besser mit gedrückten Stimmungen umgehen kann.
  • Kommt es innerhalb von zwei Wochen zu keiner Besserung, sollte mit der Patient*in überlegt werden, die Behandlung zu intensivieren. Hierbei kommen z. B. Online-Programme infrage. Wenn auch diese nicht ausreichend wirken, sollte eine Psychotherapie vorgeschlagen werden.
  • Bei mittelschweren depressiven Störungen sollte der Patient*in entweder eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie angeboten werden.
  • Bei schweren und chronischen depressiven Störungen ist dagegen eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten angebracht.
  • Nachweislich wirksam bei depressiven Störungen sind Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie, Interpersonelle Psychotherapie, Gesprächspsychotherapie und Systemische Therapie.
  • Zur medikamentösen Therapie sind insbesondere verschiedene Klassen von Antidepressiva zugelassen.

Heilungschancen

  • Eine depressive Erkrankung kann vollständig zurückgehen, sodass die Patient*in wieder ohne Beschwerden ist. Manchmal bleiben einzelne Beschwerden bestehen.
  • Nicht jede Depression ist heilbar. Depressionen können insbesondere chronifizieren, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wurden.
  • Eine Behandlung verkürzt die Zeit, die eine Patient*in unter der gedrückten Stimmung leidet, deutlich: auf durchschnittlich 16 Wochen.
  • Depressive Phasen können sich wiederholen: Bei über der Hälfte der Patient*innen kommt es nach der ersten Erkrankung zu einer weiteren depressiven Episode. Die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung erhöht sich nach zweimaliger Erkrankung auf 70 Prozent und nach der dritten Episode sogar auf 90 Prozent.
  • Behandlungen senken die Rückfallrate erheblich. Eine besondere Stärke der Psychotherapie ist, dass sie anhaltend und längerfristig wirkt, insbesondere wenn sie auch als Erhaltungstherapie fortgesetzt wird.
  • Bei Patient*innen mit einem erhöhten Rückfallrisiko, z. B. bei fortbestehenden Beschwerden, ist eine längerfristige stabilisierende Psychotherapie empfehlenswert.
  • Auch Antidepressiva können Rückfälle verhindern. Sie sollten deshalb auch nach vollständigem Abklingen der Beschwerden noch eine Zeitlang eingenommen werden.

Links und Literatur

Fachliteratur (Quellen)

  • DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression*. S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression – Langfassung, 2. Auflage. Version 5. 2015 [cited: 2019-07-01]. DOI: 10.6101/AZQ/000364. depression.versorgungsleitlinien.de.
  • Jacobi F, Höfler M, Strehle J et al. (2014). Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH), Nervenarzt, 85, 77 – 87.
  • Mack S, Jacobi F, Gerschler A (2014). Self-reported utilization of mental health services in the adult German population – evidence for unmet needs? Results of the DEGS1-Mental Health Module (DEGS1-MH). Int J Methods Psychiatr Res, 23(3), 289-303.
  • Hautzinger M (2010). Akute Depression. Fortschritte der Psychotherapie, Band 40. Göttingen: Hogrefe.
  • Schauenburg H, Hofmann B (2007). Psychotherapie der Depression. Stuttgart: Georg Thieme Verlag.
  • Wittchen HU & Hoyer J (2011, Hrsg.). Klinische Psychologie und Psychotherapie. 2. Auflage. Berlin: Springer.

 

Ratgeber

Essstörungen sind schwere psychische Erkrankungen, die auch dem Körper massiv schaden. Essen oder Nicht-Essen bestimmt das Leben der erkrankten Personen, ganz überwiegend Frauen. Es werden vor allem drei Arten der Essstörungen unterschieden:

  • Anorexie (Magersucht),
  • Bulimie (Ess-Brech-Sucht),
  • Binge-Eating-Störung: Essattacken ohne Versuche, einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, wie zum Beispiel Erbrechen oder Fasten.

Die verschiedenen Essstörungen können ineinander übergehen oder sich abwechseln. Oft entwickelt sich aus einer Magersucht eine Bulimie.

Zahlen und Fakten

  • Essstörungen sind insgesamt eher seltene, aber häufig sehr schwere psychische Erkrankungen.
  • In der weiblichen Bevölkerung zwischen Pubertät und dem 30. Lebensjahr gehören die Essstörungen zu den häufigen psychischen Erkrankungen.
  • Etwa ein Prozent der Frauen erkrankt während ihres Lebens an einer Magersucht.
  • Circa zwei Prozent der Frauen leiden während ihres Lebens an einer Bulimie.
  • Frauen erkranken etwa zwölfmal häufiger als Männer an einer Magersucht oder Bulimie.
  • An Essattacken ohne Hungern und Erbrechen (Binge-Eating-Störung) erkranken zwischen zwei bis drei Prozent der Bevölkerung, Frauen etwa doppelt so häufig wie Männer.
  • Essstörungen beginnen typischerweise im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter.
  • Menschen mit Essstörungen leiden häufig auch an Depressionen, Angststörungen oder nehmen Alkohol, Drogen oder Medikamente als Suchtmittel ein.

Ursachen und Risikofaktoren

Fast immer wirken mehrere Faktoren zusammen, die das Risiko für eine Essstörung erhöhen:

  • Geschlecht: Das Risiko ist für Mädchen oder Frauen deutlich höher, insbesondere bei Magersucht und Bulimie.
  • Zwillingsstudien belegen, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen.
  • Komplikationen in der Schwangerschaft und bei der Geburt, gesundheitliche Probleme in der Kindheit und früh einsetzende Reifung erhöhen das Risiko für eine Erkrankung. Magersüchtige litten als Säugling und Kleinkind häufiger an Magen- und Darm-Beschwerden.
  • Essstörungen sind in westlichen Industrienationen deutlich häufiger. Deshalb wird angenommen, dass das dortige Schönheitsideal von einem schlanken Körper das Erkrankungsrisiko erhöht.
  • Magersüchtige beschäftigen sich übermäßig mit Figur und Körpergewicht. Familienfaktoren scheinen sich vor allem auf die Schwere der Erkrankungen auszuwirken.
  • Sexueller Missbrauch und Vernachlässigung sowie psychische Krankheitsanfälligkeit und geringer Selbstwert in der Jugend erhöhen das Risiko für eine Bulimie, ebenso ein eingeschränktes Essverhalten, z. B. Vermeiden bestimmter hochkalorischer Nahrungsmittel.

Symptome

Magersucht (Anorexie):

  • Die Patient*innen sind stark untergewichtig. Das Körpergewicht liegt mindestens 15 Prozent unter dem normalen Gewicht bzw. der Body-Mass-Index (BMI) liegt unter 17,5. Bei starker Ausprägung kann das Untergewicht lebensbedrohlich werden.
  • Die Erkrankten führen das starke Untergewicht selbst herbei, vor allem dadurch, dass sie wenig oder nicht regelmäßig essen. Häufig nehmen die Erkrankten auch Appetitzügler oder treiben übermäßig intensiv Sport (z. B. exzessives Joggen). Sie meiden Lebensmittel, durch die sie an Gewicht zunehmen könnten. Manchmal erbrechen sie Gegessenes wieder, indem sie sich den Finger in den Hals stecken.
  • Trotz des starken Untergewichts bestehen große Ängste, zuzunehmen oder dick zu werden.
  • Häufig bleibt die erste Regelblutung aus oder die monatliche Menstruation erfolgt nicht regelmäßig. Bei Männern kann es zu Potenzverlust kommen.
  • Erkrankte nehmen ihre Figur verzerrt wahr und sind trotz des Untergewichts überzeugt davon, zu dick zu sein. Ein schlanker Körper ist für sie übertrieben wichtig, um sich selbst akzeptieren zu können.
  • Oftmals wollen die Erkrankten gar nicht wahrhaben, dass sie viel zu wenig Gewicht haben und damit ihre Gesundheit gefährden.
  • Die starke Unterernährung führt häufig auch zu körperlichen Beschwerden: langsamer Puls, niedriger Blutdruck, Beschwerden im Unterleib, niedriger Stoffwechsel, Zahnausfall, Eiweiß- und Mineralienmangel.

Ess-Brech-Sucht (Bulimie):

  • Das Körpergewicht dieser Patient*innen ist meist normal. Sie sind schlank und sehr gepflegt. Sie sind zwar ständig mit dem Essen beschäftigt, dies ist aber für andere meist nicht zu erkennen.
  • Die Patient*innen erleiden regelmäßig Heißhungeranfälle, bei denen sie in kurzer Zeit sehr viel essen. Um die Kalorienzufuhr rückgängig zu machen, erbrechen sie meist das Gegessene, indem sie sich den Finger in den Hals stecken. Häufig nehmen sie auch Appetitzügler und treiben übermäßig intensiv Sport, z. B. exzessives Joggen.
  • Es besteht eine krankhafte Angst davor, dick zu werden. Die Patient*innen setzen sich eine Gewichtsgrenze, die deutlich unter dem gesunden oder „optimalen“ Gewicht (BMI) liegt. Aus Furcht davor zuzunehmen, halten die Patient*innen zwischen den Essattacken oft eine Dauerdiät ein.
  • Bei langanhaltender Erkrankung kommt es oft zu Zahnschäden und Störungen des Elektrolyt-Haushaltes.

Essattacken ohne Hungern oder Erbrechen (Binge-Eating-Störung):

  • Die Patient*innen erleiden immer wieder Essattacken, bei denen sie sehr viel essen und die Kontrolle über das Essen verlieren.
  • Sie versuchen nicht regelmäßig, die Kalorienzufuhr durch Erbrechen, Hungern oder exzessive körperliche Aktivität auszugleichen.
  • Die Erkrankten sind deshalb häufig deutlich übergewichtig.

Diagnostik

  • Für die diagnostische Einschätzung der Beschwerden führt die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut ein ausführliches Gespräch mit der Patient*in.
  • Psychotherapeut*innen fragen auch danach, welche psychischen Erkrankungen die Eltern schon hatten und wie das Essverhalten in der Familie war. Sie erkundigen sich auch nach möglicher emotionaler Vernachlässigung und Missbrauch.
  • Sie klären, ob weitere psychische Störungen vorliegen, insbesondere Depressionen, Angststörungen, der Missbrauch von Alkohol, Drogen oder Medikamenten sowie Persönlichkeitsstörungen. Liegen andere („komorbide“) Erkrankungen vor, muss der Behandlungsschwerpunkt sorgfältig abgewogen werden.
  • Die vielfältigen körperlichen Risiken der Essstörungen machen eine umfassende ärztliche Untersuchung unbedingt erforderlich.

Therapie

  • Ist das geringe Gewicht der Patient*in lebensbedrohlich, muss sie meist im Krankenhaus behandelt werden. Dies kann erforderlich sein, wenn das Körpergewicht sehr deutlich unter dem Normalgewicht liegt oder die Patient*in rapide oder anhaltend abnimmt. Das wichtigste Therapieziel ist dann zunächst eine Gewichtszunahme, damit ein stabiles Minimalgewicht erreicht wird, das nicht mehr lebensbedrohlich ist. Dies ist in der Regel die Voraussetzung für eine weitergehende psychotherapeutische Behandlung.
  • Bei allen drei Essstörungen ist eine Psychotherapie die Behandlungsmethode der ersten Wahl. Dabei sollte bei magersüchtigen Patient*innen im Jugendalter die Familie aktiv in die Behandlung einbezogen werden.
  • Die Wirksamkeit der Psychotherapie bei Essstörungen wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Lediglich bei Magersucht ist die empirische Studienlage noch unbefriedigend.
  • Die wichtigsten Ziele der Psychotherapie sind ein normales Essverhalten und Gewicht sowie eine Behandlung der psychischen Beschwerden und Probleme. Dazu gehört, die falschen Schlankheitsideale zu korrigieren und die gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers und Gewichts („Körperschemastörung“) zu ändern. Zu den Zielen der Therapie gehören auch, ein angemessenes Selbstwertgefühl und soziale Kompetenzen zu entwickeln.

Heilungschancen

  • Die Erfolgsaussichten einer Behandlung sind stark von der Schwere und Dauer der Essstörung abhängig.
  • Die Heilungschancen sind bei der Bulimie und der Binge-Eating-Störung größer als bei der Magersucht.
  • Bisher gelingt es, etwa 50 Prozent der magersüchtigen Patient*innen erfolgreich zu behandeln, bei weiteren 30 Prozent verbessert sich die Erkrankung deutlich. Bei rund 20 Prozent entwickelt sich eine chronische Essstörung, die dauerhaft bestehen bleibt. Liegen die Kontrolluntersuchungen mehr als zehn Jahre nach der Behandlung, steigen die Erfolgsaussichten sogar auf fast 75 Prozent.
  • Für manche Patient*innen besteht ein besonders hohes Risiko, an der Erkrankung zu sterben. Zehn Jahre nach der Erstdiagnose lag die Sterberate von magersüchtigen Patient*innen zehnfach über dem Durchschnitt der Altersgenossinnen.
  • Bei der Bulimie sind 50 bis 70 Prozent der Behandlungen erfolgreich. Allerdings können sich die Beschwerden verändern oder verlagern und es besteht ein erhöhtes Risiko, rückfällig zu werden.
  • Bei Essattacken ohne Hungern und Erbrechen gesunden etwa zwei Drittel der Patient*innen.

Links und Literatur

Fachliteratur

DGPM, DGPs, DGPPN et al. (Hrsg). S3-Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Essstörungen, Stand: 01.07.2019. Internet: www.awmf-leitlinien.de.

Zeeck A, Herpertz S (2015). Patientenleitlinie Diagnostik und Therapie der Essstörungen, Springer.

Jacobi C, Paul T & Thiel A (2004). Essstörungen. Reihe Fortschritte der Psychotherapie. Schulte D, Grawe K, Hahlweg K & Vaitl D (Hrsg.), Göttingen: Hogrefe.

Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (2008). Essstörungen und Adipositas. Berlin: Springer.

 

Ratgeber

Fichter M (2009). Magersucht und Bulimie: Mut für Betroffene, Angehörige und Freunde. Basel: Karger.

Paul, T. (2008). Ratgeber Magersucht – Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe.

Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, bei der die Patientinnen und Patienten insbesondere unter Wahnvorstellungen leiden. Ein Wahn ist grundsätzlich nichts anderes als eine felsenfeste Überzeugung, die ein Mensch auch dann nicht aufgibt, wenn alle anderen anderer Meinung sind. Auch Menschen mit starken politischen und religiösen Überzeugungen haben manchmal Überzeugungen, von denen sie nicht abzubringen sind. Im Unterschied dazu haben Menschen mit einer schizophrenen Erkrankung jedoch Überzeugungen, an denen sie auch festhalten, wenn es unbestreitbare Beweise gibt, dass sie gar nicht stimmen können, und leiden außerdem unter weiteren Symptomen der psychischen Erkrankung. Sie leben phasenweise in einer anderen Welt. Sie hören Stimmen oder sehen Dinge, die kein anderer hört oder sieht. Häufig erleben sie sich als verfolgt oder gesteuert und haben deshalb große Angst.

Lange Zeit galt Schizophrenie als eine Erkrankung, bei der die Erkrankten eine gespaltene Persönlichkeit haben, wie zum Beispiel in der Novelle „Dr. Jekyll und Mister Hyde“. In diesem Buch verwandelt sich der gutherzige und angesehene Arzt, Dr. Jekyll, immer wieder in den bösartigen Mister Hyde. Es stellt sich heraus, dass Hyde der isolierte böse Teil von Jekylls Persönlichkeit war. Diese Erklärung von Schizophrenie (wörtlich „Spaltungsirresein“) ist jedoch falsch. Menschen, die akut unter einem Verfolgungswahn leiden, können auf ihre Mitmenschen sehr anders als gewohnt wirken. Sie haben in dieser Phase jedoch keine andere Persönlichkeit, sondern hören zum Beispiel Stimmen, durch die sie sich bedroht und verfolgt fühlen und die sie in große Angst versetzen.

Schizophrenie ist keine seltene Krankheit, sondern etwa so häufig wie chronisches Rheuma. Eine von 100 Erwachsenen* erkrankt in ihrem Leben an einer Schizophrenie. In Deutschland leiden aktuell rund 800.000 Menschen an dieser Erkrankung. Jedes Jahr erkranken daran rund 12.000 Menschen zum ersten Mal, meist im Alter zwischen der Pubertät und dem dreißigsten Lebensjahr. Männer und Frauen erkranken gleich häufig.

Schizophrenien verlaufen sehr unterschiedlich. Manche Patientinnen und Patienten erkranken nur einmal, andere chronisch mit erheblichen Einschränkungen im Alltag.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursachen einer schizophrenen Erkrankung sind nicht eindeutig geklärt. Es wirken mehrere Faktoren zusammen:

  • genetische: Kinder, in deren Familien bereits andere schizophren erkrankt sind, erkranken deutlich häufiger selbst an dieser psychotischen Erkrankung,
  • neurobiologische: Störungen der Gehirnentwicklung durch Komplikationen während oder nach der Geburt, Erkrankungen des Gehirns oder Schädigungen durch Drogen oder Alkohol erhöhen das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken,
  • psychosoziale: Belastende Lebensereignisse können bei einer vorhandenen genetischen oder biologischen Disposition („Verletzlichkeit“) dazu führen, dass sich eine schizophrene Erkrankung entwickelt. Dazu gehören z. B. der Verlust von Angehörigen, Prüfungen oder der Verlust des Arbeitsplatzes, andauernde Spannungen am Arbeitsplatz oder ständige Konflikte in der Familie.
  • Weitere bedeutsame Risikofaktoren: Cannabis- und Amphetamingebrauch, eigene Migrationserfahrung oder in der Familie, städtisches Leben mit Lärm und Reizüberflutung, verminderte Stresstoleranz.

Symptome

Die Symptome sind sehr unterschiedlich und können sich ändern:

  • Frühe Anzeichen: Schizophrene Psychosen beginnen häufig mit kleinen Veränderungen und alltäglichen Befindlichkeitsstörungen: z. B. Nervosität, Unruhe, Reizbarkeit, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, gedrückte Stimmung, Grübeln oder Vernachlässigung der persönlichen Erscheinung. Erfahrene Spezialisten sind notwendig, um eine Schizophrenie schon in einem frühen Stadium zu erkennen.
  • Akute Phase: Halluzinationen, insbesondere das Hören von Stimmen, die andere nicht hören; Verfolgungswahn; das Gefühl, andere könnten die eigenen Gedanken lesen; unlogisches Denken ohne inneren Zusammenhang; Überzeugung, Gedanken würden eingegeben oder aus dem Kopf gezogen (Störung des Ich-Erlebens); depressive Stimmung, Apathie oder Gefühlsarmut, große Erregung oder starke Antriebshemmung.

Schizophrene leiden erheblich unter ihrer Erkrankung, nehmen aber häufig von sich aus keine Hilfe in Anspruch. Vermittlung und Motivation durch Andere sind meist nötig. Die Schwere der Erkrankung nimmt zu, je länger sie unbehandelt bleibt.

Diagnostik

Die Diagnostik erfolgt durch ein psychotherapeutisches oder ärztliches Gespräch.

Sie wird ergänzt um medizinische Untersuchungen mit dem Ziel, körperliche Ursachen der Erkrankung auszuschließen: z. B. Drogenscreening, Elektroenzephalographie (EEG) und Magnetresonanztomographie (MRT) des Kopfes.

Therapie

Die Therapie besteht aus mehreren Bausteinen:

Psychopharmakotherapie: Neuroleptika beeinflussen die Übertragung von Informationen durch Botenstoffe im Gehirn. Sie verringern oder beseitigen in vielen Fällen die akuten Symptome und beugen Rückfällen vor. Die Medikamente zur Behandlung von psychotischen Erkrankungen sind in den letzten Jahren sehr verbessert worden und haben heute wesentlich weniger unerwünschte Nebenwirkungen als früher.

Psychotherapie: Eine Psychotherapie kann in allen Phasen der Erkrankung – auch der Akutphase – begonnen werden. Insbesondere kognitive Verhaltenstherapie kann wirksam helfen, die Beschwerden zu verringern, Wahnvorstellungen zu überprüfen, depressive Gefühle sowie Angst und Hilflosigkeit zu verringern, das Krankheitsverständnis und die Krankheitsakzeptanz zu fördern sowie das Rückfallrisiko zu senken.

Psychoedukation: Wichtig ist auch, dass Patient*innen und Angehörige über die Erkrankung und ihre Behandlung ausführlich informiert werden. Dadurch können sie ihre Erkrankung besser verstehen und selbstverantwortlich mit ihr umgehen.

Kognitive Remediation: Patient*innen sind in ihrer Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und ihrem Gedächtnis häufig stark eingeschränkt. Durch gezielte Trainings dieser Fähigkeiten können sie lernen, wieder besser im Alltag zurechtzukommen.

Training sozialer Fertigkeiten: Training zur Kontaktaufnahme und zum sozialen Umgang mit anderen Menschen.

Heilungschancen

Eine akute Erkrankung lässt sich meistens gut behandeln.

Etwa 20 Prozent der Patient*innen erleiden nur eine Krankheitsphase.

Etwa zwei Drittel der Patient*innen erleben mehrere Phasen, die vollständig oder teilweise wieder abklingen.

Bei 5 bis 10 Prozent der Patient*innen bleiben die Beschwerden dauerhaft. Die Erkrankung entwickelt sich chronisch, ohne abgrenzbare einzelne Krankheitsphasen.

Auch bei langjährig und ungünstig verlaufenden Psychosen kann es später noch zu einer deutlichen Verbesserung der Gesundheit und des persönlichen Wohlbefindens kommen.

Literatur

Ratgeber:

  • Hahlweg K und Dose M. Ratgeber Schizophrenie – Informationen für Betroffene und Angehörige. Göttingen: Hogrefe.
  • Kissling W und Pitzschel-Walz G (Hrsg.). Mit Schizophrenie leben, Informationen für Patienten und Angehörige. Alliance Psychoedukationsprogramm. Stuttgart: Schattauer.

Quelle:

DGPPN e.V.(Hrsg.) für die Leitliniengruppe: S3-Leitlinie „Schizophrenie“. Langfassung, 2019, Version 1.0, zuletzt geändert am 15. März 2019, verfügbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/038-009.htm.

Im Notfall

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